Presseschau

Tages-Anzeiger vom 05.10.2012

Stadion-Szenen

Wieso sie singen, wieso sie Pyros zünden: Das FCZ-Museum thematisiert die Fussball-Fankultur.

Von Marcel Reuss

Früher sangen sie «äs Gööli, äs Gööli, äs Gööli, es Goal». Heute skandieren sie «Scheiss-Basel!» Nicht nur, aber wenn, dann voller Verachtung und zu Hunderten. Die Fans des FC Zürich. Vor einem Jahr überschritten sie Grenzen. Diejenigen, welche Richtung GC-Kurve stürmten. Und derjenige, der die Petarde schmiss, mitten in die Anhänger. Spielabbruch, erhitzte Debatten und politische Spätfolgen: Der Kantonsrat hat sich kürzlich für ein schärferes Hooligan-Konkordat ausgesprochen.

Das Thema lag auf der Hand, als man für das Museum des Clubs die nächste Sonderausstellung plante. Ihn interessiere nur eines, sagte Präsident Ancillo Canepa, «die Fankultur».

Ein heikle Geschichte, weil sie schnell ins rein Nostalgische kippen könnte. Das tut sie nicht, da die Ausstellung aktuelle Fragen stellt. Wieso singen sie? Wieso kämpfen sie? Wer will welchen Fussball erleben? Und sie kippt nicht, weil es die heilen «Gööli, Gööli, Gööli»-Zeiten so nie gab. Weil der Fussballplatz immer schon ein Ort war, an dem junge Männer über die Stränge schlugen, wie Saro Pepe sagt, der Kurator des Museums.

1902 kam es in Basel zu ersten Ausschreitungen, 1913 bei einem Länderspiel beinahe zu einem Spielabbruch. Der Schiedsrichter hatte zuvor der Schweiz «das schönste Goal des Tages» aberkannt. Auch in späteren Jahrzehnten fliegen Raketen, Flaschen, kommt es zu Tumulten - und vereinzelt auch zu Spielabbrüchen.

1982 etwa, als ein FC-St.-Gallen-Fan auf den Rasen stürmte und den Schiedsrichter niederschlug. Wie nüchtern die Zeitung «Sport» den Fall damals abhandelte, erstaunt Pepe. Vom Schläger war kaum die Rede, was vielmehr interessierte, war die Frage, wie man ein solches Spiel werte. Was ihn auch erstaunt: Wie schnell man vergesse und heute das Gefühl habe, es sei noch nie so schlimm gewesen.

Die Medien spielen da rein. Deren Hang zur Personalisierung. «Petardentrottel» titelte der «Blick», nachdem sich einen Monat nach dem Derby ein anderer FCZ-Fan die Finger wegsprengte.

Auch die Rolle der Medien wird die Ausstellung aufnehmen. An einer der Diskussionsrunden, die sie begleiten. Eine nostalgische Note wird die Schau trotzdem haben. Weil Bilder wie die folgenden genau solche Gefühle transportieren:

Bild 1: Letzigrund, 1967. Wurde zuvor behauptet, die heile Fussballwelt habe es nie gegeben, auf diesem Foto existiert sie. Begeisterte Junge im Vordergrund und im Hintergrund Männer mit Vestons und Krawatten. Wie locker sie stehen und sitzen.

Saro Pepe: «Bis Anfang der 70er-Jahre durften Fans bis an den Spielfeldrand. Vor allem Knaben sassen da. Und kaum gab es ein Tor, rannten sie aufs Feld, und nach dem Spiel sowieso, um Autogramme zu holen. Das berühmte Schnürli war ein improvisierter Versuch, sie zu bändigen.»

Bild 2: Wankdorf, 1972. Cupfinal, die Anhänger sind nun uniformiert. Statt Veston und Schlips tragen sie blauweisse Hütchen und weisse Trikots.

Pepe: «Interessant sind die Basler Fans im Vordergrund. Heute undenkbar, aber noch Anfang der 80er-Jahre gab es zwischen Clubs Fan-Freundschaften. (Anmerkung: Ein Beispiel dafür ist ein Aufnäher mit dem Text ‹Die Fans von Basel und Zürich im Kampf gegen die Mongos aus Sion›.)

Organisierte Fangruppen, die gegeneinander antraten, gab es kaum. Verbal teilte man zwar aus, Probleme gab es aber nur mit den Schiedsrichtern.

Daneben fallen mir die Fahnen auf - und die Hütchen. Selber gemacht, verkauften sie Fans vor dem Stadion. Auch der Club beginnt in dieser Zeit, erste Merchandising-Artikel zu vertreiben.»

Bild 3: Wankdorf, 1974. Cupfinal, frustrierte Fans legen los. Könnte man meinen, doch der Eindruck täuscht.

Pepe: «Gerade wegen der Finals war das Wankdorf eines der ersten Stadien mit Zaun. Einem ziemlich brutalen, wie das Bild zeigt. Die Sion-Fans im Bild hielt er nicht ab. Ihre Mannschaft hatte gewonnen, sie wollten auf den Platz. Die Flaschen schmissen sie, weil ihnen die Ordner im Weg standen.

Gerade in den 70er-Jahren flogen immer wieder Flaschen und Steine auf den Rasen. Plätze wurden gestürmt, und 1971 legte der FC Luzern Protest ein wegen einer Rakete. 1973 wurde der Verkauf von Flaschen verboten.»

Bild 4: Match, 1981. Jubelszene. Einen der Anhänger kann der Ordner unten rechts festhalten, der Rest rennt los.

Pepe: «Der FC Zürich wird Meister - im Hardturm. Die Fans stürmen das Feld. Der Club rechtfertigt sich gegenüber der Nationalliga mit einer Gruppe aus der Jugendbewegung, die sich unter die Fans gemischt habe. Sie kämen nur wegen der Zerstörung und nicht wegen des Fussballs. Ein Satz, der Karriere machen wird. Etliche organisierte Fan-Gruppen entstehen ab Ende der 70er-Jahren - zuerst harmlosere, dann extremere. Die Szene ist stark rechts geprägt und der Hitlergruss in den Stadien keine Seltenheit. Ab 2000 dreht der Wind, die Gruppen sind nun eher in der linken Szene verwurzelt. Sie orientieren sich an den Ultra-Szenen in Italien und Argentinien. Die Fahnen werden grösser, das Feuerwerk intensiver, die Choreografien kommen auf . . .»

. . . und die Debatten, die den Fussball, wie er heute ist, prägen. Diesen will die Ausstellung eine Plattform bieten.

«Fankultur - Szenen aus dem Stadion» bis März 2013, FCZ-Museum, Letzi- graben 89. Vernissage kommenden Dienstag ab 18 Uhr. Erster Diskussionsabend: 25. Oktober, 19.30 Uhr. www.fcz.ch

Zur Ausstellung veröffentlicht das Fussballheft «Zwölf» zum Thema eine 120 Seiten starke Sonderausgabe. www.zwoelf.ch

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