Presseschau

Walliser Bote vom 16.04.2013

«Man wird als Eltern angreifbarer»

Cup-Hit | Valentin Stocker, halber Oberwalliser beim FC-Sitten-Gegner, gibt unzählige Interviews. Was aber sagt sein Vater?

WB: Christoph Stocker, Sie geben eigentlich nie Interviews. Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?

«Nein, aber das ist eine prinzipielle Frage. Es gab schon diverse Anfragen von Sonntagszeitungen oder Zeitschriften für Reportagen oder Homestorys, aber so was machen wir nicht. Der Grund ist ganz einfach: Der Fussball ist Valentins Welt. Wir haben uns gefragt: Was können wir Eltern ihm anbieten? Eine Antwort: Unser Zuhause soll eine kleine Insel sein. Mit Valentin rede ich nie über Fussball.»

Beim «Walliser Boten» machen Sie also eine Ausnahme?

«Das Wallis ist für uns halt eine Herzensangelegenheit.»

Hat der sportliche Aufstieg Ihres Sohnes auch das Leben der Eltern beeinflusst?

«Wir haben uns eher zurückgezogen. Das läuft nicht bewusst ab, diese Haltung wächst allmählich. Als Eltern eines berühmten Kindes werden Sie in der Öffentlichkeit automatisch auch in Positives wie Negatives miteinbezogen. Man wird angreifbarer und dadurch verletzlicher. Dabei ist Fussball doch bloss ein Spiel.»

Gibt es Fälle, wo Sie Konsequenzen gezogen haben?

«Am Tag nach einem Spiel gehe ich nie ins Lehrerzimmer. Überhaupt rede ich mit niemandem darüber. Das lernt man schnell. Auch in meiner Klasse ist Fussball tabu.»

Die Schülerinnen oder Schüler fragen nie?

«Sie können schon, aber ich sage nichts. Ich denke, das geht vielen Eltern so, deren Kind in der Öffentlichkeit steht. Im Fussball und bei Autos stossen beim Menschen zuweilen archaische Tugenden hervor. Der Wind, der einem da manchmal entgegenbläst, den muss ich nicht haben. Ich selbst habe mit der Zeit gespürt, wie ich im Urteil über einen Sportler zunehmend vorsichtiger geworden bin. Oder in der Ausdrucksform. Denn ich weiss, hinter diesem stehen noch andere Menschen in engem Bezug.»

Haben Sie eigentlich Gratiseintritt im St. Jakob-Park?

«Jeder Spieler erhält zwei VIP-Sitzplätze. Wir gehen nach Basel, wenn wir das Gefühl haben, Valentin hat Freude, oder wenn wir spüren, dass es ihm guttut.»

Sie waren in London beim Europa-League-Hinspiel gegen Tottenham. Sein Wunsch?

«Ich meine, es ist ja auch für uns toll, London besuchen zu gehen. Da auch seine Lebenspartnerin dorthin wollte, haben wir uns entschieden, zusammen zu gehen. Valentin hat uns dann alle eingeladen. Aber wissen Sie, wie viel vom Spiel wir gesehen haben?»

Keine Ahnung?

«34 Minuten.»

34 Minuten?

«Wir hatten Tickets ausserhalb des FCB-Sektors. Nach unserem Jubel beim 0:1 und 0:2 brannten gewissen Engländern die Sicherungen durch. Nach diesem Abend muss man mir nicht mehr von der feinen englischen Art reden. Wir hatten uns dann entschieden, zu gehen. Auch in Sitten hat man mich nach einem kleinen Freudenausbruch schon ‹bös› angeschaut. Nachdem ich den Leuten aber erklärt habe, dass der Torschütze mein Sohn ist, hatten sie Verständnis.»

Geniessen Sie’s einfach still.

«Das geht nicht immer. An Auswärtsspiele gehe ich nicht mehr.»

Sie haben als Visper immer noch eine enge Beziehung zum Wallis. Gilt das auch für Valentin (24) und ihre zwei anderen Söhne Lukas (26) und Nicolas (21) sowie Ehefrau Evelyne?

«Das gilt für die ganze Familie. Wir fuhren 15 Jahre nach Zermatt in die Skiferien, die Jungs kennen jeden Buckel. Und auch jetzt bauen wir im Oberwallis ein Ferienhaus. Auch das wird vielleicht so eine Insel sein. In Basel liegen sie Valentin zu Füssen, auf der anderen Seite haben die Walliser Berge ihn auch geprägt.»

Sie selbst sind dreifacher Schweizer Juniorenmeister im Tennis, haben aber auch im Fussball Talent gezeigt. Stimmt es, dass Ihr Vater Ihnen den Fussball verboten hat?

«Das ist so. Für ihn wars zu hart und zu gefährlich. Im Nachhinein erfuhr ich, wieso er so gedacht hat. Er hatte einen Bruder, der an einem Fussballspiel verstorben war.»

Mir wurde eine Geschichte zugetragen, die geht so: Sie fuhren heimlich mit den FC-Visp-Junioren an den Cupfinal der Junioren C, der Vater wusste nichts davon. Sie schossen zwei Tore, alles flog wegen dem entsprechenden Zeitungsartikel im «Walliser Boten» auf.

«Daran erinnere ich mich nicht mehr so genau. Aber es war meine Mutter, die mir heimlich Fussballschuhe besorgt hatte.»

Sie spielten offensiv, waren schnell und sollen ziemlich viel geredet haben - wie Ihr Sohn. Wenn Sie Valentin spielen sehen, denken Sie zuweilen daran, was Sie selbst hätten erreichen können im Sport?

«Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich erreicht habe. Aber es gibt tatsächlich viele Leute, die sagen mir, Sie sähen mich, wenn Sie meinen Sohn spielen sehen.»

Gemessen an dem, was Ihr Sohn austeilt, reklamiert er viel, sagen viele Leute.

«Die Leute bekommen nicht mit, was da unten auf dem Rasen auf diesem Niveau abgeht. Nach einem Spiel gegen Albanien war er am ganzen Körper rot. Seine Gegenspieler haben ihn immer auch noch gezwickt. Es gab auch Verteidiger, die ihm im Spiel gesagt haben, sie würden ihm beide Beine brechen. Ich denke, Valentin ist nicht einer, der anfängt. Aber er ist ganz sicher auch keiner, der die zweite Backe hinhält, wenn er eins auf die erste erhalten hat. Zudem hat er noch nie direkt Rot gesehen oder einen Gegenspieler ernsthaft verletzt. Eigentlich ist er die Liebenswürdigkeit in Person.»

Spieler wie Benjamin Huggel, Marco Streller oder Alex Frei haben Ihren Sohn sozusagen in Obhut genommen, als er ganz jung ins Fanionteam aufgenommen wurde. Haben sie Ihnen Arbeit abgenommen?

«Eigentlich schon. Sie haben uns Eltern in gewisser Weise entlastet. Es waren Mentoren. Junge Leute brauchen einen Mentor, Valentin hatte da Glück. Huggel war sehr wichtig, was die Einstellung betrifft. Er sagte ihm, es ist egal, wann du spielst, wichtig ist, dass sich die Leute an dich erinnern, wenn du spielst. Streller war sein emotionaler Mentor. Und bei Frei ging er in die Schule, was die Überzeugung betrifft.»

Kürzlich hat er in der «SonntagsZeitung» gesagt, er wisse gar nicht, ob er von Basel weg wolle. In Basel hat er als Fussballer alles, aber das nehmen wir ihm gleichwohl nicht ab.

«Valentin ist mit 16½ Jahren nach Basel gegangen. Inzwischen ist er fast der dienstälteste Spieler im FCB. Für ihn war eine Frage immer zentral: Wie weit bringe ich es? Also ist es der logische Schritt, dass er jetzt geht. Ich denke, er wird Basel im Sommer verlassen.»

In Richtung Bundesliga.

«Ja. Er hat einen Vertrag auf dem Tisch.»

Man redet von Werder Bremen oder Bayer Leverkusen.

«Möglich. Wichtig ist, dass ein Klub ihn auch unbedingt will. Und es gibt Klubs, die haben ihn schon seit Jahren auf dem Radar.»

Morgen steht der Cup-Halbfinal Sitten - Basel auf dem Programm. Für wen sind Sie?

«Ich bin froh, dass die beiden nicht im Final aufeinandertreffen.»

Christoph Stocker, Ihr Sohn hatte am letzten Freitag Geburtstag. Was haben Sie ihm geschenkt?

«Je eine Flasche Petite Arvine und Cornalin. Sie stammen vom Walliser Winzer Charles-André Lamon. Er ist ein FC-Sitten-Fan. Er sagte mir, wir sollten vor dem Cupspiel einen Schluck nehmen. Zumindest ich werde ihm diese Freude machen.»

Interview: Roman Lareida

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