Presseschau

NZZ am Sonntag vom 15.12.2019

Aus der Not geboren

YB und der FC Basel sind plötzlich wieder auf gleicher Höhe, die Super League ist spannend wie lange nicht mehr. Diese Konstellation kann von Dauer sein – wenn beide Klubs erkennen, was ihren Erfolg ausmacht: Ruhe. Von Benjamin Steffen ?

Marcel Koller redete in aller Gelassenheit. Es war der 18. Juni 2019, zuvor war der Himmel zusammengebrochen über Fussball-Basel. Und Koller sagte: «Ich habe die ganze Zeit die Ruhe bewahrt, ich weiss, wie das Geschäft ist.» Tagelang hatte es geheissen, Koller werde entlassen als Trainer des FC Basel, der Sportdirektor Marco Streller favorisiere eine Lösung mit Patrick Rahmen, dem Trainer des FC Aarau. Und plötzlich war alles anders, Streller weg, Koller da.

Christoph Spycher redete in aller Klarheit. Es war der 22. September 2016, zuvor war der Himmel zusammengebrochen über Fussball-Bern. Und Spycher sagte: «Ich stellte die ­Bedingung, in Ruhe arbeiten zu können. Wir steckten ab, dass der Verwaltungsrat nicht operativ tätig wird, wie es zuletzt vielleicht ein wenig der Fall war.» In der Vorwoche war der Sportchef Fredy Bickel entlassen worden, der Nobody Paul Meier hätte ihn ersetzen ­sollen, der Verwaltungsrat Urs Siegenthaler sagte, es sei für YB «völlig unrealistisch», den FCB anzugreifen. Und plötzlich war alles anders, nach Bickel auch Siegenthaler weg, Spycher da, ehemaliger Spieler, zuletzt Ta­lentmanager, ab sofort Sportchef.

In diesen Basler und Berner Chaos-Tagen gründet die heutige Lage der Liga. Vor der letzten Super-League-Spielen 2019 liegen YB und Basel an der Spitze, die Spannung ist zurück. Wenn so oft behauptet und überlegt wird, was Erfolg ausmacht, so erstaunt doch, dass diese Situation aus der Not geboren ist. Aus Momenten, in denen wenig fehlte, und der YB-Sportchef hätte Meier geheissen, der FCB-Trainer Rahmen.

Aber plötzlich kehrte Vernunft ein. Und welches Wort benutzten Koller und Spycher alle beide? Ruhe.

Die Hinterlassenschaft des FCB

Es brauchte kein Posaunen von Titel-Angriffen und Transfer-Offensiven, nein, es genügte die Erkenntnis, dass es reicht mit hüst und hott, neu und anders. Es sind Geschichten, die auf sportlichen oder strukturellen Entwicklungen basieren. YB warf kein frisches Geld ein, um die Chance zu nutzen, die der FCB 2017 bot. Nach grosser Dominanz und acht ­Titeln in Folge krempelte sich der FCB um, mit dem Rückzug des langjährigen Führungsduos Bernhard Heusler (Präsident) und Georg Heitz (Sportdirektor) verlor er die ­Titelroutine. YB übernahm, Meister 2018 und 2019, zuletzt mit einem Vorsprung von 20 Punkten. Die Young Boys schlugen Profit. Mit den vorhandenen Mitteln, guten Ver­käufen, klugen Zuzügen.

Und wenn heute gefragt wird, ob sich YB und Basel ein jahrelanges Duell liefern werden, ist die Antwort simpel: ja – falls beide Klubs erkennen, was ihre gegenwärtige Situation ausmacht. Ruhe. Vernunft.

Bloss: Praxis und Erfahrungen machen die Antwort schwieriger. Denn es wäre eine seltene Konstellation im Schweizer Fussball, dass zwei derart grosse Klubs zur selben Zeit besonnen arbeiten. Die FCB-Dominanz entfaltete sich auch, weil YB während Jahren Richtung und Personal änderte – die Entlassung des CEO Stefan Niedermaier 2010, die Entlassung des Trainers Vladimir Petkovic 2011, die Entlassungen des Trainers Christian Gross 2012 und des CEO Ilja Kaenzig 2012, die Entlassung des Trainers Martin Rueda 2013, die Entlassung des Trainers Uli Forte 2015, die Entlassung des Sportchefs Bickel 2016. Gravierende Einschnitte, auf unterschiedlichen Stufen. Der FCB nahm von 2009 bis 2017 ebenfalls Zäsuren vor, aber immer nur auf Trainerebene, die Führung blieb. Es ist eine Lehre, die der FCB hinterlassen hat: Irgendwo muss Kontinuität herrschen – entweder auf dem Trainerposten (wie mit Gross von 1999 bis 2009) oder in der Klubführung.

Der FCB hat noch immer gewichtige Vorteile gegenüber YB, den Nachwuchs-Campus, die Trainingsbedingungen, das internationale Image. Aber YB steht inzwischen für eine ­gewisse Erdung, was nahelegt, dass nicht alles auf den Kopf gestellt würde, wenn 2020 kein Titel resultierte. Spycher startete 2016 mit einer stattlichen Hausmacht, der Einfluss ist weiter gewachsen. Die Option, das Amt des Nationalteam-Managers zu übernehmen, half ihm, die Kompetenzen noch einmal ­klarer ­abzustecken. Seine Forderung: keine Einmischung, volles Vertrauen. Er verlängerte den Vertrag bis 2022, und er hat ver­lässliche Leute um sich: den Scout Stéphane Chapuisat, den Ausbildungschef Gérard ­Castella, den Verwaltungsrat Ernst Graf, ­Evergreens der Branche, die nicht mehr ­aufzufallen brauchen, aber mit ihrem Know-how YB guttun.

Und sogar von höchster Stelle kam ein Signal der Kontinuität. Stefan Rihs, der Sohn des YB-Besitzers Hans-Ueli Rihs, trat im Juni in den YB-Verwaltungsrat ein. Manche hatten sich gefragt, wie lange die Familie Rihs noch zu YB hält, nicht zuletzt nach dem Tod von Hans-Uelis Bruder Andy im April 2018. Aber das Commitment der nächsten Generation lässt nicht auf eine rasche Abkehr schliessen.

Für Homogenität steht der neue FCB noch nicht. Zu viele Veränderungen gab es seit Burgeners Übernahme 2017, zu viel Verwirrung entstand immer wieder. Aber immerhin gibt es Anzeichen, dass die Wogen aus dem Frühsommer 2019 zu einem heilsamen Schock führten; dass die Führung gemerkt hat, wie wertvoll Beständigkeit ist und ­gerade Kollers Art, nicht auch noch umzufallen, wenn über ihm schon der Himmel zusammenbricht.

Ruedi Zbinden ist ein routinierter Sportchef mit vielen Beziehungen, der CEO Roland Heri ist schwierig auszurechnen, aber er drängt nicht bei jeder Gelegenheit nach vorne. Und vor allem sind beide seit Jahren im Verein. Burgener ist der vermögende Chef, ein Zahlenmensch und Visionär, der nicht zu Unrecht einen Sparkurs verordnet hat. Das volle Fan-Vertrauen fehlt ihm noch, weil viele Leute nicht wissen, was er wirklich will. Aber bisher erscheint es richtig, dass er das Machtwort sprach, an Koller festzuhalten. Vielleicht war es dieses Gespür, das ihm aus dem Geschäftsleben nachgesagt wird – ein Instinktentscheid pro Koller, etwa so halt, wie er in den neunziger Jahren beschloss, den Wiederaufbau eines Marmorwerks in Südtirol zu unterstützen.

Der letzte Dualismus

Der FC St. Gallen, der überraschende Dritte im Titelrennen, bestätigt es: Es geht um Ideen, um eine Überzeugung, um Zusammenhalt. Der Präsident Matthias Hüppi, der Sportchef Alain Sutter, der Trainer Peter Zeidler – sie wirken unkonventionell, aber sie verfolgen eine Linie, dieselbe Linie. Auf Dauer werden die St. Galler wohl nicht stark und gross genug sein, um YB und Basel herauszufordern – aber sie sollten vielen Gegnern ein Vorbild sein.

Dualismus-Debatten hatte es letztmals vor bald zwei Jahrzehnten gegeben. Es war die Zeit, als der FCB den finanziellen Anschub von Gigi Oeri erhielt und GC die satte Hilfe von Rainer Gut und Fritz Gerber. 2001 Meister GC, 2002 Meister FCB, 2003 Meister GC. Danach brach GC ein, weil Gut und Gerber ausstiegen. Aber es gibt Konstellationen, die keine Zufälle sind. Koller und Spycher kennen sich gut, einst schien denkbar, dass Koller nicht zuletzt wegen Spycher YB-Trainer würde. Koller war der Trainer und Spycher ein Stammspieler, als GC 2003 den letzten Meistertitel feierte. Und eine Zeitung schrieb über den GC-Saisonverlauf: «Der Rekordtitelträger behielt stets die Ruhe – vor allem einer: Marcel Koller.»

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