Presseschau

Aargauer Zeitung vom 22.10.2015

«Da habe ich wohl den Beruf verfehlt»

Fussball · Er ist beim FC Basel der Mann der Stunde – Marc Janko über Demütigungen, Breel Embolo und Esoterik

Sebastian Wendel

Nach der rauschenden Qualifikation ohne Niederlage – wird Österreich im Sommer 2016 Europameister?

Der Wille steht ausser Frage. Jedoch denken wir von Schritt zu Schritt.

Die Griechen haben es 2004 auch geschafft.

Wir haben auf jeden Fall das Potenzial dazu. Aber es wird sehr, sehr schwer.

In Österreich die riesige Euphorie, ganz anders in der Schweiz: Die EM-Qualifikation ist zwar geschafft, aber keiner freut sich.

Ja, aber das ist doch menschlich. Die Schweiz war in den letzten Jahren bei fast jedem Grossereignis dabei, da kehrt eine Selbstverständlichkeits-Mentalität ein. Das wird in Österreich genauso sein, wenn wir es nun öfters schaffen.

Wir geben zu: Früher haben wir über euch Österreicher gelacht.

Ist ja auch okay. Ich habe schon mitgespielt, da haben 50000 Leute gepfiffen, obwohl das Spiel erst wenige Sekunden alt war. Einfach, weil wir Nationalspieler die Deppen waren. Aber wir haben es geschafft, den richtigen Weg einzuschlagen und uns sehr eindrucksvoll qualifiziert für die EM.

Im Mittelpunkt steht mit Marcel Koller ein Schweizer.

Anscheinend kann ich ganz gut arbeiten mit Schweizern… (lacht)

Ist Koller der Schlüssel zum Erfolg oder spielt da gerade eine goldene Generation?

Ich würde schon sagen, ein grosser Teil ist Koller zuzuschreiben. Er hat das Team zu einer Einheit geformt. Gesehen hat man das in engen Spielen. Diesen Mythos von den «elf Freunden» leben wir.

Denken Sie daran, nach der EM aus dem Nationalteam zurückzutreten?

Das hängt damit zusammen, ob Marcel Koller als Trainer weitermacht. Wenn ja, kann ich mir eine Zukunft vorstellen, falls er mich überhaupt noch will. Ich traue mir zu, noch eine weitere Qualifikation zu spielen. Wenn ein anderer Trainer kommt, muss ich mir schon genau überlegen, ob ich dabei sein möchte.

Mödling, Salzburg, Enschede, Porto, Trabzon, Sydney, Basel – Marc Janko, was hat Sie zu dieser Odyssee getrieben?

Eine Karriere kann man zwar planen, heraus kommt es dann meistens anders. Mödling ist mein Heimatverein, dort bin ich gross geworden. Nach einem halben Jahr bei den Profis der Wechsel nach Salzburg, wo ich fünf wunderbare Jahre erleben durfte. Holland war ein Zwischenschritt, ich wollte nicht direkt in eine Topliga gehen. Wir hatten Erfolg, ich habe Tore erzielt, weshalb dann der FC Porto angeklopft hat. Da musste ich keine zwei Sekunden überlegen.

Ein untypischer Transfer für Porto, das sonst junge Spieler ein- und später mit viel Marge verkauft. Sie waren damals aber bereits 28.

Sie haben mir gesagt, sie hätten Probleme vorne drin, diese zu lösen sei meine Aufgabe. Ein paar Monate später hat der Klub den Jackson Martinez verpflichtet und mir gesagt, sie würden voll auf den bauen, komme, was wolle. Das fand ich eine super ehrliche Vorgehensweise, nicht immer selbstverständlich in diesem Business. Ich hab dann meinem Manager gesagt, ich möchte keine Nummer 2 sein, er solle etwas suchen. Egal wo, ich wollte einfach spielen, um den Platz in der Nationalmannschaft zu behalten.

Der Weg führte in die Türkei…

…womit der Abstieg auf der Karriereleiter begann. Die Zeit dort war eine Katastrophe. Nach diesen zwei Jahren war ich nicht mehr attraktiv für andere Vereine in Europa, so war Sydney für mich die einzige ernstzunehmende Option. Nach Australien zu gehen, war eine super Lebenserfahrung.

Es war lange unklar, ob Sie Profi werden. Was unterscheidet Sie dadurch von den Teamkollegen?

Ich hatte auf jeden Fall eine Karriere, in der mir nichts geschenkt wurde. In Nachwuchs-Nationalmannschaften wurde ich praktisch nie berücksichtigt. Und als dann mit 19 Jahren das Militär anklopfte, konnte ich keine Einsätze in der Junioren-Nationalmannschaft vorweisen, um die siebenwöchige Sportlerausbildung zu machen. Ich musste neun Monate durchziehen, das hat mich weit zurückgeworfen.

Was haben Sie gemacht im Militär?

Dank der guten Kontakte meiner Eltern konnten wir es so lenken, dass ich nach den ersten acht Wochen, die für alle Absolventen gleich sind, in der Kantine arbeiten konnte. Von früh morgens bis zum frühen Nachmittag habe ich am Buffet Esswaren ausgegeben. Danach konnte ich mit dem Rad zum Training fahren.

Der absolute Tiefpunkt Ihrer Karriere waren die zwei Jahre bei Trabzonspor. Haben Sie sich im Voraus überlegt, ob Sie überhaupt in die Türkei passen?

Ich wusste, im türkischen Fussball gibt es nur Schwarz und Weiss, Held oder Loser. Es begann vielversprechend: Sie haben alle Forderungen erfüllt, mich mit dem Privatjet eingeflogen und so untermalt, wie sehr sie mich wollen. Dann kam das erste Gespräch mit Trainer Senol Günes – er fragte mich: Wer bist du? Wo spielst du? Da war der Vertrag leider schon unterschrieben, es gab kein Zurück mehr.

Hat nur die Frage gefehlt, ob Sie nicht Basketballer seien …

...oder so ähnlich. Anfangs kam ich dann tatsächlich nur zu ein paar Kurzeinsätzen, bis Senol Günes entlassen wurde. Der neue Trainer war ein ehemaliger Mitspieler von mir, das Verhältnis war anfangs gut. Er sagte: Du bist gut, du bist toll, wir forcieren dich jetzt. Alles bla, bla, bla. Es kam das Spiel gegen Fenerbahce. Die Fans der beiden Klubs hassen sich, während der Spiele fliegen Messer auf den Platz. Wir haben 0:3 verloren. Der Trainer kam am nächsten Tag zu mir und sagte: Du bist schuld. Er hat mich dann rausgeworfen mit einer richtig demütigenden Geste.

Erzählen Sie.

Auf dem Trainingsgelände gab es ein Restaurant, in dem wir nach jedem Training gemeinsam gegessen haben. Ich ging an jenem Tag zum Buffet, habe Essen auf meinen Teller geladen, als der Captain plötzlich neben mir stand und sagte: Marc, du musst das Trainingsgelände verlassen, der Trainer will dich nicht mehr sehen. Ich sagte, ich esse noch auf und gehe dann. Nein, sagte er, ich müsse sofort gehen. So musste ich vor den Augen der ganzen Mannschaft aufstehen, den Teller stehen lassen und den Raum verlassen. Netterweise hat mir dann meine Frau zuhause etwas gekocht.

Wie ging es weiter?

Wenn die Mannschaft am Morgen trainierte, durfte ich erst am Nachmittag kommen. Ich durfte mit niemandem vom Profiteam sprechen. Der Verein stellte mir einen Jugendtrainer zur Verfügung, der glücklicherweise Englisch konnte und seinen Beruf beherrschte. Ich trainierte ganz alleine, ohne Mitspieler, ohne Torhüter. Aber ich wollte den Leuten zeigen, dass sie mich nicht brechen können. So habe ich den Spiess umgedreht und immer wieder gefragt, ob ich noch öfters kommen darf.

Haben Sie da den Glauben an die Menschlichkeit verloren?

Nein, nein. Mir war schon damals bewusst, dass das Profileben eine Blase ist. Komplett anders, als dass ich es mir als kleiner Junge ausgemalt habe. Viele Leute, die am Küchentisch Zeitung lesen, haben keine Ahnung, was wirklich vor sich geht. Da passieren so viele Dinge, die auf der einen Seite total unlogisch und unfair scheinen. Auf der anderen Seite heisst es dann, der Spieler verdient so viel Geld, der muss das aushalten. Das zu akzeptieren, ist nicht immer einfach.

Da kommt der FC Basel mit seiner familiären Atmosphäre recht.

Ich hatte richtig viel Glück, dass die Verantwortlichen sich gemeldet haben. Ich spürte sofort, dass das passen könnte. Urs Fischer ist ein überragender Typ, sehr menschlich, er kommuniziert sehr gern, das gefällt mir sehr.

Stimmt es, dass die Initiative für den Transfer von Ihnen auskam, nachdem Sie gehört haben, dass Marco Streller aufhört.

Ich habe von seinem Rücktritt gehört und meinem Berater gesagt, er solle das im Hinterkopf behalten, ich könnte mir das vorstellen, wenn Basel sich bei ihm meldet. Wie es am Ende gelaufen ist, wie viel auch Marcel Koller dazu beigetragen hat, das weiss ich jetzt nicht mehr so genau.

War es schwierig, aus Strellers Schatten herauszutreten?

Es war bei meinen Wechseln immer so, dass ich die Nachfolge eines sehr verdienstvollen Stürmers angetreten habe. Bei Twente Enschede etwa haben sie an dem Tag, als ich ankam, vor dem Stadion gerade eine Bronzestatue von Blaise N’Kufo enthüllt. Oder in Sydney war ich der Nachfolger von Alessandro del Piero. Die Situation war also nicht neu. Ich habe es bislang immer geschafft, eine eigene Identität aufzubauen im Laufe der Zeit.

Was raten Sie mit Ihren Erfahrungen Breel Embolo, der eine grosse Karriere vor sich hat?

Dass er den nächsten Schritt weise wählt. Dass er zu einem Klub geht, wo nicht nur der Trainer ihn will, sondern der ganze Verein. Und dass es dort eine klar erkennbare Philosophie gibt und er Perspektiven hat, oft zum Einsatz zu kommen.

Die Psychologie gehört zu Ihren Hobbys, wie die Esoterik.

Das entstand in der Verletzungszeit. Ich probiere immer wieder, das grosse Ganze zu sehen. Die Esoterik half mir, positiv zu bleiben. Es ist witzig, wie das Thema in den Jahren darauf auch in der Wissenschaft gegriffen hat, etwa in der Quantenphysik, mittlerweile wird anerkannt, dass die Kraft der Gedanken Materie verändern kann.

Hatten Sie je einen Mentaltrainer?

Nicht regelmässig. Im Nationalteam gibt es seit Marcel Koller auch einen. Ich finde, dass die Möglichkeit im Profisport viel zu selten genutzt wird. Es wird dann das Klischee abgerufen und es heisst, der Sportler sei mental krank, der hat einen Knacks in der Schüssel.

Astrologie?

Meine Mutter hat eine Ausbildung darin gemacht, ich schau ab und zu mal rein in das Thema.

Sie sind Krebs – was sagt das über Ihren Charakter aus?

Sehr feinfühlig, sensibel, Gerechtigkeitssinn, den Drang, sich nach Enttäuschungen ins Schneckenhaus zurückzuziehen – alles Attribute, die im Profisport nichts wert sind. Da habe ich wohl den Beruf verfehlt (lacht).

Mit was beschäftigen Sie sich, wenn gerade kein Training oder Spiel stattfindet?

Mit sehr vielem eigentlich – ich bin sehr kulturinteressiert, informiere mich über die Zeitgeschichte.

Ihre Frau ist Polizistin. Leben Sie gefährlich?

Sie arbeitet als Zwischenbeamte bei Europol. Ein gefährlicher Beruf für mich als Ehemann, sie ist ja quasi eine Agentin (lacht).

Wird es den Trainer Marc Janko geben?

Momentan ist das unvorstellbar.

Sie hätten einen Vorteil – Sie könnten auf die Spieler hinunterschauen.

Stimmt – aber das ist psychologisch schlecht, wie in dem Gespräch hoffentlich herausgekommen ist (lacht).


Marc Janko

Janko kam am 25. Juni 1983 in Wien zur Welt, er ist der Sohn der früheren österreichischen Speerwurf-Grösse Eva Janko. Jankos Markenzeichen sind seine Körpergrösse (196cm) und sein Torinstinkt – seit seinem Wechsel zum FCB im vergangenen Sommer traf er in 14 Pflichtspielen 10-mal. Für die österreichische Nationalmannschaft erzielte er in 50 Spielen 25 Tore. Im Team des Schweizer Trainers Marcel Koller bekleidet Janko die Hauptrolle in der Offensive.

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