Basellandschaftliche Zeitung vom 07.11.2007
Ivan Ergic Der Teamcaptain des FC Basel spricht über Mechanismen und Unarten im heutigen Spitzenfussball
Morgen Abend gastiert der FCB in seinem zweiten Uefa-Cup-Gruppenspiel bei Dinamo Zagreb. Nach dem 1:0-Heimsieg über Rennes würde ein allfälliger Punktgewinn die Ausgangslage der Basler weiter verbessern. Spielführer Ivan Ergic macht sich aber nicht nur Gedanken über Tore, Siege und Punkte.
Georges Küng
Ivan Ergic, morgen spielen Sie mit dem FC Basel in Zagreb. Ist dies für Sie auch eine Art «Rückkehr zu Ihren Wurzeln» oder gar ein Teil einer persönlichen Vergangenheitsbewältigung?
Ivan Ergic: Ich hatte das Glück, dass ich mit dem FCB in den letzten vier Jahren gegen Teams wie Siroki Brijeg, Roter Stern Belgrad, Rabotnicki Skopje oder FK Sarajevo gespielt habe. Alles Mannschaften aus dem ehemaligen Jugoslawien. Diese Gastspiele waren in der Tat eine Rückkehr in jenes Land, das meine Heimat war. Als ich ein kleiner Bub
voller Träume und Illusionen war. Die Auftritte im Ex-Jugoslawien waren für mich daher auch nostalgisch. Ich persönlich verbinde Nostalgie aber auch immer mit einer grossen Portion Traurigkeit.
Sie wurden in Kroatien geboren, wuchsen in Serbien auf, verliessen dann mit Ihren Eltern die Heimat in Richtung Australien und leben seit Sommer 2000 in Basel. Als was fühlen Sie sich denn eigentlich?
Ergic: Auf diese Frage kann ich keine eindeutige Antwort geben. Ich müsste weit ausholen, was wiederum gar komplex wäre. Manchmal behaupte ich von mir selber, ich sei ein Zigeuner, gehöre also einem fahrenden Volk an. Ich mache aus der Nationalitäten-Frage keine Kardinalsfrage. Viel wichtiger ist, dass der Mensch irgendwann in seinem Leben zu seiner Identität findet. Diese muss man sich, wenn sie verloren gegangen ist, neu aufbauen. Unabhängig davon, wo man sich gerade befindet. Salopp ausgedrückt darf man aber ruhig sagen, dass ich ein «Jugo» bin. Ich weiss, dass viele meiner Landsleute diesen Ausdruck als Schimpfwort empfinden.
War Ihr Weg als Fussballprofi vorbestimmt? Oder gab es eine Zeit, in der Sie auch einen anderen Beruf ins Auge fassten?
Ergic: Als Bub wollte ich nur eines: Fussball spielen. Der Ball war mein steter Begleiter und praktisch 24 Stunden lang allgegenwärtig. Ich war noch einer dieser Strassenfussballer, die auf Beton und in Hinterhöfen kickten. Eine Spezies, die heute vom Aussterben bedroht ist. Sicher, schon früh zeichnete sich ab, dass ich über viel Talent verfügte. Dies war mir durchaus bewusst. Aber eine Profilaufbahn habe ich wohl nur im Unterbewusstsein angestrebt › der Spieltrieb und die Freude am Ball waren und werden immer meine Antriebsfeder sein.
Sie gelten als einer, der viel weiter als bis zur Eckballfahne denkt. Einst «gehörten» Sie zu 50 Prozent Juventus Turin sowie dem FC Basel. Wird da der Spieler nicht zur Ware degradiert?
Ergic: Ich gehe sogar ein Stück weiter und sage: Der heutige Spieler ist wie eine Aktie. Oder eine Handelsware. Milder betrachtet ist er ein Angestellter eines Klubs. Doch die Vereine sind heute längst zu Firmen mutiert. Und die Fussball-Anhänger und Zuschauer sind deren Kunden. Das ist die Entwicklung im heutigen Spiel namens Fussball. Der Spieler von heute hat jegliches Selbstbestimmungsrecht verloren. Der Preis, den die Vereine dafür zahlen, sind die teils exorbitanten Gehälter, welche wir Spitzenspieler erhalten. Seit Jahren hat in vielen Bereichen im und rund um den Fussball eine Masslosigkeit Einkehr gehalten, die ich für falsch halte und den Menschen gegenüber als unwürdig taxiere. Ich würde zum Beispiel nie einen persönlichen Werbevertrag unterzeichnen, von
dessen Produkt oder Dienstleistung ich als Mensch nicht überzeugt bin.
Warum benötigen die heutigen Spitzenfussballer einen Manager? Überlässt man dabei das Denken nicht Drittpersonen, die primär opportunistisch und profitorientiert handeln?
Ergic: Wissen Sie, eigenständig denkende Fussballer sind gefährlich. Für den Klub, für das Umfeld, vielleicht sogar für die Medien. Ein Spieler hat wie ein Roboter zu funktionieren. Diesen kann man programmieren und dann funktioniert er so, wie es vorgesehen ist. Aber ich bin kein Teil dieses Systems. Mich hat auch immer gestört, dass Eltern von Talenten als masslos und habgierig dargestellt wurden. Gerade die Boulevardmedien haben oftmals fast schon kampagnenartig versucht, dieses Bild zu vermitteln. Ich kenne keinen Vater und keine Mutter, die nicht das Beste für ihr Kind wollen. Manchmal stelle ich mit Schrecken fest, dass der Grossteil von uns Spitzenkickern nicht einmal ein Fachidiot, sondern vielmehr zum Spielball vieler Interessen geworden ist.
Verletzungen und Ihre Krankheit sind wohl der Grund dafür, dass Sie «nur» in der Super League anstatt in der Serie A oder Primera División spielen. Stellen Sie sich manchmal vor, wie es sein könnte, für einen europäischen Spitzenverein zu spielen?
Ergic: Ja. Denn diesen Traum bin ich dem «kleinen Ivan» schuldig. Der Bub, der davon träumte, bei einem grossen Verein zu spielen und die Zuschauer zu entzücken. Und natürlich war es ein ganz grosser Tag, als «Juve» vor zehn Jahren › wir lebten damals noch in Australien › an mich herantrat. Da spürst du, was ein derartiger Weltklub bedeutet. Juventus ist eine Institution, für viele auch eine Lebensphilosophie.
Sport, und da primär der Fussball, soll gerade für ausländische Zuzüger ein Integrationsmittel sein. Wie definieren Sie persönlich dieses «in einem fremden Land integriert zu sein»?
Ergic: Die Sprache ist die Basis. Wer sich austauschen und miteinander einen Dialog führen kann, der versteht sich in der Regel. Integration ist sehr schwer zu definieren. Ich behaupte, dass viele Menschen nicht integriert sind, weil sie schon in der Heimat gesellschaftlich nicht integriert waren. Wie soll man da in einer fremden Umgebung, in einem
anderen Kulturkreis mit einer fremden Sprache überhaupt eine Integration anstreben? Es gibt heute so viele Menschen, die entfremdet sind. Erwarten Sie von diesen nicht, dass sie sich in der Fremde integrieren lassen.
Sie haben einen guten Draht zu den FCB-Anhängern. Gerade zur Muttenzer Kurve. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen «Hardcore-Fans» gemacht?
Ergic: Ich kenne viele Leute aus der Kurve. Und ich habe mit ihnen positive Erfahrungen gemacht. Ich gehe auf jeden Menschen ohne Vorurteile zu, respektiere ihn als Individuum, nehme mir für ihn Zeit und höre ihm genau und interessiert zu. Allzu oft wird im Leben pauschal ge- und verurteilt. Ganze Gruppen werden in einen einzigen Topf geworfen, weil man Vorurteile hat. Das ist falsch. Auch in anderen Sektoren des St. Jakob-Parks hat es einzelne Zuschauer, deren Auftreten und Benehmen nicht über alle Zweifel erhaben sind.
Früher war Fussball ein Spiel. Heute ist es, zumindest auf Spitzenniveau, praktisch nur noch ein Geschäft. Stimmen Sie dieser These zu?
Ergic: Ja. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was gerade in Osteuropa, in Russland und auf dem Balkan mit renommierten Vereinen passiert ist. Oligarchen, Tycoone und Neu-Milliardäre haben die Klubs › einem Spielzeug gleich › aufgekauft. Da geht die Seele des Sports und der Vereine verloren, die Spieler werden instrumentalisiert, die Zuschauer sind oftmals die Betrogenen. Schade.
Wo wird Ivan Ergic in zehn Jahren sein? Glauben Sie, dann weiterhin mit und im Fussball verbunden zu sein.
Ergic: Eine Zukunftsfrage mit einer hypothetischen Antwort. So, wie sich der Fussball entwickelt hat, werde ich kaum noch in diesem Business tätig sein. Das ist nicht mehr das Spiel, welches ich als kleiner Bub so sehr geliebt, ja vergöttert habe. Vielleicht gründe ich eine Zeitung, um damit jenen Menschen eine Stimme zu geben, die etwas Essenzielles zu sagen haben. Gut möglich auch, dass ich › als «Jugo» › auf einer Baustelle arbeiten werde oder Taxifahrer bin. Wer weiss.
Verfolgen Sie den kroatischen Fussball? Und wagen Sie für morgen einen Tipp?
Ergic: Ich tippe nie, aber ich weiss, dass es ein ganz schwieriges Spiel wird, denn Zagreb ist spielstark und wird von einem fanatischen Publikum getragen. Den Fussball in Kroatien verfolge ich nur oberflächlich. Aber selbstverständlich habe ich mich, seitdem Dinamo als FCB-Gegner bekannt war, speziell über diese Equipe informiert.
Dienstältester Akteur beim FCB
Ivan Ergic wurde am 21. Januar 1981 in Sibenik (Kroatien) geboren und wuchs in Belgrad (Serbien) auf. Als Junge war er ein bekennender Anhänger von Roter Stern Belgrad. Im Jahre 1996 verliess Ergic zusammen mit seiner Familie seine Heimat und siedelte nach Australien über. Bei Perth Glory wurde man auf das grosse Talent schnell aufmerksam, und es war kein geringerer als der italienische Serie-A-Verein und Rekordmeister Juventus Turin, der den heutigen FC-Basel-Captain unter Vertrag nahm. Seit dem Sommer 2000 spielt und lebt die rot-blaue Nummer 22 in Basel. Er legt grossen Wert auf die Präzisierung, dass er im multi-kulturellen Kleinbasel wohnt. Ivan Ergic ist 186 Zentimeter gross, 87 Kilogramm schwer, hat die serbische und australische Nationalität und spielte einige Länderspiele für Serbien. Seine Eltern leben unweit von Basel, in Eimeldingen (Südbaden). Seine Schwester studiert in Belgrad und arbeitet als Modedesignerin. Der letztjährige WM-Teilnehmer steht bereits in seiner achten Spielzeit beim FC Basel unter Vertrag und ist damit der dienstälteste Akteur, welcher ohne Unterbruch für Rot-Blau spielt. (GK)