Presseschau

Sonntagsblick vom 17.11.2019

«Ich dachte erst an eine Spekulation »

DAS GROSSE INTERVIEW

Marcel Koller wurde abgesägt, hat sich aufgerappelt und den FC Basel wieder auf Erfolgskurs getrimmt. Wie hat er das gemacht? «Wir haben endlich Ruhe in der Kabine und im Klub », sagt er.

So fühlte Koller bei seiner vermeintlichen Entlassung im Juni

ANDREAS BÖNI (INTERVIEW) UND TOTO MARTI (FOTOS)

Marcel Koller (59) ist locker, gelöst und angriffig. Am Töggelikasten – es ist ein Designerstück aus Gold für 20 000 Franken im Büro seines Beraters Dino Lamberti – spielt er erfrischenden Offensivfussball.

Auch beim FC Basel gelingt ihm das nach einem schwierigen Start immer besser. In der Super League steht man mit nur einem Punkt Rückstand auf Platz zwei. In der Europa League hat man sich schon nach vier Runden für die Sechzehntelfinals qualifiziert.

Das kommt nach extrem turbulenten Monaten überraschend. Im Juni war er entlassen worden und hatte schon sein Trainerbüro geräumt, bevor er nach intensiven Sitzungen den Machtkampf gewann und Marco Streller gehen musste. Danach stürzte er schwer mit dem Fahrrad. Im SonntagsBlick-Interview spricht er darüber.

Herr Koller, Ihre letzten Monate waren ganz schön turbulent. Fangen wir mit dem körperlichen Teil an. Wie geht es Ihrer Schulter?

Marcel Koller: Besser, aber schnelle Bewegungen liegen noch nicht drin. In der Schulter waren alle Bänder gerissen, das Schlüsselbein lädiert. Fast das grössere Problem waren eine Schambeinfraktur und ein Adduktorenriss, das tat bei jedem Schritt weh.

Wie ist Ihr Fahrradunfall genau passiert?

Ich war im Wald, sah eine offene Feuerstelle und Scherben. Zwei Kilometer später zerfetzte es mir den Reifen, vielleicht hatte sich eine Scherbe in den Gummi gefressen und dann den Schaden angerichtet. Ich stürzte böse, zum Glück konnte mich Assistenztrainer Thomas Janeschitz abholen. Das Velo steht immer noch mit platten Reifen im Keller.

Wie waren die Tage danach?

Es passierte am Freitagabend, am Samstag spielten wir Cup in Meyrin. Ich dachte, dass ich hinkann, aber dann konnte ich vor Schmerzen keinen Schritt machen. Ich habe das Spiel vorbereitet, meinen Assistenten übergeben und bin dann drei Tage später wieder auf dem Platz gestanden. Und habe geschaut, dass mich keiner umrennt …

Auch mental war es nicht immer einfach. Das Theater im Sommer beim FC Basel war unglaublich. Wie haben Sie sich gefühlt, als öffentlich wurde, dass man mit Patrick Rahmen verhandelt hat?

Ich war in den Ferien und dachte, dass ich noch ein wenig abschalten kann. Dann kam die Geschichte bei euch im BLICK, dass ich gehen müsse und Patrick Rahmen übernehme. Ich dachte erst an eine Spekulation, wie sie ja manchmal bei euch vorkommt, und rief meinen Berater an. Aber klar, wenn du so Sachen liest, dann fühlst du dich nicht gut, und mit dem Abschalten war es auch vorbei.

Sie kamen zurück nach Basel, und es kam jener ominöse Tag, an dem Sie entlassen wurden und Ihr Trainerbüro schon räumten.

Darüber wurde bereits so viel geschrieben. Ich möchte nicht mehr über die Vergangenheit reden.

Stattdessen ging Marco Streller, der Rahmen holen wollte. Hatten Sie seither Kontakt mit ihm?

Nur über Whatsapp, persönlich nicht.

Hätten Sie mit ihm weiterarbeiten können?

Ich hätte mit ihm weitergearbeitet, überhaupt kein Problem.

War es für Sie von Anfang an klar, dass Sie weiterkämpfen, oder gab es auch den Gedanken, alles hinzuschmeissen?

Nein, den Gedanken hatte ich nie. Weil ich spürte, dass wir gut in der Spur sind. Im Jahr davor, als ich übernahm, musste ich im August von null auf hundert einsteigen. Ohne Vorbereitung, nichts. In der Rückrunde, nachdem ich länger mit dem Team arbeiten konnte, wurden wir stabiler und holten den Cup. Man spürte, dass es in der nächsten Saison besser wird.

Obwohl Sie einige Spieler verloren.

Ja. Die Verletzung von Ricky van Wolfswinkel und der Abgang von Albian Ajeti, die extrem viele Tore geschossen hatten, schwächten uns, klar. Dazu verloren wir auch noch Eder Balanta an Brügge. Aber eben: Heute wissen die Spieler, was ich will. Und es ist Ruhe im Team eingekehrt. Vorher war es zeitweise nicht nur hektisch auf dem Platz, sondern auch rundherum.

Beinahe schon vergessen ist, dass sich die Mannschaft beim Präsidenten über Sie beschwerte.

Das war ein Missverständnis rund um die taktische Ausrichtung nach einem Spiel. Ich sagte etwas, die Spieler verstanden etwas anderes. Dann sprachen sie mit dem Präsidenten – und ich danach mit ihnen. Es war schnell aufgeklärt, ich habe das nie als grosses Problem empfunden.

Fabian Frei haben Sie danach degradiert, die Captainbinde weggenommen und ihm Valentin Stocker, Taulant Xhaka und Jonas Omlin vor die Nase gesetzt. Was war die Überlegung?

In der Saison, als ich neu kam, war Marek Suchy Captain, und er fehlte lange mit einer Achillessehnenverletzung. In jener Zeit war auch Xhaka verletzt und Stocker öfters angeschlagen. Darum übernahm Frei die Captainbinde über lange Zeit. Ich lernte die Spieler dann besser kennen, und nach einem halben Jahr hatte ich eine andere Hierarchie vor Augen, ganz einfach.

Wie hat Frei reagiert?

Er hat es akzeptiert und hat Vali sofort alles Gute gewünscht. Und wenn ich jetzt seine hervorragende Form sehe, hat er es sehr gut angenommen.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zur Mannschaft im zwischenmenschlichen Bereich entwickelt?

Es hat sich mittlerweile verfestigt. Das sieht man ja auch an unseren Auftritten.

Haben Sie kurz leer geschluckt, als mitten in dieser Ruhe David Degen als neuer Miteigentümer vorgestellt wurde?

Nein, das ist überhaupt kein Problem.

Er galt nicht als Freund von Ihnen, weil Sie nicht auf seinen damaligen Klienten Aldo Kalulu setzten.

Das ist die Sache des Trainers. Ich bin jeden Tag mit den Spielern zusammen, sehe, wie sie trainieren. Berater sind am Telefon und nicht mittendrin. Und als Trainer muss ich nun mal alle drei Tage Entscheidungen fällen.

Wie ist die Zusammenarbeit bisher?

Wir haben bisher keine Berührungspunkte, nur Smalltalk geführt.

Ist man in Basel demütiger geworden, was die Erwartungshaltung anbelangt?

Wenn du acht Mal hintereinander Meister wirst, denkst du, es geht immer so weiter. Aber die Mannschaft hat nicht mehr die gleiche Qualität wie vor drei, vier Jahren. Es ist nicht mehr selbstverständlich, mit diesen Voraussetzungen Meister zu werden. Und die Champions League zu erreichen, wird für Schweizer Klubs immer schwieriger werden. Wichtig ist, dass YB und wir jetzt viele Punkte für den Uefa-Koeffizienten sammeln. Und dass wir in unserer Gruppe schon nach vier Spieltagen weiter sind, gibt auch viel Selbstvertrauen. Getafe ist im merhin Siebter in Spanien, Trabzonspor Dritter in der Türkei und Krasnodar Fünfter in Russland. Und das Weiterkommen gegen PSV Eindhoven tat uns auch gut.

Ja, aber da war dieses Out in der Champions-League-Quali gegen den LASK aus Österreich.

Es braucht immer einen Weg. Manchmal müssen die Spieler etwas Negatives erleben, damit der Trainer wieder Zugriff hat.

Das bedeutet, Sie haben wohl gewarnt vor dem Pressing der Linzer, aber einige Spieler hatten nach dem Spiel gegen PSV die Bodenhaftung verloren?

Das will ich so nicht sagen, aber der LASK tat uns weh, mit dem Pressing und körperlich. Und wir wollten es im ersten Spiel nicht wahrhaben.

Ihr Vertrag läuft im Sommer aus, er verlängert sich nur bei einem Titelgewinn. Gab es schon Gespräche in Sachen Verlängerung?

Nein, noch nicht.

Auch der Vertrag von Nati- Trainer Vladimir Petkovic läuft aus. Können Sie ausschliessen, ihn zu beerben?

Das ist für mich im Moment kein Thema. Man müsste es anschauen, wenn es so weit wäre, wenn es zu Gesprächen käme.

Sie hätten 2014 Nachfolger von Ottmar Hitzfeld werden sollen. Haben Sie jemals bereut, abgesagt zu haben?

Nein, das war wohlüberlegt. Ich war noch nicht fertig mit Österreich, und es endete mit der EMQualifikation 2016 ja auch sehr erfolgreich. Ich gebe immer alles dort, wo ich gerade bin. Wenn neue Türen aufgehen, dann redet man. Ich bin selber gespannt, was die Zukunft bringt.


Persönlich

Marcel Koller, Jahrgang 1960, im Zürcher Arbeiterquartier Schwamendingen aufgewachsen, kannte nach seiner Juniorenzeit bei Schwamendingen als Aktiver nur einen Klub: GC! Von 1972 bis 1996 kickte er für die Hoppers, holte 7 Meistertitel und 5-mal den Cup. Der 55-fache Internationale (Höhepunkt: EM 1996) begann seine Trainerkarriere 1997 bei Wil in der NLB. Es folgte St. Gallen, das er 2000 sensationell zum 2. Meistertitel führte. Dann GC, das unter ihm 2003 die bisher letzte Meisterschaft gewann. Es lockte das Ausland mit den Stationen 1. FC Köln (Abstieg), Bochum (Aufstieg), bis er 2011 Nati-Trainer in Österreich wurde. Die Ösis qualifizierte er 2016 erstmals für eine EM. Am 2. August 2018 wurde er Cheftrainer des FC Basel.

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