Sonntagsblick vom 23.04.2006
Doppel-Interview Ex-FCB-Captain Murat Yakin und Freundin Anja Müller
Frührente Mit 31 Jahren muss Murat Yakin seine aktive Karriere beenden. Sein geschundener Körper hält den Belastungen des Profi-Sports nicht mehr stand. Im SonntagsBlick blickt Muri gemeinsam mit seiner Freundin Anja Müller (24) in die Zukunft.
VON DOMINIK HUG (tEXT) UND wALTER l. kELLER (fOTOS)
Gibt es ein Leben nach dem Fussball?
Murat Yakin: Ich lerne es gerade kennen. Einfach ist es nicht, damit vertraut zu werden. Seit ich denken kann, laufe ich einem Ball hinterher. Schon als Kind stieg ich mit den Fussballschuhen ins Bett und konnte es nicht erwarten, bis es Morgen war und ich wieder Bälle dreschen durfte.
Wie enttäuscht sind Sie, dass Ihr Vertrag mit dem FC Basel nicht verlängert wurde?
Gar nicht enttäuscht, denn ich hatte es erwartet. Ich bin seit eineinhalb Jahren verletzt. Müsste ich eine Firma leiten und ein Mitarbeiter wäre so lange krank, würde ich ihn auch ziehen lassen. Enttäuscht bin ich nur, wie mein Abgang kommuniziert wurde. Es erweckte den Eindruck, als hätte ich um eine Vertragsverlängerung gebettelt. Dem war nicht so. Aber irgendwie ist das ja jetzt auch egal. Eine Last ist von mir weg.
Eine Last?
Ja. Denn ich muss jetzt nicht mehr jeden Morgen aufstehen und denken: Mist, ich sollte doch eigentlich voll ran, aber ich schaffe es einfach nicht. Nur schon wenn ich jogge, bekomme ich Schmerzen. Es ist brutal, aber so ist halt manchmal das Leben. Ich bin nicht der Erste und bestimmt nicht der Letzte, der auf diese Weise seine Karriere beendet. Was man nicht ändern kann, muss man akzeptieren.
Wie hat Ihre Mutter Emine aufs Karriereende reagiert?
Für sie war es am schwierigsten. Sie besuchte jedes Training und jedes Spiel. Ein Trost bleibt ihr: Dass sie wieder nach Bern gehen kann, um meinen Bruder Hakan gesund bei YB spielen zu sehen. Und sie ihm vielleicht auch an der WM zuschauen darf.
Hakan spielt an der WM?
Es wäre verantwortungslos, ihn nicht mitzunehmen. Mein Bruder ist ein unberechenbarer Spieler. Und das macht ihn für jeden Gegner gefährlich.
Haben Sie keine Angst, Anja Müller, dass Ihr Freund nach 15 Jahren Spitzensport in ein Loch fällt?
Anja Müller: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin ja auch noch da und bringe ihn zum Lachen. Seine Gesundheit ist das Wichtigste. Seine Schmerzen belasteten auch unsere Beziehung. Es ist frustrierend, wenn der Partner jeden Tag von Klinik zu Klinik rennt und niemand ihn heilen kann. Auch ich kann ihm nicht helfen.
Murat Yakin: Ich glaube auch nicht, dass ich jetzt in ein Loch falle. Das Ende kam ja nicht völlig abrupt. Ich hatte in den letzten Monaten genug Zeit, diese neue Situation in Erwägung zu ziehen. Ich bin auch kein Träumer. Irgendwann geht alles zu Ende. Und ist etwas fertig im Leben, muss man die Türe schliessen können. Ich bin glücklich, dass ich alles gegeben habe und auch das Maximum herausholen konnte. Ich habe meinen Kindheitstraum erfüllt. Ich durfte in den grossen Stadien spielen. Jetzt muss ich eine neue Türe öffnen.
Ein Comeback ist ausgeschlossen?
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. So lange mir kein Arzt sagt, ich sei sportinvalid, so lange kämpfe ich. Ein Comeback als aktiver Fussballer riskiere ich aber nur, wenn ich auch unter Belastung absolut schmerzfrei bin und mich wieder hundertprozentig fit fühle. Wenn ich merke, dass es mir im Herbst besser geht, greife ich wieder an. Ich bleibe aber realistisch: Ab 30 Jahren ist jede Minute auf dem Fussballfeld ein Geschenk, eine Zugabe.
Es wurde bereits über ein Comeback bei YB spekuliert, wo Ihr Bruder Hakan spielt?
Die beste Zeit meines Lebens hatte ich mit meinem Bruder in derselben Mannschaft. YB ist ein sehr sympathischer und familiärer Verein. Das mag ich. Mich wird man künftig sicher öfter im Stade de Suisse sehen.
Was machen Sie, wenn das Comeback nicht gelingt?
Ich bin ein viel zu spontaner Mensch, um jetzt schon meine Zukunft zu verplanen. Sicher ist nur: Ich werde bestimmt keine Boutique und auch kein Sportgeschäft eröffnen. Ich kann auch nicht in einem Büro herumhocken. Irgendwie bleibe ich dem Fussball erhalten. Wer weiss, vielleicht werde ich ja mal Präsident vom FCB.
Den Grundstein dafür haben Sie bereits gelegt. Übernächste Woche beginnen Sie in Brunnen SZ die Trainerausbildung.
Richtig. Aber ich betone: Meine Gesundheit geht vor. Ich will ja auch noch in zehn Jahren aufrecht laufen können. Als Nächstes wird gezielt therapiert und mein Körper heruntergefahren. Nicht nur meine Seele, auch mein Körper muss sich umgewöhnen.
Faulenzen ist also angesagt?
Genau. Ich geniesse den Sommer mit Anja. Und bin erleichtert, dass ich nicht mehr dauernd Telefonanrufe von der Klubleitung bekomme, die sich beschwert, weshalb man mich wieder mal irgendwo beim Golfspielen gesehen habe. Ich bin froh, endlich frei zu sein und niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen über mein Leben.
Haben Sie finanziell eigentlich ausgesorgt?
Mein Haus muss ich nicht verkaufen. Und ich habe keinen verschwenderischen Lebensstil. Aber ich unterstütze nebenbei meine grosse Familie, und das ist eine Riesenverantwortung.
Anja Müller: Keine Bange, wenn uns das Geld ausgeht, kann schliesslich immer noch ich für uns sorgen.
Denken Sie ans Familiegründen?
Murat Yakin: Dafür ist es jetzt noch ein bisschen zu früh. Anja und ich sind ja selbst noch halbe Kinder -so wie wir dauernd herumblödeln. Kinderkriegen wird aber bestimmt bald ein Thema werden.
Anja Müller: Jetzt will ich Muri aber erst mal ein bisschen für mich allein geniessen. Ich musste ihn lange genug mit der halben Schweiz teilen.
Sie haben sich ohnehin nie gross für Fussball interessiert, sagten Sie einmal.
Viel Ahnung davon habe ich bis heute nicht. Aber das Spiel wurde halt zum wichtigen Bestandteil unseres Lebens. Weil es eben das Leben meines Schatzes war - und das wird es ja auch bleiben. Für ihn wird es nie ein Leben nach dem oder ein Leben ohne Fussball geben.