Presseschau

Schweiz am Wochenende vom 19.01.2019

Sechs Monate für eine zweite Chance

Seit August ist Carlos Zambrano beim FCB – und doch kennt man ihn kaum. Wer ist dieser Mann, der mit 16 seine Heimat verliess? Ein Porträt

Céline Feller aus Marbella

Seine Mutter wollte nicht, dass er geht. Sie wollte die Familie zusammenhalten, die Eltern und die beiden Söhne. Aber für ihn war klar, dass er gehen musste. «Das war meine Möglichkeit, meiner Familie zu helfen, sie weiter zu bringen», erzählt Carlos Zambrano über die Zeit, als er mit 16 Jahren seine Heimat Peru und damit seine Familie verliess. Der heute 29-Jährige sagt, dass ihn seine Vergangenheit nicht stolz macht. Die finanziellen Probleme seiner Familie, die damit zusammenhängenden Reibereien der Eltern. «Sie finanziell unterstützen zu können, war, was mir Kraft gegeben hat. Und es treibt mich auch heute noch an.» Heute ist Carlos Zambrano Fussballprofi beim FC Basel, ausgeliehen von Dynamo Kiew. Damals, mit 16, machte er sich auf nach Europa. Von drei deutschen Klubs wurde er zu Probetrainings eingeladen. Schalke machte das Rennen, holte ihn mit einem Studentenvisum in den Ruhrpott. «Dieses Visum bedeutete, dass ich im Klubinternat zur Schule gehen musste. Das mochte ich gar nicht. Ich bin regelmässig im Unterricht eingeschlafen.» Die ersten zwei Jahre seien hart gewesen. Aber dass ihn Schalke behalten wollte, bezeichnet er als Schlüsselmoment seiner Karriere.

Rubin Kasan statt Liverpool
Es ist eine Karriere, die schnell Fahrt aufnahm. Zambrano spielte fast zehn Jahre in Deutschland. Seine erfolgreichste und wie er sagt für ihn schönste Zeit hatte er bei Eintracht Frankfurt. Dort entwickelte er sich zu jenem Spieler, der von Liverpool und Sevilla umworben wurde, diesen Vereinen – seinen Lieblingsklubs notabene – aber absagte. «Als die Anfrage von Liverpool kam, hatte ich eine Woche zuvor meinem damaligen Trainer bei Frankfurt, Armin Veh, mein Wort gegeben, dass ich bleibe. Wir spielten gegen den Abstieg und ich wollte die Mannschaft nicht im Stich lassen. Wenn ich mein Wort gebe, dann zählt das.» Ein Jahr später verliess er Frankfurt. Rubin Kasan lockte ihn nach Russland. Das Projekt sei spannend gewesen, der Verein habe etwas aufbauen, die Champions League aufmischen wollen. Der Wechsel offenbarte sich als der Anfang eines leisen Abstiegs eines Spielers, der so viel Hoffnung schürte. Bei seinem Land. Bei seiner Familie. Aber genau für diese hat er sich für den Schritt ins Ungewisse entschieden. Einmal mehr. «Manchmal überlege ich, ob es ein Fehler war, nach Russland zu gehen. Ich weiss es nicht», reflektiert er, wie er das im Gespräch oft tut. «Es war natürlich auch eine ökonomische Entscheidung. Die Leute mögen mir das vorwerfen, aber sie sehen nicht, dass ich eine Familie habe, für die ich sorgen muss. Ich habe drei Kinder. Niemand weiss, was passiert, wenn ich mich morgen schlimm verletzen sollte.»

Carlos Zambrano spricht schnell, aber seine Worte sind stets mit Bedacht gewählt. Er ist ruhig, geerdet, höflich und sehr offen. Trotz allen Schwierigkeiten hat er seinen Weg gefunden. Der Glaube gibt ihm Kraft. Das grosse Kreuz trägt er immer um den Hals, genauso wie er sich oft bei Gott bedankt, wenn er von Dingen erzählt, die ihn glücklich machen. Wie von seiner Familie. Erneut aber lebt er getrennt von ihr. Seine elf- und siebenjährigen Söhne, die er mit seiner Ex-Partnerin hat, leben in Miami. Seine zweijährige Tochter und seine Frau in Peru. «Natürlich wäre ich froh, wenn sie immer hier an meiner Seite wären. Aber alleine in den letzten zwei Jahren habe ich drei Mal den Klub gewechselt. Stellen Sie sich vor, wie das für die Kinder mit der Schule wäre ... »

Die Probleme begannen bei Kasan, wo Zambrano die Freude am Fussball verlor. Ein Wechsel in der Führung und des Trainers führte dazu, dass nur noch Russen aufgestellt wurden. Wollte er spielen, musste er gehen. Der nächste Versuch bei Paok Thessaloniki scheiterte nach nur sechs Monaten, weil der Präsident und er andere Vorstellungen hatten. Die Flucht zu Dynamo Kiew «gelang im letzten Moment», Glück hat aber auch diese ihm nicht gebracht. Am 29. November 2017 hatte er zuletzt in der Startelf gestanden. Es harmonierte nicht zwischen ihm und dem Trainer. Also liess er sich bis im Sommer nach Basel ausleihen. Hier hofft er, wieder Vertrauen zu bekommen. Denn wenn er dieses bekommt, «dann zerreisse ich mich für den Trainer auf dem Platz. Genauso wie für mein Land.» Ein Land, in dem sie ihn einst vergötterten, ihm den Spitznamen Löwe und den Status eines Helden verpassten. Ein Land aber auch, das ihn verachtet, seit er angeblich mit Absicht einen Platzverweis provozierte, nur um nicht in Uruguay spielen zu müssen. Ein Land, in dem das Leben für ihn Hektik pur ist, die Presse sich auf ihn eingeschossen hat. Ein Land, in dem ihm eine homoerotische Beziehung angehängt wurde, aufgrund derer er vor Gericht ziehen musste. Ein Land aber, das er über alles liebt. Ein Comeback in der Nationalmannschaft schliesst er nicht aus. Zuerst aber will er das tun, was ihm in den letzten Monaten verwehrt blieb: spielen. Endlich. Beim FCB. Er will dem Team zurückgeben, was es ihm in seinen ersten drei Monaten gegeben hat, in denen er verletzungsbedingt nicht helfen konnte. Zambrano weiss, dass er in der Rückrunde um seine Zukunft kämpft. Und für eine zweite Chance in einer Karriere, die arg ins Stocken geraten ist. In Kiew hat er noch drei Jahre Vertrag. Aber er will nicht zurück. Gerne würde er in Basel bleiben, «weil ich mich hier zu Hause fühle». Zum ersten Mal, seit er Frankfurt verlassen hat.

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