Basler Zeitung vom 17.01.2020
Die Partnerschaft mit dem Chennai City FC läuft seit rund einem Jahr. Der Austausch mit dem indischen Club ist für Rotblau und dessen Projektleiter Massimo Ceccaroni in Südasien Herausforderung, Arbeit und Abenteuer in einem.
Dominic Willimann, Chennai
Victor hat schon so manches erlebt. Seit über 40 Jahren sucht der Inder mit seiner Autorikscha den schnellsten Weg durch Chennai, diese 12-Millionen-Metropole im Süden Indiens. Er kenne, behauptet der Taxifahrer, jede Ecke der Stadt. Diesmal grübelt er jedoch lange, ehe er sagt: «Ich weiss einen Ort, an dem es das gibt.»
Dreieinhalb Stunden dauert die Fahrt schliesslich über verstopfte Highways, enge Seitenstrassen und holprige Wege. Am Ende steht der Kunde trotzdem mit leeren Händen da. Denn: Fussballtrikots scheint es in ganz Chennai keine zu geben. Cricket und Badminton, das sind die wichtigsten Sportarten der Nation mit ihren 1,5 Milliarden Einwohnern, der Fussball spielt in einer anderen Liga.
Umso grösser war das Erstaunen hierzulande, als der FC Basel im Februar letzten Jahres verkündete, 7638 Kilometer vom St.-Jakob-Park entfernt mit dem Chennai City FC zusammenarbeiten zu wollen. Bernhard Burgener sicherte sich mit der FC Basel Holding AG einen Anteil von 26 Prozent am Verein der I-League. Weitere Mitinhaber sind Präsident Rohit Ramesh und dessen Verlegerfamilie (69 Prozent) sowie Krishnakumar Raghavan (5 Prozent). Wie viel der FCB ins Indien-Projekt tatsächlich investiert, darüber kann nur gemutmasst werden. Man sagt, es handle sich um einen tiefen einstelligen Millionenbetrag.
Der Besuch in Basel
Selbst Ramesh möchte nicht über diese Summe sprechen, als er in Chennai von seinem Vorhaben zu schwärmen beginnt. Im September 2017 war es, da er, der noch nicht 40-Jährige, erstmals vom FC Basel Notiz nahm.
Der Club aus der Provinz Tamil Nadu suchte einen Partner in Europa, der ihm beim Aufbau einer Nachwuchsakademie behilflich ist - und fand sich im Januar 2018 in der Person von Krishnakumar Raghavan in der Brüglinger Ebene wieder. «Ich war begeistert, wie beim FCB gearbeitet wird», erzählt dieser. Lange mussten die zwei, die sich als jüngste Fussballclub-Besitzer Indiens bezeichnen, über den Deal mit dem Schweizer Verein nicht beraten. «Das, was Massimo hier abliefert, ist super», sagen die beiden heute unisono.
Massimo, das ist Massimo Ceccaroni. Die Basler Fussballlegende, die inzwischen ihren Job als Nachwuchschef hat weitergeben müssen, machte sich am Rheinknie auf, um die Erfahrungen aus dem Basler Juniorenfussball den Kollegen in Indien weiterzugeben. Als Ceccaroni im letzten Jahr erstmals das Land besucht, erdrücken ihn die Impressionen beinahe. Auch hat er kein Netzwerk, das ihm beim Projekt helfen könnte.
Nach Basler Vorbild
Aber da sind die Pläne, die ihn reizen, die Kooperation voranzutreiben: Die besten Jugendlichen Indiens sollen beim Chennai City FC ausgebildet werden, ebenso Trainer, und auch die Akademie soll ganz nach Basler Vorbild erbaut werden. «Ich brachte meine Ideen ein», sagt der 51-Jährige, «sogar ein Eisbad wird es geben.» Die Bauarbeiten haben begonnen, wann die Akademie eröffnet werden kann, ist offen - wie so vieles in diesem Land. Raghavan sagt diplomatisch: «Es wird noch ein paar Monate dauern.»
Es ist diese Ungewissheit, die für die Inder selbstverständlich und im Alltag vielmals spürbar ist. Die Organisation ist teils chaotisch, auch im Fussball. Chennai City, der letztjährige Meister (siehe Zweitstoff), hätte sein erstes Spiel der asiatischen Champions League im November austragen sollen. Angepfiffen wurde es vor wenigen Tagen. «Das ist normal», sagt Mouriya Sethupandian. Er ist Ceccaronis wichtigster Mitarbeiter in der Ausbildung.
Sethupandian erzählt von Partien im regionalen Juniorenfussball, die stets kurzfristig angesetzt würden. Und zumeist auf Plätzen von Privatschulen ausgetragen werden. «Weil nicht jedes Team über einen Heimplatz verfügt.» Noch komplizierter wird es, wenn sich eine Mannschaft für einen nationalen Final qualifiziert. Sethupandian sagt: «Dann kann man für ein Spiel pro Weg schon mal drei bis vier Tage mit dem Zug unterwegs sein.»
Das Stadion in der Fremde
Reisen, das sind die Inder gewohnt. Allein schon, wer mit dem Chennai City FC sympathisiert und in der Hauptstadt Tamil Nadus wohnt, hat für den Besuch eines Heimspiels 450 Kilometer zurückzulegen. Weil in Chennai bereits der Chennaiyin FC das Stadion besetzt, hat Chennai City FC eine zahlbare Heimstätte fern der Stadt suchen müssen - und ist in Coimbatore fündig geworden.
5000 bis 6000 Zuschauer kommen im Schnitt zu den Spielen in einem Rund, das in die Jahre gekommen ist. Weil das Stadion auf alle Seiten hin offen ist, kann kein Eintritt verlangt werden. Das Interesse ist trotzdem überschaubar. Sethupandian sagt dazu etwas, das sinnbildlich für den Stellenwert des Fussballs im Land ist: «Um die Premier League im Fernsehen zu verfolgen, stehen die Inder nachts auf, aber ins Stadion geht kaum einer die indische Liga schauen.»
In Coimbatore, das eine Million Menschen zählt, kommt auch die Nachwuchs-Akademie zu stehen. An der Grenze zum Bundesstaat Kerala wird auf einem bislang brach gelegenen Areal in der Grösse von 18 Fussballfeldern das neue Prunkstück des Vereins errichtet. «Ein vergleichbares Projekt gibt es in Indien nicht», sagt Präsident Ramesh sichtlich stolz. Spieler ab Stufe U-13 sollen dort wohnen und ausgebildet werden. 90 Jugendliche finden auf der modernen Anlage Platz.
Der Verein ist davon überzeugt, dass mit dieser neuen Infrastruktur sowie dem Basler Know-how einiges möglich ist. «Dem indischen Fussball fehlt die grosse Geschichte», sagt Ramesh, «wir möchten nun ein bedeutendes Kapitel schreiben.» Es sei sein Traum, einst einen Spieler seiner Farben nach Europa zu transferieren, ihm dort ein besseres Leben zu ermöglichen.
Halbwegs geglückt ist dies bislang Sunil Chhetri. Der Captain der Nationalmannschaft ist der einzige Fussballer Indiens, der den Sprung nach Europa geschafft hat, zu Sporting Lissabon B. Gereicht hat dies nicht, um diese grosse Geschichte zu schreiben, die sich diejenigen im Land wünschen, die den Fussball vorantreiben wollen. Noch immer ist der 35-Jährige ein nationaler Star, inzwischen schnürt er seine Schuhe für Bengaluru FC. Die bekannten Namen sind aus dem indischen Clubfussball jedoch verschwunden, die ausländischen Verstärkungsspieler haben ihre besten Zeiten zumeist längst hinter sich.
Der Besuch aus Basel
An einem ganz anderen Punkt der Karriere befindet sich Jan Muzangu. Der 19-Jährige hat das Fussball-Abc beim FC Black Stars erlernt und danach über Concordia den Weg zum FCB gefunden. In den Überlegungen des Basler Nachwuchses spielt der Offensivspieler aktuell keine Rolle, in der U-21 kam er in der Vorrunde auf 14 Minuten Einsatzzeit.
Deshalb hat er sich entschieden, den Flieger nach Indien zu besteigen und sich das dortige Projekt anzusehen. Bei Rapperswil weilte er im Probetraining, bei Schaffhausen ebenfalls. Aber Interesse bekundete am trickreichen Fussballer keiner. «Also versuche ich es hier», sagt der 19-Jährige, der im indischen Club als grosser Hoffnungsträger gehandelt wird - sofern er den Kontrakt in den nächsten Tagen unterzeichnet. Der Spanier Pedro Manzi verliess den Verein in Richtung zweite japanische Liga. Der Stürmer hat Chennai praktisch im Alleingang zum Titel geschossen. Folglich wird sein Transfer nach Japan als der teuerste im indischen Fussball gehandelt. Über konkrete Zahlen möchte der Club auch da nichts sagen. Das Onlineportal transfermarkt.ch schätzt die beim Wechsel geflossene Summe auf 125 000 Euro.
Muzangu wird also wohl in den nächsten Monaten Orange-Weiss tragen. «Trifft Muzangu in der Liga, dürfte er der jüngste europäische Torschütze Indiens sein», glaubt Ramesh zu wissen. Für den FCB-Junior ist die erste Reise seines Lebens nach Asien ein besonderes Abenteuer.
Das bekommt er bereits bei seinem Premierentraining mit den Junioren des Chennai City FC zu spüren. Die Übungseinheit findet bei heissen Temperaturen auf dem Kunstrasenplatz des Skywalk-Einkaufcenters statt. Nach einer fast einstündigen Anfahrt durch den Verkehr der pulsierenden Metropole geht es im Parkhaus zwölf Stockwerke hoch. Wie auf der Herbstmesse fühle sich das an, sagt Muzangu und lacht. Über den Dächern einer Millionen-Stadt hat er noch nie gespielt.
Der Wechsel auf das Dach
Neu ist die Unterlage auch für Massimo Ceccaroni. Dank seinem Anstoss hat sich der Verein auf diesem Plastikgrün eingemietet. «Zuvor trainierten wir auf einem Rasen, auf dem kaum ein gerader Pass gespielt werden konnte», erzählt er. Die Trainingsbedingungen sind also besser, nun gilt es, auch Spieler und Trainer besser zu machen.
Dafür ist Thomas Bernhard extra nach Indien gereist. Der FCB-Athletiktrainer unterrichtet Chennais Coachs. «Together we’re strong» heisst es auf einer von Bernhards Präsentationen. «Zämme stark», auch bei der Mission Indien. Seine Lektionen finden mal im Hotel, mal im Büro des Clubs mitten in Chennai in einem Geschäftskomplex statt. Erst wenn die Akademie offen ist, wird der Verein auch seine Administration nach Coimbatore zügeln.
Bernhard hat in diesen Tagen so viel zu erzählen, dass seine Stimme ihren Geist aufgibt. Was die künftigen Ausbildner aber nicht daran hindert, Fragen über Fragen an den Experten aus der Schweiz zu stellen. «Es ist beeindruckend, wie aufnahmefähig und lernwillig die Inder sind», schwärmt Bernhard. Zufall ist das nicht. Die meisten der Männer, die seinen Worten lauschen, haben einen Hochschulabschluss; einer ist Zahnarzt, ein anderer Jurist.
Das Scouten im Nordosten
Die Ausbildung der künftigen Trainer ist aufgegleist, nun wird das Scouting intensiviert. Bis Ende April soll feststehen, wer in die Akademie aufgenommen wird. Dafür reist Ceccaroni durchs ganze Land. Als Nächstes führt seine Reise in den Nordosten, in eine Region, die an Tibet und Nepal grenzt. Es heisst, die besten indischen Fussballer kämen von dort, weil sie physisch bessere Eigenschaften mitbringen als Landsleute aus anderen Teilen Indiens.
Fünf Wochen lang wird der Verein dort Spieler suchen, deren Leben in der Akademie planen und mit Eltern sprechen. Denn viele künftige Chennai-Talente müssen für den Traum Profifussballer ihre Heimat verlassen: Geplant ist, dass 60 Prozent der Junioren aus Südindien, 30 Prozent aus dem Nordosten und 10 Prozent aus dem Norden des Landes den Weg nach Coimbatore finden.
Möglich, dass am Ende einer dieser Fussballbegeisterten als Erster die grosse Geschichte des indischen Fussballs schreibt. Der FCB hätte dabei seinen Teil dazu beigetragen. Denn Rotblau ist der erste europäische Club, der diesen Weg konsequent in Indien zu gehen scheint. Und sich davon eine Rendite nicht nur auf dem Feld erhofft. Damit nimmt Rotblau eine Vorreiterrolle ein. Den indischen Markt - interessant auch, weil von der jungen Generation ein jeder ein Handy besitzt - entdeckt hat auch Manchester City. Der englische Topclub erwarb im November 65 Prozent der Anteile von Mumbai City FC.
Ans Gelingen des Projekts glaubt Chennai City, und auch der FCB. «Die Partnerschaft ist seriös», sagt Ceccaroni. Ist sie dereinst auch erfolgreich, sind die Schlagzeilen garantiert. Was vielleicht auch dafür sorgen würde, dass Taxifahrer Victor in Chennai eine Ecke finden würde, wo es tatsächlich Fussballtrikots zu kaufen gibt.
Sie alle träumen von einem Leben als Fussballer in Europa - Sichtungstraining des Chennai City FC bei indischen Junioren, die möglichst bald in die Nachwuchs-Akademie einziehen möchten.