Presseschau

Basellandschaftliche Zeitung vom 21.01.2017

«Es hätte Tote geben können»

Fussball · In den Ferien fürchtete Derlis Gonzalez um sein Leben. Von Basel schwärmt er noch heute

Sébastian Lavoyer, Marbella

Es geschah kurz nach dem Jahreswechsel in seiner Heimatstadt Mariano Roque Alonso in Paraguay. Derlis Gonzalez spielte gerade Fussball in einem der Viertel, wo seine Freunde und Cousins leben. Da brechen ein paar Typen sein Auto auf und klauen ihm Pass, Handy und laut diversen Medien-Berichten rund 10000 Franken Bargeld. «Wir konnten nichts machen. Sie hatten Pistolen. Es hätte Tote geben können», erzählt der ehemalige FCB-Flügel. Bis heute, knappe zwei Wochen nach der Tat, hat man die Banditen nicht geschnappt. Wenigstens hatte er schnell wieder die Papiere, die er brauchte, um zurück in die Ukraine zu reisen. Zu seinem Klub, zu Dynamo Kiew.

Jetzt sitzt er im Fünf-Sterne-Hotel La Quinta in Marbella. Vor sich hat er eine Schale Erdbeeren, er ist, wie alle Spieler des aktuellen ukrainischen Meisters, in Trainerhose und Turnschuhen unterwegs. Trotz dieser Erfahrung, trotz der Kriminalität in der Heimat sagt Gonzalez: «Ich liebe Paraguay. Nie möchte ich irgendwo sonst leben, wenn ich meine Karriere irgendwann beenden werde.»

Das im Gegensatz zu seinem Freund Matias Delgado. Der FCB-Captain wird seiner Kinder wegen nicht nach Argentinien zurückkehren, wenn er diesen oder nächsten Sommer seine Karriere beendet. Obschon Gonzalez Basel schon vor anderthalb Jahren verliess, sind sie noch immer in Kontakt. «Derlis ist ein grossartiger Typ, ein Mann mit einem grossen Herz», schwärmt der Argentinier. Oft haben sie zusammen mit ihren Familien grilliert. Sie sind Freunde geworden. Gonzalez erinnert sich: «Mati hat mir so oft geholfen, als ich in die Schweiz kam, mir gezeigt, wie alles funktioniert.»

Fremd in Kiew

An die Schweiz denkt Gonzalez gerne zurück. Er hat Freunde gefunden in Basel, nicht nur Delgado und dessen Familie. «Am Anfang in der Ukraine war es ganz schön schwierig», gesteht er. Unterdessen aber habe er sich an das Leben in seiner neuen Heimat gewöhnt. Auch an die Kälte, wie er versichert. Die Sprache aber beherrscht er genauso wenig wie Deutsch. Aber immerhin ist sein Assistenztrainer Spanier. So etwas wie Heimat in der Fremde.

Denn fremd ist ihm Kiew geblieben. Wie Spanien damals seiner Mutter fremd war, als sie die Heimat verliess, um in Europa zu arbeiten. Wegen ihres Sohns, wegen Derlis. Damit er weiter auf die Fussball-Schule gehen konnte. Da war er zehn Jahre alt. Vier Jahre blieb sie. Gonzalez: «Stell dir vor, eine Mutter, die ihre zwei Kinder zurücklässt, das muss so hart sein. Ich glaube, sie hat sehr gelitten in dieser Zeit.» Gelitten für ihn, für seinen Traum vom Fussball.

Als er in Basel unterzeichnete, hätten seine Eltern aufgehört zu arbeiten. «Endlich kann ich etwas zurückgeben. Jetzt ist die Reihe an mir», sagt er. Und es wirft vielleicht ein bisschen ein anderes Licht auf diesen Menschen, dem viele Fans vorwarfen, er sei ein Fussball-Söldner, einer, der nur dem Geld nachrenne, als er im Sommer 2015 den FCB für über zehn Millionen Franken nach nur einem Jahr verliess. Und ja, er möchte weiter, weg aus der Ukraine. Weil seine ältere Tochter nächstes Jahr eingeschult wird. Weil es seiner Familie nicht wirklich gefällt in diesem krisengeschüttelten Land.

Warten auf Meister-Medaille

Der Klub dürfte ihm keine Steine in den Weg legen. Man liest von finanziellen Problemen bei Dynamo. Streitigkeiten mit Banken. Im Sommer konnte der Meister deswegen keine Spieler kaufen. Gonzalez könnte Abhilfe schaffen. Gerüchte gibt es etliche. Aus den USA soll es Interessenten geben, aus der Premier League, aus China. Gonzalez kann sich vieles vorstellen. Wichtiger als die sportliche Komponente wird immer seine Familie sein. Und wenn das Angebot stimmt, dann würde er auch ein paar Jahre in China auf sich nehmen.

Egal, was er tut, in Paraguay wird er ein Held bleiben. Spätestens seit dem 11. Oktober 2016 kennt ihn in seiner Heimat jedes Kind. Es lief die 17. Minute im Estadio Mario Alberto Kempes, als Gonzalez über die rechte Seite vorpreschte, von der Strafraumgrenze abzog und Gaucho-Goalie Sergio Romero in der nahen Ecke erwischte. «Für Paraguay war das historisch, wir haben erstmals in Argentinien gewonnen», erzählt er. Wenn er also heimkehrt, wie zuletzt in den Weihnachtsferien, wie immer in den Ferien, dann wollen sie alle Fotos machen mit ihm.

In Basel hat er diesen Status nie erreicht. Schlimmer noch, er ging vergessen. Nicht nur bei den Fans, sondern offenbar auch beim Klub. «Ich warte noch immer auf meine Meister-Medaille», sagt er. Kein Vorwurf, sondern der sportliche Ehrgeiz, der da aus ihm spricht. Den hat er nie verloren.

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