Basler Zeitung vom 10.08.2016
Renato Steffen hat auch beim FC Basel gemacht, was er immer macht: Sich durchgesetzt
Von Tilman Pauls
Basel. Diese Woche begann für Renato Steffen damit, dass er mit einigen seiner Mitspieler des FC Basel im Lift stecken blieb. Nicht lange, fünf Minuten bloss, ehe Verteidiger Michael Lang sich zum kleinen Helden des Tages aufschwang, die Aufzug-Tür öffnete und die rotblaue Gruppe wieder in die Freiheit entliess. Aber irgendwie war dieses Bild durchaus treffend für Steffens Situation: Denn ein technischer Defekt, das ist offenbar das einzige Hindernis für den 24-Jährigen. Und das, nachdem er im Januar, nach einem wochenlangen Hin und Her, nach isolierten Trainings und öffentlicher Kritik seines Sportchefs Fredy Bickel von Bern nach Basel gewechselt ist.
Doch Steffen hat sich davon ebenso wenig aus der Ruhe bringen lassen wie von der offenen Ablehnung der Basler Fans, die ihm in seinen ersten Spielen entgegenschlug. Er hat einfach gemacht, was er immer gemacht hat in seiner Karriere: sich schnell an das neue Umfeld anpassen und dann durchsetzen. Zwar verpasste Steffen wegen einer Muskelverletzung, die er sich im letzten Duell gegen seinen ehemaligen Club aus Bern zuzog, die EM in Frankreich. Doch in der neuen Saison nimmt er schon wieder eine tragende Rolle ein. Trotz der Konkurrenz kam er in dieser Saison in allen Spielen zum Einsatz und auch im heutigen Heimspiel gegen die Young Boys (20.30 Uhr,
SRF?info
) dürfte er ein wichtiger Baustein sein, wenn der FCB den vierten Sieg im vierten Spiel anstrebt.
BaZ:
Renato Steffen, Sie spielen jetzt seit rund einem halben Jahr für den FC Basel – wie hat Sie diese Zeit verändert?
Renato Steffen:
Ich denke nicht, dass mich diese sechs Monate in Basel als Menschen grundlegend verändert haben, ich bin immer noch die gleiche Person wie vorher. Sportlich habe ich sicher noch mal einige Dinge dazugelernt, besonders taktisch. Und auch menschlich bin ich in gewissen Dingen weiter als vor einem halben Jahr, das ist ja normal, wenn man in eine Gruppe kommt und dort neue Menschen und Freunde kennenlernt. Aber ein komplett anderer Mensch? Nein!
In welchen Bereichen haben Sie sich denn menschlich weiterentwickelt?
Ich würde schon sagen, dass ich in gewissen Situationen noch ruhiger geworden bin. Überlegter.
Ruhiger?
Ich habe ja immer gesagt, dass ich gewisse Emotionen in meinem Spiel brauche, um der Fussballer zu sein, der ich bin. Aber ich setze diese mittlerweile anders ein.
Inwiefern?
Früher war das auf dem Platz häufig verbal, mal ein Spruch, mal ein Gerangel mit meinen Gegenspielern abseits des Geschehens. Aber jetzt versuche ich, die Emotionen in meine Aktionen zu legen und mich auf mein Spiel und das meiner Mannschaft zu konzentrieren. Nicht mehr zu sehr auf den Gegner.
War das eine bewusste Entscheidung oder ist Ihnen das bei Ihrem Wechsel vom FC Basel sogar bewusst nahegelegt worden?
Nein, das nicht. Aber als ich nach Basel gekommen bin, habe ich mir natürlich einige Gedanken darüber gemacht, ob ich so weitermachen kann wie bisher. Ich habe zwar gesagt, dass ich mich nicht verbiegen lassen will – aber die Art und Weise, wie ich Fussball spiele, provoziert nun mal, das weiss ich. Ich habe mitbekommen, dass es bei vielen Zuschauern nicht gut angekommen ist, wenn ich meine Gegenspieler provoziere. Und da habe ich mir gesagt: Ich muss nur etwas Kleines ändern, um anders und vielleicht auch positiver wahrgenommen zu werden.
Der Plan ist aufgegangen: Die anfangs grosse Kritik an Ihnen ist innerhalb von wenigen Spielen – und Toren – in sich zusammengefallen.
Ich habe gehofft, dass ich die meisten Zuschauer von mir überzeugen kann, wenn ich immer alles für den FCB gebe. Darum habe ich mir zu Beginn fast zu viel Druck gemacht. Ich wollte alles auf einmal. Zum Glück ist das auch aufgegangen, denn wenn es nicht direkt funktioniert hätte, dann hätte ich ganz bestimmt nicht so ein einfaches Halbjahr erlebt.
Haben Sie, abgesehen von den Pfiffen im Stadion, auch negative Dinge erlebt?
Ich habe versucht, mich der ganzen Diskussion zu entziehen und habe mich nicht zu oft in der Öffentlichkeit gezeigt, um unangenehme Zwischenfälle gar nicht erst entstehen zu lassen. Nur ein Mal gab es eine kleine Situation, als ich mit meiner Familie in der Stadt war, beim Einkaufen, und mir eine Person ziemlich direkt gesagt hat, dass ich nichts in Basel verloren habe und wieder verschwinden solle.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe gesagt, dass ich kein Problem damit habe, wenn man anständig mit mir redet und sagt: Ich bin kein Fan von dir und deiner Spielweise. Es wird immer Leute geben, die ein Problem mit mir haben, das kann ich auch gar nicht ändern. Aber mich vor meiner Familie verbal anzugehen; das ist auch eine Frage des Respekts.
Auch die Kommentare in den sozialen Medien nach Ihrem Wechsel waren teilweise klar unter der Gürtellinie. Haben Sie das überhaupt mitbekommen?
Ich bin ein Typ, der versucht, alles zu lesen, es interessiert mich, was die Leute von mir denken. Das kann manchmal wehtun, klar, es führt aber auch dazu, dass man sich hinterfragt. Ich bin ein Typ, der immer offen auf Menschen zugeht und das würde ich mir öfter auch von anderen wünschen. Aber mittlerweile ist die Kritik auch im Internet zurückgegangen. Ich glaube, die meisten haben ein Bild von mir, das meinem wahren Charakter ziemlich nahekommt.
Bald werden Sie sich also auch wieder in die Stadt trauen?
Es ist nicht so, dass ich mich bisher nicht getraut hätte. Aber ja, klar, ich denke, als Spieler sollte man die Stadt des Clubs kennen, für den man spielt.
Auch der zu Beginn befürchtete Konflikt zwischen Ihnen und Taulant Xhaka hat nie stattgefunden?
Nein, Tauli und ich teilen mittlerweile sogar das Zimmer im Hotel.
Ist es gar kein Problem, dass Sie in der Vorsaison aneinandergeraten sind?
Nein, wir haben uns gleich zu Beginn ausgesprochen und diese Szene aus dem Spiel zwischen YB und dem FCB ist längst vergessen. Vor dem Spiel gegen Luzern haben wir uns das Video noch mal angeschaut, um zu sehen, wer überhaupt was gemacht hat (lacht).
Jetzt treten Sie gemeinsam gegen die Young Boys an, Ihren Ex-Club. Ist das noch speziell oder schon Alltag?
Es ist immer besonders, wenn man gegen seine Freunde und ehemaligen Mitspieler spielt – nur die letzte Erinnerung ist leider nicht so positiv.
Sie haben sich verletzt und darum die EM in Frankreich verpasst.
Ja. Leider.
Aber hatte das nicht auch den Vorteil, dass Sie die gesamte Vorbereitung mit dem FCB bestreiten konnten und darum jetzt eine wichtigere Rolle spielen?
Diese Theorie kann man aufstellen. Aber was wäre denn gewesen, wenn ich eine erfolgreiche EM gespielt hätte und voller Selbstvertrauen zurückgekehrt wäre? Für mich hat es sich so ähnlich angefühlt wie im Winter: Ich habe wieder zwei Wochen für mich gearbeitet und hatte im Trainingslager einen Rückstand, den ich aufholen musste. Aber es hat mir sicherlich geholfen, dass ich den Club und sein ganzes Umfeld schon besser kannte.
Trotzdem scheint die Konkurrenzsituation in dieser Transferphase noch mal grösser geworden zu sein.
Wenn man zum FCB wechselt, dann weiss man, dass man nicht jedes Spiel über 90 Minuten absolvieren wird. Das geht gar nicht bei dem engen Terminplan, wir spielen ja in der Liga, in der Champions League und im Cup.
Aber das kann doch keinem Spieler gefallen, wenn er nur jede zweite Woche spielt.
Ich sehe das positiv, wirklich. Ich will mich in Basel durchsetzen und zeigen, dass ich hier hingehöre. Besonders nach dem Start: Ich bin ein Sturkopf und möchte am liebsten alle von mir überzeugen. Und gegen Luzern hat man gesehen: Selten hatte eine Mannschaft in der Super League eine bessere Ersatzbank. Das ist nicht einfach für den Gegner.
Sie kennen das ja bestens aus Ihrer Zeit als FCB-Gegner: Wie demotivierend ist es, wenn die Basler mit drei Siegen aus drei Spielen starten? Verliert man nicht gleich den Mut, dass dieser FCB irgendwie zu schlagen ist?
Natürlich denkt man sich in solchen Situationen: Jetzt hat der FCB so ein Kader und steht schon nach drei Runden wieder an der Tabellenspitze… Bei YB oder Thun habe ich das damals erlebt. Aber ich war auch beim Sieg der Berner gegen Donezk im Stadion und habe das Gefühl, dass sich diese Einstellung ein bisschen geändert hat.
Sie rechnen also am Mittwoch mit einem attraktiven Spitzenspiel gegen YB.
Ja. Wir wissen, was wir zu tun haben.