Presseschau

Basler Zeitung vom 25.05.2016

Hommage an den zwölften Mann

Neu erschienen

Von Jonas Hoskyn

Dieser Streich war den Fans des FC Zürich gelungen. Vor dem Cupfinal 1973 beschafften sie sich auf ungeklärten Wegen den Schlüssel für die Bahnwagen, welche für die Basler Fussball­anhänger reserviert waren. «Wir liefen am Bahnhof Bern durch die FCB-Extrazüge, liessen Stinkbomben liegen und schlossen sie in die Wagen ein», erinnert sich ein FCZ-Fan an die Aktion. Der olfaktorische Denkzettel war die Racheaktion der Zürcher Fans für den Cupfinal im Jahr zuvor. Damals hätten sie von den Basler Anhängern mit Fahnenstangen «eins auf den Tötz» gekriegt, erinnert sich der Zürcher.

Die Anekdote rund um die Rivalität zwischen den Basler und Zürcher Fans findet sich im frisch erschienen Buch «Erfolg isch nid alles im Lääbe – Eine Geschichte der Basler Fussball-Fankultur». Herausgeber ist der FC Basel Fanclub St. Jakob 1975, der älteste aktive Fanclub der Schweiz. Die Idee zum Buch entstand anlässlich des 40-JahrJubiläums im vorigen Jahr. «Wir wollten einen bleibenden Beitrag zur Basler Fussball-Fankultur leisten und dem FC Basel und seinem Umfeld etwas zurück- geben für die vielen schönen Momente und intensiven Emotionen», sagt Fanclub-Präsident Guido Morselli.

Ein Team von fussballangefressenen Autoren – viele aus dem Umfeld des Sportmuseums – recherchierte über Monate in Archiven und befragte Zeitzeugen. Entstanden ist ein Buch mit insgesamt zehn Beiträgen zu einem der bekanntesten, aber kaum erforschten Phänomene von Basel. Das Vorwort schrieb der bekannte ehemalige Fifa-­Schiedsrichter Urs Meier, selber Gründungsmitglied des Fanclubs St. Jakob und später oft genug Adressat des Fangesangs «Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht». Anschliessend wird der Bogen gespannt von Fahnen und Fackeln über Rockerbanden, die das Joggeli unsicher machten bis hin zu ersten Fanreisen, etwa als 1970 über 700 rotblaue Schlachtenbummler Odermatt & Co. ins sowjetische Moskau begleiteten.

Das Buch schafft den Spagat zwischen dem populärwissenschaftlichen Ansatz der Autoren – immerhin erscheint es im Schwabe Verlag mit Schwerpunkt Geistes- und Kulturwissenschaften – und der emotionalen Ebene, ohne welche ein Fussballbuch zur trockenen Theorielektüre verkommen würde. Auch das Layout ist liebevoll gemacht. Optisch erinnert das Buch an die mit Schere und Leim gebastelten Fan-Magazine aus der vordigitalen Ära mit Fotocollagen und witzig aufbereiteten Statistiken.

Nostalgische Gefühle

Der FC Basel hat mit dem Buch direkt nichts zu tun. Trotzdem ist der Club natürlich Dreh- und Angelpunkt der hiesigen Fankultur. Allerdings liegt der Fokus für einmal nicht auf dem Platz, sondern auf den Rängen. Etwa, wenn beschrieben wird, wie die sechs Jahre Leidenszeit von 1988 bis 1994, nachdem der FCB in die Nationalliga B abgestiegen war, eine ganze Fangeneration prägten. Das Fanlied «Nie mee Nati B» sorgt noch heute bei jedem Basler Mitdreissiger für Gänsehaut, auch wenn die für den Verein schwierige und fussballerisch äusserst bescheidene Zeit im Nachhinein oft verklärt wird. So schreibt der langjährige Journalist und Fussballfan Philipp Schrämmli: «Zu einem Mythos für die Basler Vereins­treue ist im Laufe der Zeit besonders die Partie des FCB in Châtel-Saint-Denis im Jahr 1991 hochstilisiert worden, vermutlich weil kaum eine Gemeinde mehr für Fussballprovinz stehen kann als jenes Dorf im Kanton Freiburg. Mittlerweile gibt die halbe Region Basel an, bei diesem Spiel vor Ort gewesen zu sein. In Wahrheit waren es nur einige Dutzend treue Fans.»

Die Lektüre des Buches weckt immer wieder nostalgische Gefühle bis hin zum Jöö-Effekt. Etwa die Fotos von Fussballbegeisterten mit selbstgestricktem Schal und improvisierter Fahne. Auch die Verhältnisse beim Verein muten angesichts der Dimensionen des heutigen Unternehmens FC Basel schon fast niedlich an. Etwa die Geschichte um den ersten Trikotsponsor des FCB. 100?000 Franken liess sich der Italo-Basler Umberto Guarnaccia, der sein Geld damit verdiente, dass er für italienische Gastarbeiter Fahrten ins Heimatland organisierte, sein einjähriges Engagement kosten. Der Umstand, dass die Spieler künftig als «Litfasssäulen» spielen würden, sorgte 1976 für viel böse Presse und einen neunmonatigen Boykott des Schweizer Fernsehens, das einen Verstoss gegen die Werbeabmachungen monierte. Erst wenige Jahre zuvor hatte der Club begonnen, neue Geldquellen zu erschliessen. So wurde ein eigenes, anfangs noch bescheidenes Merchandise-Sortiment mit Regenschirmen und Feuerzeugen aufgebaut und eine erste VIP-Lounge eingerichtet.

Fangesänge und Schlägereien

Parallel zur Professionalisierung des Fussballclubs hat sich auch die Fanszene gewandelt. Die ersten Fanclubs entstanden in den 1970er-Jahren, als der FCB in der Ära mit Trainer Helmut Benthaus seine für lange Zeit erfolgreichste Zeit hatte. Eine der ersten koordinierten Fanaktionen fand 1972 statt, als der Verein angekündigt hatte, künftig in orangen Trikots anzutreten, weil sich diese bei sonnigem Wetter weniger aufheizen würden als die rotblauen. Tatsächlich verschwanden die orangen Trikots schnell wieder. Über die Jahre tauchten im Joggeli die verschiedensten Gruppierungen auf: Von den Kuttenfans, deren Marken­zeichen das Jeansgilet mit aufgenähten Vereinsemblemen waren, über Rockerbanden mit teilweise kaum verhohlener Nähe zu Gewalt, Drogen und Rechts­extremismus. Anfangs orientierte sich die Fussballfankultur vor allem am ­englischen Vorbild. Nach und nach schwappte der Einfluss der italienischen Ultrabewegung über die Alpen. Megafone, Banner oder Pyrotechnik – viele Elemente haben ihren Ursprung in der Protestbewegung. Die ersten Fanclubs, welche sich dieser Stilmittel bedienten, waren diejenigen der Tessiner Eishockeyclubs Lugano und Ambri-Piotta.

Mit dem Umzug ins neue Stadion und der gleichzeitig startenden Erfolgsära unter Trainer Christian Gross wandelte sich auch die Fanszene bis heute ein letztes Mal. Das zweijährige Exil auf der Schützenmatte während des Joggeli-Umbaus sorgte für einen Generationenwechsel in der Muttenzerkurve. Diese entwickelte sich in den nächsten Jahren stetig weiter. Eigene Fangesänge ersetzten die meist kopierten Melodien, aufwendige Choreos wurden entworfen und Zwiste mit der Clubführung ausgetragen. «Ähnlich wie der Verein ist die Kurve von einem unberechenbaren Haufen zu einer durchorganisierten potenten Bewegung geworden», fasst der Historiker und Muttenzerkurve­gänger Claudio Miozzari die letzten Jahre zusammen.

Das Buch klammert auch die unschönen Seiten des Fantums nicht aus. Gleichzeitig relativiert der Blick in die Vergangenheit die aktuelle Debatte über Problemfans und Ausschreitungen. So spielten sich im Stadion bereits 1960 Szenen ab, die heute zu wochenlangen Debatten führen würden. Platzstürme und Ausschreitungen waren vor allem gegen die Zürcher Clubs keine Seltenheit. In den 1980er-Jahren kam es sogar zu Messerstechereien, und deutsche Rowdys, wie die ­Schläger damals genannt wurden, reisten zur Unterstützung an. Trotzdem war der damalige Fanpolizist Dieter Schaub bis zur Eröffnung des ­St.-Jakob-Parks 2001 mehr oder weniger in Eigenregie für die Stadionsicherheit verantwortlich.

FC Basel Fanclub St. Jakob 1975 (Hrsg.) Erfolg isch nid alles im Lääbe. Eine Geschichte der Basler Fankultur. Schwabe Verlag. 140 Seiten, 38 Franken. Das Buch wird am heutigen Spiel vom Fanclub St. Jakob für 30 Franken verkauft. Zum gleichen Preis erhält man es in der Fussball­kulturbar Didi Offensiv.

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