NZZ am Sonntag vom 28.10.2018
Der E-Sport-Hype im Fussball scheint vorbei: Gewisse Klubs ziehen sich bereits zurück, das Projekt einer virtuellen Fussballliga verzögert sich. Nur der FC Basel hat Erfolg – in Deutschland. ?
Von Andreas Babst
Euphorie und Ablehnung liegen nahe beieinander. Im September warfen Berner und Basler Ultras Tennisbälle aufs Feld, die Partie der Young Boys gegen den FC Basel musste unterbrochen werden. Es war ein Protest gegen E-Sports. Drei Tage später verpflichtete Basel einen argentinischen Teenager, nicht als Feldspieler, sondern als E-Sportler – er gilt als einer der besten der Welt.
Gut zwei Jahre ist es her, dass in der Schweizer Fussballliga ein Fieber ausbrach, plötzlich sprachen alle über E-Sports, die Klubs riefen sich gegenseitig an, wie macht ihr es? Zwei Jahre später: Fanproteste einerseits, Weltstars anderseits. Nun wurde bekannt, dass der FC St. Gallen sich aus dem E-Sport zurückzieht. Was ist aus dem Hype geworden?
Euphorie verflogen
Der FC St. Gallen hatte Ende 2016 als erster Super-League-Klub einen E-Sportler verpflichtet. Im Mai liess der Verein den Vertrag auslaufen. Heute sagt Marketingleiter Troy Lüchinger: «Bei uns ist die Euphorie verflogen.»
Wenn die Schweizer Fussballklubs von E-Sports sprechen, meinen sie die virtuelle Fussballsimulation «Fifa», sie wird an Wettkämpfen auf den Konsolen Playstation oder Xbox gespielt. E-Sports ist ein weltweites Phänomen, populärer als Sport-Spiele sind aber Fantasy- und Shooter-Spiele. Dort werden Millionen Dollar als Preisgeld ausgeschüttet, Fans füllen in den USA und Asien Stadien, um ihre Stars zu sehen. Wenn Gamen der Breitensport ist, dann ist E-Sport der Spitzensport.
Auch der FC St. Gallen wollte irgendwie dabei sein. Das Ziel war E-Sport mit einem regionalen Ansatz: E-Sportler aus der Region, junge Gamer ansprechen und am Ende einige von ihnen ins Stadion locken. Die Strategie ist gescheitert. «Wir haben analysiert: Was investieren wir an Zeit und Geld, und was bekommen wir», sagt Lüchinger. Das Resultat: Ein regionaler Ansatz im E-Sport, das sei schwierig, das Geschäft funktioniere international, wer in der Schweiz etwas gewinne, werde nicht wahrgenommen – Schweizer, die international mithalten, gibt es kaum. Und: Fans des Klubs seien nicht automatisch Fans des E-Sport-Teams geworden.
Ähnlich klingt es im FC Luzern. Der Klub veranstaltete 2017 Castings und fand zwei E-Sportler für den Klub. Zu einem Vertrag kam es nie. Der Hype sei vorbei, heisst es auch in Luzern. Man investiere das Marketingbudget lieber in andere Aktivitäten, mit dem E-Sport gewinne man keine neuen Stadionbesucher. Der FCL und auch St. Gallen sagen immerhin, sie würden wieder in E-Sport einsteigen, wenn es eine offizielle Liga gäbe.
Es war die seit langem geplante virtuelle Schweizer Fussballliga, die für den Fanprotest während YB - Basel sorgte. Auf einem Transparent war zu lesen, die Teilnahme solle zur Lizenzauflage werden. Das ist ein Gerücht, eine Lizenzauflage war nie vorgesehen, das bestätigen mehrere Personen. Aber der Fanprotest mache dieses Projekt für die Swiss Football League (SFL) nicht einfacher, heisst es bei der Liga. Es ist auch so vertrackt genug.
Seit ein paar Wochen steht das Konzept. Es war ein längeres Ringen, die Klubs wurden befragt, mehrere Berater präsentierten Ideen. Das vorläufige Konzept sieht eine Mischung vor zwischen Gamen und E-Sport, einerseits sollen die Freizeitspieler angesprochen werden, das ist wichtig für die Klubs, sie wollen eine neue Zielgruppe erreichen und zu Fans machen. Andererseits sollen sich E-Sportler in Klubtrikots messen. Nur: Das Ganze darf die Klubs möglichst nichts kosten. Die SFL sucht nun nach Wegen zur Finanzierung der virtuellen Liga. Und da wird es kompliziert.
Das Projekt einer virtuellen Fussballliga begann vor über einem Jahr, als der Hype in vollem Gang war. Im November 2017 hiess es an einem Branchenanlass, die virtuelle Liga komme binnen eines Jahres. Davon ist man weit entfernt. Noch immer ist nicht bekannt, wann die Liga starten soll. Einer, der ins Projekt involviert war, sagt: Anfang 2019 sei man so weit. Ligavertreter sind vorsichtiger: Noch sei vieles ungewiss. Dass das Projekt so zäh läuft, liegt daran, dass die Verhandlungen mühsam waren. Anders als im klassischen Sport gibt es im E-Sport immer einen «Publisher», also jene Firma, die das Spiel entwickelt hat und vertreibt, im Fall von «Fifa» ist das EA Sports. Wer eine offizielle Schweizer Meisterschaft austragen will, muss sich erst mit EA Sports über die Bedingungen einigen – weil jedes Jahr ein neues «Fifa» erscheint, müsste man wohl jedes Jahr neu verhandeln.
FC Basel denkt global
Das ist kein attraktives Umfeld für Sponsoren. Der Super-League-Sponsor Raiffeisen war von Anfang an involviert in das Projekt der virtuellen Liga, hat es gar vorangetrieben. Auch die Bank will ein neues Publikum erreichen. Aber Raiffeisen will auch Sicherheit. Die Sponsoring-Verhandlungen über die Finanzierung laufen jetzt, die Namensrechte dürften für einen tiefen sechsstelligen Betrag zu haben sein. Raiffeisen wartet ab, man will nicht alleine Sponsor sein. Die Swisscom und Postfinance haben kürzlich E-Sport-Sponsorings abgeschlossen.
Es gibt einen Schweizer Klub, der noch immer gross in E-Sport investiert. Aber der FC Basel denkt im E-Sport nicht regional, er denkt global. Kürzlich wurde er deutscher Meister. Er gewann die virtuelle Bundesliga, an der auch Schweizer und Österreicher teilnehmen dürfen. Basel ist deutscher Meister – das zeigt, wie unübersichtlich die E-Sport-Szene ist (siehe Zusatz). Welches Turnier hat welchen Stellenwert? Auch das ist Sponsoren und Aussenstehenden schwierig zu erklären.
«Der FCB hat sich im E-Sport zu einer Referenz entwickelt», sagt Joachim Reuter, Leiter Marketing und E-Sports im FC Basel. Der Klub beschäftigt zwei deutsche Spieler, seit kurzem einen Argentinier und dazu einen Schweizer. Basel nimmt an den renommierten «Fifa»-Turnieren teil und dürfte bald um den WM-Titel mitspielen. Reuter träumt davon, mit E-Sport Geld zu verdienen. Momentan ist es noch ein Verlustgeschäft, trotz zwei neuen Sponsoren. Die Preisgelder locken auch nicht, «Fifa» ist in der E-Sport-Welt kaum relevant. Einen tiefen dreistelligen Betrag investiere man, sagt Reuter.
Der FCB ist nicht auf eine nationale Liga angewiesen. «Ich habe auch nicht das Gefühl, dass die Schweizer Klubs der Liga die Türe einrennen», sagt Reuter. «Alle warten jetzt auf dieses Konzept.» Der FCB wartet nicht, er hat gemerkt, dass man mit recht wenig Geld im E-Sport viel Erfolg haben kann. Der Preis sind die Ultra-Proteste. In jedem Heimspiel hängt in der Muttenzer Kurve ein Transparent «E-Sports de Stegger zieh». Darauf angesprochen, wird Reuter vorsichtig, das Thema ist heikel in Basel. Man stehe im Dialog, sagt er. Es gebe aber auch Fans, die seien für den E-Sport. Das habe eine Onlineumfrage ergeben.