Presseschau

NZZ am Sonntag vom 14.04.2013

Heulen, siegen, singen

Heute Sonntag tritt Alex Frei als Spieler zurück. Der Basler war so erfolgreich und so umstritten wie kaum ein anderer Schweizer Fussballer. Keiner hat so viele Tore geschossen für das Nationalteam – und keiner wurde so oft ausgepfiffen. Alex Frei über besondere Momente seiner Karriere

1. Schalkes Goalie Neuer ist geschlagen, Frei wird zum Helden. (Dortmund, 12. 5. 2007)

Flanke Metzelder, 1:0 von mir für Borussia Dortmund. Brisant an diesem Derby war, dass Schalke deutscher Meister geworden wäre, hätten sie diese Partie gewonnen. In dieser Gegend ist das gleichbedeutend mit Hochverrat. Wir haben uns wahnsinnig ins Zeug gelegt, dass es nicht so weit kommt. Mit einem derartigen Tor, wie es mir dort gelungen ist, erlangst du Heldenstatus in Dortmund.

2. Goalie Thierry Bally tröstet Frei nach dem Aus an der U-21-EM. (Basel, 21. 5. 2002)

Die «Titanen» – das war eine unglaubliche Mannschaft. In den 2000er Jahren war dieses Team Vorreiter für viele spätere Erfolge der A-Nationalmannschaft. Auch für den Klubfussball in der Schweiz hat die Gruppe unglaublich viel getan. Sie hat Euphorie geweckt und gezeigt, dass die kleinen Schweizer mehr können, als nur ehrenvoll zu verlieren. Wenn du heute jemanden fragst, der dabei war, egal ob André Muff oder Johan Berisha, werden dir alle sagen, dass es die geilste Mannschaft war, in der sie je gespielt haben. Ich war nach dem verlorenen Halbfinal gegen Frankreich traurig, weil ich wusste, dass die schöne Zeit in der U 21 jetzt vorbei ist. Ich war aber nicht der Einzige, der geweint hat, alle haben geheult.

3. Barnetta (l.) und Lichtsteiner ermutigen Frei nach Pfiffen. (Basel, 12. 10. 2010)

Das EM-Qualifikationsspiel gegen Wales war eine der schmerzhaftesten Erfahrungen meiner Karriere. Die Pfiffe aus dem Publikum haben mich ungemein getroffen, Ich finde sie nach wie vor eine Frechheit, und ich wünsche niemandem, dass er diese Erfahrung machen muss. Man sieht aber auch an der Reaktion meiner Kollegen, dass sie absolut kein Verständnis hatten, wie die Leute mit mir umgingen.

4. Innige Umarmung: Olivier Monterrubio gratuliert Frei zu vier Toren gegen Marseille. (Rennes, 21. März 2004)

Rennes war ein kulinarisches Highlight und genau der richtige Klub für einen Spieler aus der Schweiz, der im Ausland reüssieren will. Wahrscheinlich waren Olivier Monterrubio, Kim Kallström, Olivier Sorlin und ich über drei Jahre das beste offensive Quartett, das die Ligue 1 damals hatte.

5. Die «Spuck-Affäre»: Pierre Benoit vom Verband und Frei vor den Medien. (20. 6. 2004)

Manchmal sagen Bilder mehr als tausend Worte. Meine Gefühlslage in diesem Moment war ehrlich gesagt so, dass ich am liebsten unter den Tisch gekotzt hätte. Was passiert ist, gehört zu meiner Karriere – für den Akt selber, das Spucken, übernehme ich Verantwortung. Für alles, was danach kam, nicht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

6. Nina, die deutsche Ehefrau, ist in die Schweiz gezogen. (Basel, 26. Mai 2012)

Ich bin froh, hat meine Frau nicht nur den Schritt in die Ehe mit mir gewagt, sondern ist sie auch in die Schweiz gekommen. 700 Kilometer weit weg von ihren Eltern, das finde ich nicht selbstverständlich. Sie hat viel auf sich genommen, musste pendeln, um ihr Studium in Bielefeld zu beenden. Sie hat es aus Überzeugung und Liebe getan – das ist toll. Die Beziehung hat mich ruhiger gemacht. In den letzten fünf, sechs Jahren war ich drei-, viermal im Ausgang; früher kam das wesentlich häufiger vor. Die Prioritäten haben sich verschoben – noch viel mehr seit der Geburt meiner Tochter.

7. Junger «Titan». (Zürich, 12. 12. 2002)

Das war eine Aufnahme für die Kampagne der «Titanen». Es gehört eher in die Rubrik: «War jung und brauchte Geld.» Auch wenn wir damit natürlich nichts verdienten. Peinlich ist es mir nicht, aber jetzt würde ich es nicht mehr machen. Damals hatte man das Gefühl, das sei eine saugute Foto. Dieser Meinung ist man heute eher nicht mehr.

8. Die Heim-EM ist zu Ende. (7. 6. 2008)

Ich war vor der EM 2008 im eigenen Land verletzt, kämpfte mich heran und kam rechtzeitig in Topform. Für mich war nicht die Frage, ob ich im Auftaktspiel gegen Tschechien ein Tor schiesse, sondern wann. Dann verletzte ich mich nach 43 Minuten am Knie. In diesem Moment habe ich nicht geweint, weil ich wusste, dass das Turnier für mich zu Ende war, sondern weil mir klar war, dass die ganze Plackerei von vorne beginnen würde. Ich war fünf Wochen zur Rehabilitation in Magglingen. Dort habe ich es aber auch genossen – alle haben sich um mich gekümmert, sie hatten mich gern und haben mir Wertschätzung gegeben. Die Verletzung kam für mich in einem schlechten Moment, weil ich in Dortmund mit Jürgen Klopp einen neuen Trainer hatte. Ich fiel drei Monate aus; ich hatte keine guten Karten.

9. Cup-Sieg und erster Pokal mit dem FCB: Mit Frei freut sich Shaqiri. (Basel, 9. 5. 2010)

Du bist angespannt vor einem Cup-Final, das ist normal. Aber uns allen war klar, dass wir Lausanne schlagen werden. Im FC Basel lernst du, dass du auf das Feld gehst und gewinnst. Es war mein erster Titel nach meinem Armbruch, danach sind wir noch Meister geworden. Bereits im ersten Jahr nach meiner Rückkehr haben wir das Double geholt. Da war klar, dass das Projekt, das der FC Basel und ich eingegangen sind, erfolgreich ist. Zum Glück – es war teuer für den Verein und nicht frei von Risiken. Das kleine Wiesel neben mir, Xherdan Shaqiri, hat sich so entwickelt, dass ich mit Freude seine Spiele anschaue.

10. Vertrauensperson: Köbi Kuhn und sein Captain. (Fort Lauderdale, 23. März 2007)

Köbi Kuhn hat nicht auf mich gesetzt, als ich 17, 18 war. Für mich war das in Ordnung. Ich war in der Lehre und dachte, ich könne Berufliches, Schulisches und die Juniorenauswahlen nicht unter einen Hut bringen. Mit Kuhn hatte ich später aber eine tolle Beziehung. Er war eine Vaterfigur für das Team, auch wenn das die Leute ausserhalb belächelt haben. Er wusste, wie man junge Menschen führt. Das ist entscheidend im Fussball, um erfolgreich zu sein. Für mich ist er heute noch Herr Kuhn. Ich weiss nicht, ob ich das je ändern möchte. Wir hatten ein Vertrauensverhältnis, wie ich es selten in meiner Karriere hatte. Natürlich habe ich mich über meine Auswechslung vor dem Penaltyschiessen im Viertelfinal an der WM 2006 geärgert. Heute würde er es nicht mehr so machen. Aber er war ja auch nicht allein verantwortlich, es sassen noch sieben andere auf der Bank. Ich glaube, er hatte einfach ein Blackout. Heute würde ich vielleicht einfach nicht mehr rausgehen – oder ihn zumindest fragen, ob er sicher sei, dass er wisse, was er tue.

11. Erster Meistertitel mit Basler Freunden: Huggel, Streller, Frei. (16. Mai 2010)

Der erste Meistertitel mit dem FCB. YB hatte 13 Punkte Vorsprung, aber wir haben mit dem Trainer Thorsten Fink immer daran geglaubt, dass wir es packen können. Die vier Jahre in Basel waren so cool, weil ich mit Freunden spielen konnte. Es hat alles gepasst, es sind Jungs aus der Region, die in der Liga für Furore gesorgt haben. Eine Werbekampagne für Chips. Für mich war das ganz in Ordnung, für ein paar andere Leute weniger. Man konnte sich wieder über mich auslassen, mich kritisieren. Ich verstehe, dass es nicht jedem gefällt, aber man kann sich ja einmal selber auf die Schippe nehmen, zeigen, dass man noch andere Seiten hat als Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Mir ist aber schon klar, dass ich nicht singen kann. Aufgezeichnet von Christine Steffen

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