Presseschau

Oltner Tagblatt vom 15.12.2007

«Der Fussball ist professioneller geworden»

Fussball Vor zehn Jahren trat Fifa-Schiedsrichter Serge Muhmenthaler (Grenchen) ins zweite Glied zurück

Welcher Weggefährte von Fifa-Schiedsrichter Serge Muhmenthaler (Grenchen) erinnert sich nicht an dessen Rücktritt am 7. Dezember 1997 nach dem Spiel auf dem Brügglifeld FC Aarau gegen Lausanne-Sports. Wenn es um den Grenchner Sekundarlehrer in der Folge auch ruhiger wurde, als Inspizient im Auftrag der Uefa blieb er mit der Fussballszene verbunden.
Walter Ernst

Serge Muhmenthaler war aufgrund seiner fussballerischen Laufbahn (Meister mit Basel) sowie seiner Ausstrahlung für das Amt eines Unparteiischen geradezu prädestiniert.

Von 1980 bis zu seinem Karrierenende leitete er rund 250 NL-Partien und 70 internationale Begegnungen, darunter als einer der Höhepunkte das WM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Russland (1:0) vor 80 000 Zuschauern in Neapel. Fazit: Italien fuhr an die WM-Endrunde nach Frankreich.

So viel über Muhmenthalers herausragende Qualitäten als Fussballerpersönlichkeit.

SR zunehmend in der Kritik

Am letzten Sonntag ging für die Teams der Super League das Fussballjahr 2007 zu Ende. Wie selten zuvor sorgten die Spielleiter Runde für Runde mit zumindest fragwürdigen Entscheiden für Frust auf der Trainerbank und auf den Zuschauerrängen.

Reguläre Tore werden wegen des zu frühen Spielunterbruchs nicht gegeben. Penalty oder nicht? Fragen über Fragen - wir versuchen mit Serge Muhmenthaler zusammen darauf eine Antwort zu geben, nach dem Motto: Schiedsrichter werden ist nicht schwer, Schiedsrichter sein dagegen sehr.

Die Region schmort

Gegenstand unseres Gesprächs war auch die derzeitige Situation auf der Stufe des Solothurner Kantonal-Fussballverbandes (SKFV). Auch innerhalb der regionalen Schiedsrichterei stellt sich nämlich die Frage, wo sind sie geblieben, die einstigen Grössen im schwarzen Gewand von A wie Alfred Heinis bis Z wie Ernst Zulauf.

Serge Muhmenthaler weiss zwar in einer Epoche der grossen Veränderungen in unserer Gesellschaft und dem damit verbundenen Freizeitverhalten auch keine Patentlösung, aber immerhin gelangt er mit seiner Ursachenforschung in den Wurzelbereich, wo der Hase begraben liegt.

Schon beim Interview im Dezember 1997 stimmte ihn die zunehmende Verrohung auf den Fussballplätzen nachdenklich. Nachvollziehbar, dass wir uns zehn Jahre danach wiederum mit dieser Untugend auseinandersetzten.

Im Übrigen freut sich der aus Leidenschaft und Berufung Fussballer, Schiedsrichter und später Inspizient gewordene Serge Muhmenthaler auf die Euro 08, die er mehrheitlich am Bildschirm verfolgen wird.

Eine Standortbestimmung mit dem 54-jährigen (Fussball-) Lehrer:

Wissen Sie noch, wo und wann Sie als 45-Jähriger nach Ihrer beeindruckenden Karriere Ihre Laufbahn als Schiedsrichter beendeten?

Serge Muhmenthaler: Ich erinnere mich, am 7. Dezember 1997 auf dem Brügglifeld nach dem Spiel FC Aarau gegen Lausanne Sports.

Sie traten damals mit einem lachenden und einem weinenden Auge von der Bühne ab. Zehn Jahre sind es her. Haben Sie jemals den Schritt zurück bereut?

Muhmenthaler: Überhaupt nicht. Ich hätte ja noch ein Jahr anhängen können. Verletzungen haben mir den aus freiem Willen gefällten Entscheid erleichtert. Zahlreiche An- und Aufgebote lehnte ich in der Folge ab, weil die Motivation fehlte. Ein schönes Gefühl auf dem Höhepunkt einer Karriere zurücktreten zu können. Die letzten Highlights waren zweifellos das WM-Qualifikationsspiel in Neapel vor 80 000 Zuschauern Italien gegen Russland (1:0). Mein letzter Europacupeinsatz war in Amsterdam, Ajax gegen VfL Bochum. Wie erwähnt, den Rücktritt bereute ich nie.

Im Interview zu Ihrem Rücktritt vom 31. Dezember 1997 im «Oltner Tagblatt» wiesen Sie auf anstehende Gespräche mit dem SFV, der Uefa und Fifa hin, um Abklärungen über Einsätze als Inspizient auf internationaler Ebene zu treffen. Was wurde effektiv aus dieser neuen Herausforderung?

Muhmenthaler: Im Sommer 1998 wurde ich SR-Inspizient bei der Uefa. Die Inspektionen beschränkten sich auf rund sechs Spiele pro Jahr. Aber ich war auch für den SFV in dieser Eigenschaft unterwegs, und zwar von der Super League bis auf die Stufe der 1. Liga. Die beruflichen Anforderungen wuchsen ständig, was mich zwang, die Prioritäten anders zu setzen. Für Inspektionen innerhalb des SKFV fehlte schlicht die Zeit.

In welcher Funktion sind Sie heute, also zehn Jahre später, für den Fussball unterwegs?

Muhmenthaler: In der Zeitspanne von 2003 bis 2006 war ich unter dem inzwischen verstorbenen Werner Müller Mitglied der Schiedsrichterkommission des SFV. Vier Tage vor seinem plötzlichen Tod hatte ich noch Kontakt zu ihm. In der SK war ich zuständig für die SR-Assistenten sowie die Inspizienten. Zuletzt war ich zusammen mit Andreas Schluchter für die SR verantwortlich.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn die Rede von Ernst Dörflinger, Alfred Heinis, Peter Rotschi, Paul Senn, Hans Wieland, Willi Utz, Ruedi Scheurer, Manfred Schlup, Roger Schuppisser, Ernst Zulauf, Bruno Hauri, Mario Marbet, Francis Fischer, Dieter Schoch oder Daniel Käser ist?

Muhmenthaler: Mit Ausnahme von Ernst Zulauf waren es alles Kollegen, die ich persönlich während ihrer aktiven Laufbahn miterlebte. Heute pflege ich noch Kontakt zu meinem früheren Assistenten Peter Rudolf von Rohr, aber auch zu Urs Meier.

Wo sind Sie geblieben, die Nachfolger der einstigen standhaften, leidenschaftlichen Solothurner Schiedsrichter, die rund um den Erdball für Ruhe und Ordnung auf dem Spielfeld sorgten?

Muhmenthaler: Eine absolut berechtigte Frage. Ich weiss es eigentlich auch nicht. Ich vermute, dass den Jungen schlicht die Geduld fehlt. Akzeptanz und Toleranz sind schlechter geworden, andererseits sind die Anforderungen gestiegen. Ich leite davon ab, dass Schweizer und Ausländer die Prioritäten anders gewichten. Die Risikobereitschaft scheint bei den Letzteren grösser zu sein. Respekt und Achtung vor dem Mitmenschen lassen zu wünschen übrig, was sich auch im Hobby negativ auswirkt.

Der Schiedsrichterchef des SKFV, Christian Bleuer, hat seit Jahren Mühe, die ordentlichen Abgänge durch neue Spielleiter zu kompensieren. Wo liegt der Hase begraben?

Muhmenthaler: Ich denke, die zunehmende Gewalt und Aggression auf den Sportplätzen halten manchen Interessierten schliesslich vom Schritt Schiedsrichter zu werden ab, weil er nicht zum Freiwild werden möchte. Täglich werden wir weltweit mit Ereignissen konfrontiert, die nun einmal nicht ermuntern, den SR-Job auszuüben.

Haben Sie als ausgewiesene Persönlichkeit eine Idee, wie man aus der Not eine Tugend machen kann?

Muhmenthaler: Hätte ich Lösungen parat, es wäre das Ei des Kolumbus. Der Fussball ist nun einmal zu einem grossen Geschäft geworden, das mittlerweile auch die Basis erfasste. Dazu kommen die gesellschaftlichen Veränderungen und Wertvorstellungen, die für die beunruhigende und besorgniserregende Entwicklung mitverantwortlich sind.

Geblieben sind Pfeife und die roten und gelben Karten. Das Hobby ist zweifellos anspruchsvoller geworden. Wo liegt die Differenz gegenüber vor einem Jahrzehnt?

Muhmenthaler: Sie müssen sehen, Fussball ist professioneller geworden. Nicht der Sport als solches steht im Vordergrund; vielmehr zählt nur noch der Erfolg. Der Druck ist permanent vorhanden. - Andererseits hat sich natürlich auch die Mentalität der Spielleiter geändert. Als Unparteiischer etwas verdienen ist heute auch ein Thema.

«Wenn man die Tore schiesst, diese aber nicht gegeben werden, kann man gegen diesen FC Basel nicht bestehen», so Thun-Trainer René van Eck nach der 0:2-Niederlage vom Sonntag, 2. Dezember. Nur eines von zahlreichen Beispielen, in dem der Schiedsrichter in der Kritik stand. Wie beurteilen Sie die Leistungen der Unparteiischen?

Muhmenthaler: Ich bin der Meinung, dass heute (zu) viele Fehlentscheide in der höchsten Spielklasse passieren, weil zu wenig Schiedsrichter den Fussball spüren. Dazu kommt, dass sie sinnvolle und hilfreiche Weisungen der Schiedsrichterkommission nicht umsetzen (können). Auch die Interpretation der neuen Abseitsregel bietet Zündstoff und erschwert somit die Aufgabe der Refs und Assistenten. Ein Verbesserungspotenzial ist sicher auch noch in der Zusammenarbeit zwischen SR und den Assistenten vorhanden.

Wie charakterisieren Sie Ihre heutigen Kollegen auf dem Fussballplatz?

Muhmenthaler: Gewiss, alle sind mit Herzblut und Engagement dabei und somit bereit, ihr Bestes zu geben, dazu kommt die persönliche Fitness. Demgegenüber sind die Spieler berechnender. Sie versuchen mit ihrem aggressiven Verhalten die Schiedsrichter zu täuschen und zu beeinflussen. Dadurch wird ihnen das Leben auch nicht einfacher gemacht.

Fehlen heute im SR-Wesen Führungskräfte wie beispielsweise Werner Müller?

Muhmenthaler: Nein. Mit Urs Meier, Markus Nobs und Andreas Schluchter verfügt die Kommission über sehr kompetente Führungspersönlichkeiten.

Kürzlich wurde ein reguläres Tor nicht gegeben, weil der Ref glaubte, der Ball lande im Aus und das Spiel nach einem fatalen Pfiff unterbrach. Vor Jahren wäre ein solcher Spielleiter in die unteren Ligen zurückgestuft worden. Lässt man heute Gnade vor Recht walten?

Muhmenthaler: Meines Wissens bekam der betreffende SR auch eine Denkpause.

Die zunehmende Verrohung auf den Fussballplätzen hat Sie schon 1997 nachdenklich gestimmt. Jüngste und aktuelle Beispiele: Ausschreitungen im Zürcher Hauptbahnhof im Anschluss an das Spiel GC - FCZ. Scharmützel auch in Aarau. Ist das Problem überhaupt in den Griff zu bekommen.

Muhmenthaler: Es wäre wünschens- und erstrebenswert, diese Untugend in den Griff zu bekommen. Um ans Ziel zu gelangen, brauchts die Bereitschaft der Funktionäre, der Spieler und schliesslich des Publikums. Gelingt es nicht, dann riskiert man eben, dass die Spiele unter Ausschluss der Fans stattfinden. Solche Geisterspiele würden wohl das Aus für die populärste Mannschaftssportart bedeuten.

Im Vorfeld der Euro 08 steht die Sicherheit im Vordergrund. Gepredigt wird zwar immer «wir wollen würdige Gastgeber sein». Was erwarten Sie sportlich von diesem Grossereignis?

Muhmenthaler: Ich wünsche mir natürlich interessante, sportlich hoch stehende Begegnungen ohne Gewalt in den Stadien und Städten.

Wie werden Sie persönlich das Fussballspektakel erleben?

Muhmenthaler: Vorwiegend vor dem Fernseher. Möglich ist aber auch, dass ich mir ein Spiel live ansehen werde.

Was wünschen Sie sich zum Jahreswechsel?

Muhmenthaler: Ich wünsche mir, was ich anderen Leuten auch wünsche, nämlich gute Gesundheit und Zufriedenheit.

brigger über Muhmenthaler

Der frühere Sitten-Trainer Jean-Paul Brigger sagte einmal im Tourbillon: «Ich schätze Schiedsrichter Serge Muhmenthaler sehr, aber noch viel lieber auswärts, weil wir dann ebenfalls eine Chance haben, einen Punkt zu holen!

Muhmenthaler empfand diese Bemerkung nicht etwa als Beleidigung, sondern als Anerkennung, wie er sich erinnert. (we)

Schönes Gefühl auf dem Höhe- punkt der Karriere zurücktreten zu können

zu stichworten

FC Grenchen: Blicke mit Wehmut auf die glanzvollen Zeiten des FCG zurück. Wir müssen wohl akzeptieren, dass er ein Ausbildungsverein ist

Schulsport: Wichtiger denn je für einen überwiegenden Teil unserer jüngeren Generation

Stadt Grenchen: Habe hier meine Wurzeln

Gemeindefusionen: Drängen sich wahrscheinlich immer häufiger auf, weil sich immer weniger Leute für die Übernahme eines öffentlichen Amtes interessieren

Erwin Ballabio: Mein erster Coach zusammen mit Res Fankhauser beim FC Grenchen

Solothurner Fussballverband (SKFV): Ich hoffe, dass es wieder einmal gelingt, einen Spitzenschiedsrichter herauszubringen

Ralph Zloczower: Präsident des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV)

Was hat Sie zuletzt am meisten geärgert ... Die Rücksichtslosigkeit im Strassenverkehr

... und allenfalls gefreut? Dass es noch viele positive Kräfte gibt, die sich mit den zunehmenden Problemen und Schwierigkeiten befassen und nach Lösungen suchen

zur person

Name: Muhmenthaler

Vorname: Serge

Geboren: 20. Mai 1953

Beruf: Sekundarlehrer

Zivilstand: verheiratet

Wohnort: Grenchen

Fussballer-Laufbahn: 1966 bis 1972: Junioren, NLB und NLA beim FC Grenchen. 1972 bis 1974: Young Boys Bern. 1974 bis 1978: FC Basel, mit dem er in der Saison 1976/77 Meister wurde. Mitglied der Junioren-Nationalmannschaft und Kaderspieler der Nationalmannschaft

Schiedsrichter-Laufbahn: 1980/81: 3. Liga, 1981 bis 1983: 2. Liga, 1983/84: Kandidat Oberliga-Ref. Ab Saison 1984/85: Oberligaschiedsrichter. Ab 1989: Fifa-Spielleiter. 1989: Cupfinal-Ref. Leitete 70 internationale und rund 250 NL-Partien

Hobbys: Haus und Garten, Sport allgemein

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