Presseschau

Basellandschaftliche Zeitung vom 17.11.2006

Muttenzerkurve in der Schule

JUGENDTHEATER «Der 12. Mann ist eine Frau» heisst das neue, selbst entwickelte Stück des jungen theaters basel. Drei junge Frauen spielen begeisternd.
Joerg jermann

Eine Premierenkritik, bei der man ohne das neuliterarische «du» kaum auskommt und ohne Baseldeutsch erst recht nicht. Denn da erlebst du was, das sag ich dir, do gohts ab, du sitzt im Klassenzimmer, wo es sonst mit Geschichte und Biologie so was von öd und dröge verläuft, halb Tiefschlaf, halb rummotzen. Aber dann dröhnt die grosse Pauke im Gang und volles FCB-Gebrüll: «Effcebehe, nananaa, nananah - hehe he, Efcebe» und drei Mädchen aus der Muttenzerkurve brechen ins Klassenzimmer ein, lassen ein einziges Feuerwerk von Theater und Fankultur ab und verschwinden nach fünfundvierzig Minuten wieder.

Bei der Premiere sassen die Leute in einem Klassenzimmer des Kasernenschulhauses, Klassenzimmer werden auch zukünftig in der Region der Ort der Vorstellungen sein von «Der 12. Mann ist eine Frau!». Das junge theater basel sucht die Front, sucht die Jugendlichen auf, wo sie mehrheitlich sind: in ihren Klassenzimmern eben. So aktuell der Spielort für die Jugendlichen ist, so aktuell ist auch der Stoff: Der FCB, die Fans und ihre Kultur, ihr Sprache, die auch Jugendsprache generell ist, und Sitten sowie Unsitten. Die drei Mädchen, die sich mitten in diesen Fans behaupten wollen und müssen, die sich unter ihresgleichen emanzipieren, werden von ihren eigenen Leuten der Muttenzerkurve angefeindet. Ein richtiger Fan sei ein Mann, heisst es.

Die drei jungen Frauen haben keine Mühe gescheut und ein dickes Bündel trefflicher Texte recherchiert und zusammengestellt, sie haben sechs Monat lang Interviews gemacht mit den Fans, sie erkundeten das letzte Reservat der Männlichkeit. Und sie spielen diese weiblichen Fans absolut packend, die Zuschauer sind gebannt von ihren Erscheinungen, ihrer Heftigkeit, ihrer Lautstärke, ihrer starken, lebendigen, echten Sprache und ihrem unbändigen Spiel. Sie heissen Anna-Katharina Mücke, Linda Werner und Suna Gürtler. Sie singen praktisch alle FCB Fan-Songs, schreien die Gegner nieder und die Bullen, haben den Habitus der Muttenzerkurve internalisiert, die gestreckten Arme, die heftigen Mundbewegungen, die plötzlichen Drehungen, die bösen Blicke. Sie zitieren und widersprechen sich, sie spielen drauf los und wild durcheinander, verlieren den Faden und den Schwung aber keine Sekunde. Da kommen alle Gefühle zum Vorschein, Trauer und Freude, Wut und Solidarität. Feindschaft, Freundschaft: Alles ist da. Die Kurve wird zum Daheim: Das Spielfeld ist der Garten, die Stehrampe die Stube und der Würstlistand hintendran die Küche. Gruppendruck gibt es da, viel Sexismus, auch gegenüber Schiedsricherinnen: «Nicole ghört an Härd, Nicole ghört an Härd . . .» Frauenfussball wird diskutiert, Christiano ist geil und Petric stammt von Urfeind GC, Ergic ist härzig, aber die allzu vielen -Itschs in der Mannschaft gefallen ihnen trotzdem nicht. Die Frauentoilette ist eine Warteschlangentoilette, im Auto und am Auswärtsmatch ist es am geilsten, alle rufen ihnen zu «Scheiss-Basel» und sie schreien «Scheiss-Bure» zurück. Ohne Bier geht’s nicht und ohne latenten Bullenhass ebenso wenig.

Sebastian Nübling hat zusammen mit seinem Musiker Lars Wittershagen den fetzigen Auftritt grossartig inszeniert, da steht die Erfahrung dahinter, die gewiefte Professionalität des Regisseurs: Der Abend ist variantenreich und mit vielen Überraschungen inszeniert, Begeisterung herrscht unter den Zuschauern. Und wenn die Sache vor Schülern abgeht, wird es noch viel echter und intensiver sein. Die Textmontage von Suna Gürtler und Uwe Heinrich ist gekonnt gemacht, die Ebenen durchdringen sich wie selbstverständlich: Die Mädchen feinden sich gegenseitig an, sind hart im Nehmen und Austeilen, dann plötzlich ein Herz und eine Seele, wenn sie schlicht Fans sind und gegen die Jungs und Männer ankämpfen müssen. Die Texte sind unmittelbar präsent und von hoher Dichte, ein Feuerwerk an Aufzeichnungen aus dem Stadion, eine bemerkenswerte Sammlung aktueller Jugendsprache.

Von Adoleszenz und Identifikationsbedürfnis kann man viel mitbekommen, aber auch von weiblichen Ansichten und Verhaltensweisen, von Spielfreude der jungen Frauen und von der Gassensprache der FCB-Fans und ihrer heftigen, lebendigen Heimat in der umstrittenen Kurve - eine Wucht.

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