Presseschau

NZZ vom 27.05.2019

Wie sehr YB der Liga entrückt, hängt vom Verhalten des FCB in den nächsten Wochen ab

Im Schaufenster

Benjamin Steffen · Wo ist YB heute? Auf Rang 1 natürlich, mit grossem Vorsprung, so sagt es die Schlussrangliste der Super League 2018/19. YB sei entrückt, hiess es sogar, nachdem die Berner Mitte April schon den Meistertitel sichergestellt hatten.

Die Saison ist mit Langeweile zu Ende gegangen, und hätte YB die Dominanz des alten FCB, wäre bereits klar, dass es im Sommer langweilig weitergeht. Aber die einstige Überlegenheit des FCB fehlt YB. Die FCB-Dominanz fusste auf mehreren Pfeilern: auf der eingespielten Leitung um Bernhard Heusler, auf den besseren Trainingsbedingungen, auf dem geschickten Umgang mit den grösseren finanziellen Ressourcen. So gelang dem FCB eine Rezyklierung des Erfolgs, acht Meistertitel von 2010 bis 2017. So weit sind die Young Boys noch nicht. Sie besitzen erst die erste Zutat des einstigen FCB-Erfolgsrezepts in ausreichender Menge: die Vertrautheit in der Crew um den Sportchef Christoph Spycher. Immerhin ist damit schon viel erreicht: ein gewisses Urvertrauen, das die Berner glauben lässt, auch dem nächsten Umbau gewachsen zu sein.

Spycher gestaltete bereits zwei Sommer-Transferperioden überzeugend. 2017 baute er trotz etlichen Mutationen das Meisterteam 2018, das danach so sehr zusammenblieb, wie es für ein Spitzenteam aus einer kleineren Liga ungewöhnlich ist. Heuer finden mehr Wechsel statt, aber eine theoretische Prüfung hat YB schon bestanden: Der Captain Steve von Bergen hört auf und wird durch den langjährigen Bundesligaprofi Fabian Lustenberger ersetzt. Lustenberger ist der erste Zuzug der Ära Spycher, der älter ist als 24. Darin zeigt sich, wie sehr YB dem Credo nachzuleben versucht, ein eher junges Team um ausgewählte Routiniers zu bilden.

Eigentlich bestehen keine Zweifel, dass der FCB den Young Boys nächste Saison ebenbürtig sein müsste. Ein derart schlechter Herbst wie 2018 unterläuft einem solchen Team normalerweise nicht zweimal. Die Mannschaft hat etliche Routiniers und noch immer zwei Handvoll Spieler mit Erfahrung aus FCB-Meisterjahren. Aber der frühere Liga-Riese scheint sich zurechtzuschrumpfen; es soll beträchtlich gespart werden, und wie ernst dem FCB damit ist, zeigt die fehlende Bereitschaft, den Vertrag des Captains Marek Suchy zu verlängern.

Der FCB verharrt in der Phase der Neuorientierung, und damit liesse sich vielleicht sogar ein erspriesslicher Umgang finden, wenn die Kompetenzen derart klar abgesteckt wären wie bei YB. In Bern ist Spychers Hausmacht immer grösser geworden. Nachdem er früh klargemacht hatte, dass er nur von ausgewählten Verwaltungsräten Mitsprache duldet, unterstrich er diese Prämisse vor seiner Vertragsverlängerung Anfang 2019 dick und schwarz.

Diese Kraft fehlt dem FCB-Sportdirektor Marco Streller. Er galt zwar als Posterboy des neuen FCB, aber er hat nicht dieselbe Machtfülle wie Spycher, was womöglich anders wäre, wenn er nach zwei Jahren mehr vorzuweisen hätte als den Cup-Sieg 2019. Es scheint immer wieder unklar, wie viele Kompetenzen Streller wirklich erhält. Der Präsident Bernhard Burgener spricht gerne von der langen Leine für seine Angestellten, und doch ist immer wieder von entscheidender Einflussnahme zu hören. Und die Vorgabe, die Kosten im laufenden Geschäftsjahr um 21 Millionen Franken zu senken, macht sogar das Leben an einer langen Leine schwer.

Es fragt sich, wie viele Qualitätseinbussen à la Suchy der FCB noch hinzunehmen bereit ist. Und es bleibt die Trainerfrage. Vor dem Cup-Final vermied Streller ein Bekenntnis zu Marcel Koller, der Titel hat daran nichts geändert. Auch vor einem Jahr gab es Zweifel am Coach (damals Raphael Wicky), gleichwohl hielten die Basler an ihm fest, ehe sie ihn kurz nach Saisonstart doch entliessen. Sie wissen also, dass Zweifel mögliche Vorboten einer Trennung sind. Aber über den Umgang mit derlei Vorboten herrscht Uneinigkeit – und das neue FCB-Konstrukt mit Burgener und Streller, mit dem CEO Roland Heri und diversen Verwaltungsräten oder Einflüsterern muss zuerst beweisen, dass es mit Uneinigkeiten einen konstruktiven Umgang findet.

Wo ist YB morgen? Bisher war es eine Entrückung für den Moment. Ob daraus ein Dauerzustand wird, hängt bedeutend von den nächsten Wochen ab – und vielmehr vom Verhalten des FCB als von YB.

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