Presseschau

NZZ am Sonntag vom 23.02.2014

Vormacht und Vorteil FC Basel

Der Schweizer Serienmeister stösst bei den Konkurrenten auf Anerkennung und Bewunderung. Aber sie sind gleichzeitig der Meinung, dass die Basler in der Liga einen Bonus haben. Von Peter B. Birrer

Ein Super-League-Trainer sitzt mit dem Rücken zum Heimstadion und zeigt auf die linke oder rechte Seite. Er will in Erinnerung rufen, welcher Penalty wann in welchem Strafraum in Spielen gegen den FC Basel unterschlagen oder frei erfunden worden sei. Anno 2011, 2012, irgendwann. Tenor: Alles für den FCB. Immer.

Bald darauf taucht die Statistik mit Elfmetern in gewissen Spitzenspielen der letzten Jahre auf. Quintessenz: Kein Vorteil für Basel, eher für die Konkurrenz.

Fan-Foren schwappen nach Matchberichten, Kommentaren und Kolumnen über. Fan-Sein bedeutet auch: nicht nur für etwas, sondern vor allem gegen etwas sein. Tenor: Das Böse lauert in Basel. Die Basler wehren sich. Polemiken generieren «Online-Klicks».

Fussballklubs und ihre Protagonisten verstehen es, auf emotionalem Boden Druck aufzubauen – auf Zuschauer, auf Medien, auf Schiedsrichter. Reklamationen sind oft taktischer Natur und noch öfter Ablenkungsmanöver. Es zeigt sich, dass der grösser werdende FC Basel bei der Konkurrenz neben Bewunderung auch Minderwertigkeitskomplexe und Neid provoziert. Es offenbart sich, dass der FCB mit 25 000 Zuschauern im Rücken schon in seiner Manege allein von ganz anderer Wasserverdrängung ist als etwa der FC Lausanne-Sport in der leeren Pontaise oder GC im weiten Letzigrund-Oval.

Fünf Entscheidungsträger im Schweizer Klubfussball äussern sich zum mächtigen FCB und zur Frage: Bonus Basel?

Alex Frei Sportchef FC Luzern

Die Liga und ihre Nummer 1

«In den nächsten 5 bis 10 Jahren wird die Dominanz des FC Basel in der Schweiz grössere Auswirkungen haben als diejenige des FC Bayern München in der Bundesliga. Die ökonomische Differenz kann in Deutschland vermutlich besser aufgefangen werden, auch wegen der Fernsehgelder. Mainz ist für mich ein prächtiges Beispiel. Nicht nur der FCB macht gute Transfers. Josip Drmic kam vom FCZ – und er schlägt in der Bundesliga ein. Daran muss man sich orientieren.»

Bonus Basel?

«Wir müssen davon wegkommen, jeden Montag Diskussionen über Schiedsrichter zu führen. Die gehen einer Arbeit nach und befassen sich erst am Freitag mit dem nächsten Spiel. Man muss den menschlichen Aspekt beachten: Es ist einfacher, ein Spiel vor 3200 als vor 32 000 Zuschauern zu leiten. Es kann sein, dass es einen kleinen Basel-Bonus gibt, wenn etwas auf der Kippe steht. Es ist auch etwas anderes, wenn Marco Streller mit seiner Erfahrung spielt oder einer, der erst 12 Super-League-Partien hinter sich hat. Ich habe das Gefühl, dass sich die Dinge im Lauf einer Saison ausgleichen. Das dachte ich schon, als ich in Basel war. Ich hatte in meinen Jahren in Dortmund nie das Gefühl, dass die Bayern bevorteilt werden.»

Fredy Bickel Sportchef Young Boys

Die Liga und ihre Nummer 1

«Der FCB ist mehr denn je das Mass aller Dinge, der Schweizer Fussball hat Basel viel zu verdanken. Wir haben mit YB die Chance, in die Nähe des FCB zu kommen. Aber dazu braucht es viel: Mut, Wille, Geduld, Cleverness. Wir müssen Lücken bei Basel und Vorteile bei uns suchen. Es kann ein Trumpf sein, dass einige junge Spieler nicht mehr zuerst an den FCB denken – wegen des grossen Konkurrenzkampfes, in dem schon manch einer stecken geblieben ist. Oder vielleicht hat man irgendwann ausserhalb von Basel mehr Hunger auf einen Meistertitel.»

Bonus Basel?

«Der ist für mich gegeben, aber ich verwende dies nicht gegen den FCB, weil sich der Klub den Bonus selber erschaffen hat. Ich nehme die Schiedsrichter zum Teil in Schutz. Sie sind nicht in der Bundesliga tätig, wo jedes Wochenende 30 000 und mehr Zuschauer kommen. Die Ambiance im St.-Jakob-Park ist für die Schweizer Schiedsrichter nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Zudem verhalten sich die Basler clever. Da kann man immer etwas abschauen und herauszufinden versuchen, was einem noch fehlt. So müssen unsere Führungsspieler vielleicht mehr Präsenz bei den Unparteiischen markieren, vielleicht müssen wir auch neben dem Feld dominanter, ein bisschen böser auftreten. Was trotzdem bleiben wird: Es wird anders wahrgenommen, wenn der an Wil ausgeliehene YB-Stürmer Tabakovic oder Streller im Strafraum fällt. Was nicht mehr vorkommen sollte, ist eine Fülle von Fehlentscheidungen wie in den letzten beiden Partien zwischen YB und Basel. Auch vom Verband erwarte ich künftig plausible Erklärungen, weshalb der FCB im Schweizer Cup einen Platzabtausch durchbringt und andere nicht.»

Christian Constantin Präsident FC Sion

Die Liga und ihre Nummer 1

«Der FC Basel hat sehr viel, die Infrastruktur, das Publikum, die Spieler, die Transfers. Ich sehe das Übergewicht nicht als Problem, weil offenbar die Konkurrenz den FCB zu guten Leistungen antreibt. Wenn das anders wäre, könnte Basel nicht dieses Niveau halten. Ich behaupte: 80 Prozent der 36 Ligaspiele sind für den FCB nicht einfach. Der Fussball besteht aus Zyklen. Basel ist in einem herausragenden Zyklus. Aber es wird der Tag kommen, an dem Streller oder Stocker ersetzt werden müssen. Das ist nicht einfach. Oder es stimmt sonst etwas nicht, was auch immer. Stabilität ist ein rares Gut. Die Saison läuft für den FC Sion nicht gut, aber so weit von Basel weg sind wir trotzdem nicht.»

Bonus Basel?

«Das Gewicht des Klubs zeigt sich in den Sanktionen der Schiedsrichter, nicht immer, aber es kommt vor. Unser früherer Stürmer Giovanni Sio sagt mir, dass es etwas anderes sei, wenn du als Basel-Stürmer im Strafraum hinfällst. Ich behaupte: Serey Die hat als Spieler des FC Sion mehr gelbe und rote Karten gesehen als heute in Basel. Das ist in allen Ligen so. Mein Eindruck ist, dass PSG, Bayern München oder Barcelona ihre Spiele oft deutlicher gewinnen als Basel in der Schweiz. Klare Resultate entschärfen Spielleitungs-Debatten. Ein merkwürdiges Beispiel aus dem Schweizer Verband ist: Basel konnte den Cup-Match gegen Le Mont im eigenen Stadion austragen, also das Stadion tauschen – YB nicht. Weshalb?»

Alain Joseph Präsident FC Lausanne-Sport

Die Liga und ihre Nummer 1

«Ich bewundere die Arbeit in Basel. Sie ist tausendmal besser als das, was Paris St-Germain und Monaco in Frankreich mit ihrem Geld von irgendwoher tun. Der FC Basel ist für mich der FC Bayern München der Schweiz. Ein einziges Erfolgsmodell. Zuerst das Geld von Gigi Oeri, dazu die Dynamik mit dem Trainer Christian Gross, die Weiterentwicklung unter Präsident Bernhard Heusler. Der Klub nimmt Treppenstufe um Treppenstufe und bleibt mit den Füssen am Boden. Der FCB geht unsere jungen Spieler auch nicht mehr im Alter von 15 oder 16 an, sondern erst, wenn sie 19 oder 20 sind.»

Bonus Basel?

«Zuerst betone ich: Wir sind unseretwegen Tabellenletzter, nur deswegen. Die Basler haben viel Gewicht in der Liga, das reicht bis in die Nationalmannschaft. Wir leben in einer ökonomischen Welt. Die Grösse, wie sie der FCB entwickelt hat, gibt immer Macht. Basel hat demzufolge auch auf dem Terrain Vorteile. Das wurde mir klar, als wir in Basel 0:2 verloren. Dort passierte allerhand. Unter anderem gerieten Stocker und Chakhsi aneinander. Beide wurden des Feldes verwiesen. Aber da wurde nicht der gleiche Massstab angewandt. Als ich nach dem Spiel mit der Spielleitung reden wollte, sah ich schnell, wo Differenzen liegen. Alain Joseph ist in gewissen Momenten ein Niemand, Streller kennen dafür alle. Ich habe Verständnis, wenn man für gewisse Personen Bewunderung empfindet. Ich möchte als Fussballfan auch eher einen Abend mit Streller verbringen als mit dem Lausanne-Captain Guillaume Katz. In Frankreich ist das mit Ibrahimovic nicht anders. Ich will nicht polemisieren: Aber es ist ein Unterschied, ob sich auf dem Terrain Chakhsi beim Referee meldet – oder drei berühmte Basler Spieler. Damit wir uns richtig verstehen: Das ist nicht der Fehler des FCB. Er macht nichts falsch. Ich sage nur: Er hat Vorteile. Man hat als Konkurrent das Recht, sich Fragen zu stellen.»

Dragan Rapic Sportchef Grasshopper-Club

Die Liga und ihre Nummer 1

«Das wirtschaftliche Gewicht des FCB ist enorm geworden. Die Begeisterung in der Stadt, das Stadion, die Zuschauerzahlen, der Erfolg, der Europacup, die Transfers. Da kommt viel zusammen. Das Niveau ist hoch. Basel hat 20 bis 22 gute Super-League-Spieler und kann Stocker und Diaz einwechseln. Die Konkurrenz kann qualitativ auf ein weniger breites Kader zurückgreifen. Das alles kann für die Liga irgendwann zum Problem werden. Vielleicht ist es jetzt schon eines: Basel ist viermal in Serie Meister geworden.»

Bonus Basel?

«Ich kam mir auf der Heimfahrt auch schon wie im falschen Film vor, zum Beispiel, als 2012 beim Stand von 0:1 ein streng gepfiffener Penalty gegen uns gegeben wurde, wir dazu zwei Offsidetore erhielten und am Ende 0:4 verloren. Da fühlte ich mich ungerecht behandelt. Die Basler sind clever und wissen dies in gewissen Situationen zu ihren Gunsten auszunutzen – auch dank ihrer internationalen Erfahrung.»

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