Facts vom 18.05.2006
Die «Schande von Basel» war absehbar. Die Klubs haben die Probleme mit Fans zu lange verharmlost, der Fussballverband schaute weg.
Von André Grieder und Andreas Kunz
Am Montag vor dem Spiel regelten sie noch die Details: der FC Basel, die Polizei, Feuerwehr, Sanität und der Stadionbetreiber Basel United. «Sandkübel, Zangen und Handschuhe, um Pyros einzusammeln, müssen von Basel United gestellt werden», hält das vertrauliche Sitzungsprotokoll fest, das FACTS vorliegt. Oder: «Fernsehen hat 2 Hundeführer für den Übertragungswagenplatz gewünscht.»
Für die FCB-Meisterfeier existierte eine Planvariante für schönes und eine für schlechtes Wetter. In beiden Fällen sollten «die offiziellen Fanklubs schauen, dass Ordnung herrscht».
Es kam anders. Das Meisterschaftsfinale FC Basel gegen FC Zürich wurde zur «Schande von Basel» - mit Krawallen bis gegen Mitternacht, 115 Verletzten und einem hohen sechsstelligen Sachschaden. Von einem Versagen wollte Basel aber nichts wissen. «Alle Szenarien wurden durchgespielt. Wir haben die Gewaltbereitschaft unserer Fans nicht unterschätzt», sagte FCB-Präsidentin Gigi Oeri noch zwei Tage später. Das Sitzungsprotokoll widerspricht: Unter dem Kapitel «Platzstürmung» werden allein Basler Feierlichkeiten erwähnt: «Bei einer Platzstürmung der FCB-Fans aus Freude über den Meistertitel bleibt die Polizei im Hintergrund.»
Im ganzen Rapport findet sich kein Wort darüber, dass Basler Fans bei einem Sieg des FC Zürich den Platz stürmen könnten. Obwohl die Polizei gemäss Protokoll über Informationen verfügte, «dass die FCB-Fans in den Gästesektor dringen wollen» - die einzige vermutete Bedrohung durch FCB-Fans. Gleich vier Szenarien erstellten die Basler für die Anhänger des FC Zürich.
Mehr als zwei Minuten Zeit
Immerhin zogen die Veranstalter die - im Rückblick - entscheidende Eventualität in Betracht: «Penalty gegen FCB in 90. Minute (oder Ähnliches ...): In einem solchen Fall soll sich die Polizei in der Muttenzer Kurve zwischen Banden und Gittern positionieren.»
Der entsprechende Befehl blieb aus - obwohl den Polizisten zwischen dem Zürcher Siegtreffer und dem Abpfiff mehr als zwei Minuten Zeit blieben, um die Muttenzer Kurve abzuriegeln. Die Basler Hooligans konnten die Jagd auf die FCZ-Spieler ungestört eröffnen.
Die Analyse der Basler Krawallnacht zeigt zwei Dinge: Erstens gingen die Organisatoren ganz selbstverständlich von einem Sieg des FC Basel aus. Zweitens - und das war verheerend - verharmlosten sie das Gewaltpotenzial der Basler Fans.
Dabei hätte man gerade in Basel gewarnt sein müssen. Die Liste der Vorfälle, in die Basler Fans involviert sind, ist lang. 1995 kam es in Luzern zu Ausschreitungen beim Spiel FC Luzern gegen den FCB. 1998 stürmten Basler Fans in Kriens das Kleinfeld und machten Jagd auf die gegnerischen Spieler. Genauso wie acht Jahre später in Basel.
Der Schweizer Fussball hat, das verdeutlicht das Beispiel Basel, im Kampf gegen die Hooligans zehn Jahre verloren. Die Schande von Basel ist ein letzter Warnschuss für die Europameisterschaft 2008 im eigenen Land.
2004 hatte der Bundesrat im Extremismusbericht vor den Krawallmachern und Hooligans ausdrücklich gewarnt. Längst gehörten nicht mehr nur Fussballfans dazu, heisst es dort. In der Anonymität von Grossveranstaltungen agierten zudem sportlich wenig interessierte Leute zunehmend gewalttätig. Dabei handle es sich vielfach um sehr junge Randalierer, die als Krawalltouristen von einem Event zum nächsten reisten.
Dennoch war Justizminister Christoph Blocher 19 Monate lang nicht auf die Vorlage des Hooligangesetzes eingetreten. Laut Insidern weigerte sich Blocher trotz mehrmaligen Interventionen von Sportminister Samuel Schmid, das Gesetz auf seine Prioritätenliste zu nehmen.
Die Probleme sind bekannt
Dabei steht die Schweiz nicht vor unbekannten Problemen. 1985 gab es im Brüsseler Heysel-Stadion 39 Tote und 400 Verletzte, nachdem betrunkene Engländer italienische Fans angegriffen hatten. Vier Jahre später erdrückten und zertrampelten Rowdys in Sheffields Hillsborough-Stadion 96 Menschen. Verband und Behörden reagierten. Alle Klubs der Premier League mussten ihre Stadien komplett mit Sitzplätzen ausstatten. Die Sicherheitszäune wurden verboten, die Eintrittspreise angehoben, um Gewalttätern den Zutritt zu erschweren. Der Ticketverkauf wurde zum grössten Teil auf nicht übertragbare Saisonkarten ausgerichtet. Die Klubs sollten genau wissen, wer auf den Plätzen sitzt.
Seit Ende der Neunzigerjahre gibt es in England an Spieltagen vor kaum einem Fussballstadion Eintrittskarten zu kaufen und demnach eine kontrollierbare Menschenmenge. Im Stadion ist die Überwachung der Zuschauer mit Dutzenden Kameras gewährleistet. Auffällige werden sofort ausgewiesen. In der nationalen Datenbank sind fast 4000 Hooligans erfasst.
Kurze Prozesse mit Gewalttätern, Meldeauflagen und Ausreiseverbote wirken. In der Saison 2004/2005 sank die Zahl der Verhaftungen an Fussballmatches in England auf durchschnittlich 1,2 pro Spiel. Bei den letzten fünf Länderspielen wurden nur fünf Personen festgenommen. Fans, die in England den Rasen betreten, werden verhaftet und erhalten drei Jahre landesweites Stadionverbot. In Basel hingegen bat man Randalierer, die beim ersten FCB-Tor aufs Feld stürmten, höflich zurück auf die Ränge. Ein untaugliches Mittel.
Die Schweizer Klubs scheuen sich davor, hart gegen die Stehrampen-Fans vorzugehen. Mit ihren Choreografien und Gesängen beleben sie die Stadien und erfreuen auch das ruhige Publikum. Zudem bringen sie Geld in die Klubkasse. Die Premier League beweist aber, dass die Stimmung in den Stadien unter schärferen Sicherheitsvorkehrungen nicht leidet.
In der Schweiz fand jahrelang eine Scheindebatte statt. Klubverantwortliche lobten vor Medien und Verbänden die eigenen Fanprojekte und priesen ihre Anstrengungen gegen Krawalle, Vandalismus und gefährliche Pyroshows auf den Tribünen. Als am 8. März 2003 in Basel die Muttenzer Kurve auf Grund einer Sanktion der Nationalliga für ein Spiel leer bleiben musste, sprach der damalige FCB-Präsident Werner Edelmann von einem «unglücklichen Entscheid».
In Wahrheit wurden Stadionverbote ignoriert, erhielten Ultras Gratis-Jahreskarten, und mit Fackeln und Knallkörpern gefüllte Rucksäcke flogen vor den Augen der Sicherheitsverantwortlichen über den Stadionzaun.
Schuld für solche Vergehen trägt auch der Schweizerische Fussballverband. Statt schmerzhafter Platzsperren erhielten Klubs mit gewalttätigen Fans bisher weitgehend harmlose Geldstrafen. Die Funktionäre wollten sich nicht unbeliebt machen. Nach den Ausschreitungen beim Eishockey-Play-off-Final Lugano - ZSC Lions vom April 2001 forderte Swiss Olympic für alle Sportarten verschärfte Sicherheitsbestimmungen - der Fussballverband winkte ab (siehe Box Seite 19).
Jetzt ist ein Gesetz nötiger denn je. Und das Referendum der Fans wohl hinfällig. Vor dem Spiel gegen den FCZ sammelten Basler Fans Unterschriften gegen das Hooligan-Gesetz. Auf dem Heimweg in die Stadt warfen sie die Unterschriftenbögen weg. Frustriert vom Verhalten ihrer «Kollegen». Den Kampf zwischen Fans und Gesetzgebern entschied ein Dolchstoss aus den eigenen Reihen.
Die Gesamtzahl dieser gewaltbereiten Schweizer Fussballfans schätzen Experten auf etwa 9000. Dazu gehören die Hooligans der Bande Basel oder der City Boys aus Zürich, die Fussballspiele allein als Kulisse für interne Auseinandersetzungen missbrauchen.
Der Bundesrat definiert im Extremismusbericht die jugendlichen Gewalttäter als «Modernisierungsverlierer», thematisiert «Vereinzelung und ein Gefühl des Ausgeschlossenseins, Orientierungslosigkeit, Ohnmachtsgefühle, Langeweile, Perspektivlosigkeit, Frustration» (siehe FACTS 17/2006).
«Die Frage nach dem Sinn kommt bei uns zu kurz. Alles dreht sich um die Steigerung des Konsums, gemäss der Devise: Genug ist nie genug. Da müssen wir uns wieder bescheiden», sagt der Soziologe Ueli Mäder am Tag danach in der «Basler Zeitung». Durch die Verunsicherung im Kontext des raschen sozialen Wandels und fehlender persönlicher Perspektiven wachse die Versuchung, in autoritären Gruppen Halt zu finden.
In der Schweiz sind momentan 341 Fussballfans mit einem Stadionverbot belegt. Mit dem Hooligangesetz könnten sie registriert werden, ein Rayonverbot erhalten, unter Meldepflicht gestellt oder in Polizeigewahrsam genommen werden. Und die Klubs dürften Namen und Fotos der Krawallbrüder endlich untereinander austauschen.
Auch Euro-08-Austragungspartner Österreich muss aufrüsten. In der Bundesliga hatten in der letzten Runde Fans von Austria Wien beim Auswärtsspiel in Pasching randaliert. Erst prügelten sich die Fans auf der Tribüne, und als der Schiedsrichter die Partie schon nach 88 Minuten abpfiff und mit den Spielern in die Kabinen flüchtete, übernahm der rasende Mob das Kommando auf dem Rasen. Der Versuch, die Garderobentür mit Feuerlöschern aufzubrechen, scheiterte. Und was war die Reaktion auf die Zerstörungswut? Dieselbe Verharmlosung wie in der Schweiz. «Unsere Fans waren nicht zu halten. Aber das gehört dazu. Da sieht man, was für ein Rückhalt unsere Fans sind», sagte Ernst Dospel, der Captain der Austria.
Härter gehen der französische und der deutsche Verband gegen Randalierer vor. Beide Ligen kennen als höchstes Strafmass fünf Jahre landesweites Stadionverbot. Wer im neuen Stadion des FC Schalke für Randale sorgt, wird umgehend aus dem Fanblock geholt und ins stadioneigene Gefängnis gesteckt. Die Zelle kennen auch Fans des FC Basel, die sich beim Uefa-Cup-Spiel 2004 zu Hause wähnten. Der FC Sochaux steckt die gegnerischen Fans in einen Käfig aus Plexiglas.
Für die EM sind solche Massnahmen nicht vorgesehen. «Das Dispositiv für die Spiele wird sehr umfangreich sein», sagt Martin Jäggi, Sicherheitschef der Euro 08. Strikte Eingangskontrollen sollen verhindern, dass pyrotechnische Gegenstände ins Stadion geschmuggelt werden. Modernste Videosysteme überwachen die Zuschauer, unter denen sich «zivile Szenekenner» der Polizei befinden werden. Für das Wohl der Matchbesucher sorgen so genannte Fanbotschaften und Unterhaltungsangebote. Gewaltbereite Störer sollen durch Sicherheitszonen von den Stadien fern gehalten werden. «Wir werden uns um sie kümmern», sagt Jäggi.
Sehr beruhigend wirkt das nicht. Ein ähnliches Dispositiv kam vor ein paar Monaten im Uefa-Cup-Spiel des FC Thun gegen den Hamburger SV im Stade de Suisse zum Einsatz. «Das Verhalten der Schweizer Polizisten war vorbildlich», sagt HSV-Fanbetreuer Sven Freese. «Sie behandelten uns nicht als Menschen zweiter Klasse, sondern als Gäste der Schweiz.» Das wirkte auf die berüchtigten HSV-Anhänger «deeskalierend», hält Freese fest. Verblüfft waren die Hamburger allerdings, dass man sie die Feuerwerkskörper ungehindert abfeuern liess - und dass sie beim Verlassen des Stadions nicht konsequent von den Thun-Fans getrennt wurden.
Mitarbeit: David Schaffner und David Wiederkehr