Presseschau

Tages-Anzeiger vom 13.05.2022

Ein Traumtor und die Frage: Was ist es wert?

Die Grasshoppers führen in Basel 1:0, dann holt sich Christian Herc innerhalb von 71 Sekunden Gelb-Rot. Am Ende müssen die Zürcher froh sein, einen Punkt mitzunehmen. Noch haben sie ihr Schicksal in den eigenen Füssen.

Florian Raz

Womit beginnen? Mit der schönsten Aktion des Abends, mit der Dummheit des Spiels? Oder doch lieber mit etwas Slapstick?

Vielleicht mit der Erleichterung. Es läuft die letzte von 94 Minuten, als Bendeguz Bolla seinen Gegenspieler Raoul Petretta am Fuss trifft. Die Szene spielt sich im Strafraum der Grasshoppers ab. Und ganz kurz scheint es, als ob es zu einer ganz bitteren Nacht werden könnte für die Zürcher.

Aber da hat der Video-Assistent vielleicht bereits Pause gemacht. Oder er hat Mitleid mit GC, das so aufopferungsvoll gekämpft hat bis zu diesem Zeitpunkt. Und so bleibt das Zeichen aus dem Video-Raum aus. Es gibt keinen Elfmeter für den FC Basel, die Partie endet 1:1.

GC nimmt einen Punkt mit, für den es vor dem Anpfiff vielleicht bereitwillig unterschrieben hätte. Es ist der eine Zähler, den der Club zwei Runden vor Ende der Spielzeit noch vom FC Luzern trennt, der noch unbedingt in letzter Sekunde vom Barrageplatz springen will.

Abrashi: «Bitter, sehr bitter»
Nach dem Schlusspfiff ist dann allerdings nicht mehr klar, ob das jetzt ein gewonnener Punkt gegen die Abstiegsangst ist - oder ob sich GC nicht grämen muss, zwei weitere Zähler verspielt zu haben. «Bitter, sehr bitter», findet Amir Abrashi danach erst einmal den Spielverlauf. Aber dann findet der GC-Captain auch noch etwas Positives: «Für das Mentale ist der Punkt wichtig.»

Aber ärgern, das dürfen sich die Grasshoppers schon. Nicht, dass sie in Basel das überlegene Team wären. Jemand müsste mal untersuchen, ob sich die Anzahl hochgehaltener Daumen auf dem Feld umgekehrt proportional zur Qualität des Spiels verhält. Die Vermutung lautet: Je mehr positive Fingerzeichen, desto ungeniessbarer ist das Spiel. In Basel waren eine ganze Menge Daumen zu sehen.

Aber GC ist ja auch nicht angereist, um die knapp 20’000 Menschen im St.-Jakob-Park zu unterhalten. Vor drei Runden hatte das Team noch acht Punkte Vorsprung auf die inzwischen entfesselten Luzerner. Beim Anpfiff in Basel ist das alles weg, geschmolzen wie ein Schweizer Gletscher in der Maisonne.

Nein, GC ist angetreten, um sich mit Klauen und Zehen gegen den Fall in die Barrage zu wehren. Und die Zürcher tun das mit ganz viel Leidenschaft, aber auch guter Organisation. Wobei es ihnen sicher auch entgegen kommt, dass die Basler nach der Ehrung für Fabian Frei als Rekordspieler des FC Basel (454 Spiele jetzt) eigentlich kein grosses Interesse am weiteren Verlauf des Abends mehr erkennen lassen.

GC hat am Ende ganze 28 Prozent Ballbesitz. Nur 63 Prozent der Zürcher Pässe kommen an. Das heisst: Jeder dritte Pass landet beim Gegner oder im Aus. Aber das ist alles egal, weil sich die Grasshoppers die besseren Chancen erarbeiten. Bereits nach 57 Sekunden müsste Brayan Riascos aus sieben Metern die Führung erzielen. Kurz vor der Pause trifft Giotto Morandi mit einem Freistoss den Pfosten.

Dann hält sich wieder Riascos in der 50. Minute an eine alte Fussballerweisheit: Wenn du nicht weisst, wohin mit dem Ball, schiess ihn einfach ins Tor. Vom linken Strafraumeck zieht der Kolumbianer ab und trifft hoch ins entfernte Eck. Es ist das erste Tor des wegen des Kriegs von Charkiw ausgeliehenen Stürmers.

Der FCB scheint nicht gewillt, auf diesen Rückstand zu reagieren. In der 73. Minute trifft Bolla aus ähnlicher Position erneut den Pfosten.

Aber dann kommen die Sekunden des Christian Herc. Er kommt in der 74. Minute aufs Feld. Und ist 144 Sekunden danach mit Gelb-Rot wieder weg. Erst seine Unbeherrschtheit eröffnet den Baslern den Weg zum 1:1. Wobei in der 84. Minute auch noch Noah Loosli und Ayumu Seku ineinander fallen, um Sebastiano Esposito das Tor zu ermöglichen.

Und so bleibt die Frage aus GC-Sicht: Was ist dieser Abend wert? Man wird es erst nach Runde 36 wissen.

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