Presseschau

Aargauer Zeitung vom 10.12.2013

«Hier geht es immer hoch und runter»

Fussball Vor dem Showdown gegen Basel spricht Captain Benedikt Höwedes über die Krise bei Schalke und die Schweizer Berge

Sebastian Wendel, Gelsenkirchen

Für Basel steigt morgen das Spiel des Jahres – und für Schalke?

Benedikt Höwedes: Für uns genauso! Die Partie hat in der Mannschaft und in der Klubführung einen riesigen Stellenwert. Sportlich, weil wir letzte Woche leichtfertig die Titelchance im DFB-Pokal verschenkt haben und in der Liga ins Hintertreffen geraten sind. Für den Verein ist es finanziell wichtig, in der Champions League zu überwintern. Wir haben viel mehr Druck als Basel.

Und ausgerechnet jetzt ist Schalke in der Krise.

Klar würden wir gerne mit einem Sieg im Rücken antreten. Dennoch haben wir in Gladbach ein gutes Spiel gemacht, wurden dort aber leider vom Schiedsrichter benachteiligt. Wir sind gewarnt, Basel ist eine sehr gute Mannschaft.

Im Hinspiel ist Schalke aufgetreten wie ein Aussenseiter…

Halt, das war ein Auswärtsspiel. Da ist es nicht unsere Marschroute, ein Pressing aufzuziehen. Unsere abwartende Spielweise war dann auch der Schlüssel zum Sieg.

Morgen muss Schalke gewinnen, sprich die Offensive suchen.

Müssen wir nicht, Harakiri spielen bringt ja nichts. Erste Priorität hat hinten die Null. Vorne sind wir immer für ein Tor gut.

Seit Wochen gehen vor jedem Spiel die Diskussionen um Trainer Jens Keller aufs Neue los. Hemmt Sie das als Spieler?

Wir beschäftigen uns damit nur am Rande. Nicht, dass einer absichtlich schlecht spielen würde. Doch uns geht es in erster Linie um den Verein. Unabhängig davon, welche Einzelschicksale letztlich daran hängen.

Man hat den Eindruck, bei Schalke interessiert die Frage, wann Keller entlassen wird, mehr, als die Leistungen der Mannschaft.

Diese Diskussion ist ja mit der Einstellung des Trainers vor einem Jahr losgegangen und nie abgeflacht.

Nachvollziehbar?

Nein. Klar, Trainer werden immer zur Diskussion stehen, wenn die Mannschaft keinen Erfolg hat. Aber Jens Keller hat hier nie eine echte Chance bekommen und stand vom ersten Tag an unter Beschuss. Das war absolut nicht gerechtfertigt. Es liegt jetzt an uns, gegen Basel und am Samstag gegen Freiburg wieder in die Spur zu kommen.

Hätte nicht die Mannschaft den Grossteil der Kritik verdient?

Dass der Trainer das meiste abkriegt, liegt in der Natur der Sache. Aber wir haben auch ordentlich auf die Fresse bekommen. Teils gerechtfertigt, aber viel wird übertrieben dargestellt.

Sind Sie in der momentanen Phase als Kapitän besonders gefordert?

Ich bin immer gefordert und versuche, als Leader voranzugehen. Kommunikation auf allen Ebenen ist das A und O.

Erleben Sie die schwierigste Zeit, seit Sie vor zwei Jahren das Kapitänsamt übernommen haben?

Nein, nein. Hier geht es immer hoch und runter.

Wie interpretieren Sie Ihre Rolle des Anführers?

Wir haben keine Hierarchie, in der einer den Mund aufmacht und alle anderen nur «ja, ja, ja» sagen. Hier darf sich jeder einbringen, der ein Problem hat oder was verbessern möchte. Ich spreche vor allem viel mit den jungen Spielern.

Beschreiben Sie doch einmal in wenigen Sätzen den «Mythos Schalke».

Jeder hier im Ruhrpott ist entweder Fan von Schalke oder von Dortmund. Die Leute geben ihr Leben für den Verein, der Fussball bestimmt für viele den Tagesablauf. Als Spieler bekommt man im Supermarkt direkte Feedbacks zur eigenen Leistung. Das ist hier einzigartig.

Kann diese Abhängigkeit der Menschen vom Verein einen Spieler lähmen?

Jeder muss auf seine Weise damit klarkommen. Ich empfinde es als stimulierend, wenn die Leute mitmachen und dem Klub Leben einhauchen. Besser jedenfalls, als wenn das Ganze vor sich hinsiecht.

Wie nah sind auf Schalke Realität und Wunschdenken?

Auf Schalke lechzen viele nach dem Titel, nachdem die Mannschaft 2001 für vier Minuten Deutscher Meister war und dann doch alles verlor. Der Verein geht realistisch damit um, dass derzeit München und Dortmund das Nonplusultra sind. Wir versuchen, den Anschluss zu wahren.

Was fehlt Schalke denn, um ganz oben mithalten zu können?

Wir haben keine 100 Millionen wie Bayern, die wir für neue Spieler ausgeben können. Und in Dortmund heisst der Trainer seit fünf Jahren Jürgen Klopp, während hier die Trainer kamen und gingen.

Wünschen Sie sich mehr Kontinuität?

Kein Spieler wünscht sich, dass er alle sechs Monate einen neuen Trainer bekommt. Aber eben, alles hängt vom Erfolg der Mannschaft ab.

Sprechen wir über den FCB. Auch dort gibt es trotz Erfolg eine Trainerdiskussion. Was sagen Sie dazu?

Als Aussenstehender weiss ich zwar nicht genau, was im Verein abgeht – aber ein bisschen merkwürdig tönt das schon. Basel ist ja seit Jahren die Nummer 1 der Schweiz und sorgt international für Aufsehen.

Ist ein erfolgreicher Trainer immer auch ein guter Trainer?

Wer Erfolg hat, hat recht – normalerweise.

Es gibt sogenannte Fussballexperten in Deutschland, die meinen, Alex Frei spiele immer noch in Basel. Was wissen Sie über den FCB?

Die Mannschaft verfügt nicht über die grossen Stars, hat sich in den letzten Jahren aber sehr positiv entwickelt. Aber mit dem Niveau in der Schweizer Liga wird es schwierig, noch mehr rauszuholen. Um eine Topmannschaft zu werden, braucht man jedes Wochenende starke Konkurrenz.

Welchen Bezug zur Schweiz haben Sie?

Hin und wieder fahre ich in die Berge. Und euer Nationalspieler Tranquillo Barnetta ist ein Kumpel von mir.

Trifft man Sie in den Bergen auf Ski an?

Als Fussballer darf ich das leider nicht. Ich mag das einzigartige Alpenpanorama und den Schnee.

Was trauen Sie der Schweizer Nationalmannschaft an der WM zu?

Ottmar Hitzfeld hat ganze Arbeit geleistet, da ist eine sehr gute Mannschaft herangereift, die zu Recht zu den Top 10 der Welt gehört. Wir Deutschen haben das ja am eigenen Leib erfahren, als wir 2012 vor der EM verdient verloren haben (3:5; d. Red.). Ich traue der Schweiz sehr viel zu.

Also wollen Sie im Viertelfinal das Duell mit der Schweiz vermeiden?

Deutschland braucht vor niemandem Angst zu haben, wir haben unheimlich viel Qualität in der Mannschaft.

Die dazu führt, dass der Titel – gemessen an den Erwartungen der Menschen – fast zur Pflicht wird.

Was vermessen ist. Nicht umsonst hat bislang keine europäische Mannschaft in Südamerika einen Titel gewonnen. Dort herrschen nun mal aussergewöhnliche Bedingungen. Am Schluss wird es die Mannschaft machen, die sich am besten anpasst und sich während des Turniers weiterentwickelt.

Sie wehren sich gegen die Favoritenrolle.

Deutschland gehört immer zu den Titelanwärtern. Diesen Status haben wir dank den letzten Jahren auch verdient. Aber es geht darum, wie wir mit dem Klima in Brasilien klarkommen. Und da kann ich beim besten Willen keine Prognose abgeben.

Benedikt Höwedes

Der 25-Jährige, den auf Schalke alle nur «Bene» rufen, wechselte 2001 in die Nachwuchsabteilung der Blau-Weissen und unterschrieb 2007 den ersten Profivertrag. Seit 2011 ist er Kapitän seines «Lieblingsvereins». Höwedes, der am liebsten in der Innenverteidigung spielt, gehört seit 2011 zum Kreis der deutschen Nationalmannschaft. Davor wurde er 2009 mit der U21 Europameister. (wen)

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