Presseschau

Basellandschaftliche Zeitung vom 19.04.2008

Rasanter Aufstieg, ohne abzuheben

bz-Porträt Familie, Freundin und Freunde › die Erfolgsbasis von FCB-Stürmer Eren Derdiyok

Dass der 19-Jährige seine Leidenschaft › das Tore Schiessen › zum Beruf machen konnte, erscheint ihm manchmal wie ein Traum › ein Traum, der erst begonnen hat.
david weber

Die Tür geht auf, und FCB-Stürmer Eren Derdiyok tritt in die Hattrick Bar im St. Jakob-Park. Der 19-Jährige ist eine imposante Erscheinung › 190 cm gross, 83 Kilo schwer, steht auf der Club-Homepage. Seine Bewegungen sind langsam, fast bedächtig, und doch geschmeidig. Derdiyoks aufrechter Gang fällt auf, ebenso die dichten Augenbrauen.

Er sieht zufrieden aus. Tags zuvor hat er mit dem FC Basel in St. Gallen mit 4:1 gewonnen. Nur etwas müde sei er, er hat schliesslich 90 Minuten im Sturm geackert, im wahrsten Sinn des Wortes: «Der Boden im Espenmoos war sehr tief», meint er und verzieht leicht das Gesicht.

Derdiyok strahlt viel Ruhe aus, ist zurückhaltend und höflich. Er sitzt in der Hattrick Bar, die an diesem Donnerstagnachmittag fast leer ist, und blickt auf den Rasen des St. Jakob-Stadions, seinen liebsten Arbeitsplatz. «Es ist unglaublich, dass es mich hierher geweht hat», meint Basels Nummer 31 und schmunzelt. Er erinnert sich daran, wie er vor knapp zwei Jahren noch in der 2. Liga, bei BSC Old Boys Basel, gespielt hat, wo er alle Juniorenstufen durchlaufen hat. Heute spielt Derdiyok mit dem FCB regelmässig vor zwanzigtausend Zuschauern. Seinen ersten Super League-Treffer für den FCB schoss er am 15. April 2007. Der absolute Clou folgte am 3. Februar 2008, als er bei seinem ersten Einsatz für die Schweizer Nationalmannschaft ein herrliches Tor schoss, und das im Wembley-Stadion gegen England. Vom Zweitliga- zum Nati-Spieler in weniger als zwei Jahren, das Tempo von Eren Derdiyoks Aufstieg ist enorm.

Ein Grund zum Abheben? Nicht für ihn. Natürlich sei er glücklich, wie es im Moment laufe, sagt er. Aber seine Karriere sei erst am Anfang und er sei überzeugt, dass es noch weiter aufwärts gehe. «Ich bleibe auf dem Boden», sagt er bestimmt und man glaubt ihm. Auch FCB-Trainer Christian Gross ist es um seinen Schützling nicht bange: «Eren hat ein stabiles Umfeld und eine gesunde Einstellung», sagte Gross zur «Basler Zeitung».

Diese «gesunde Einstellung» zeigt sich auch an folgendem Beispiel: Beim letzten Heimspiel gegen GC sass Derdiyok verletzt auf der Tribüne. Trotzdem sagt er: «Das hat mir gut getan und mir viel bedeutet.» Als er auf der Tribüne sass, erinnerte er sich wieder an die «alten Zeiten», als er selbst im alten Joggeli für den FCB gefant hatte. Durch diese Aussenperspektive wurde ihm wieder richtig bewusst, woher er kommt und was er bisher erreicht hat. «Unglaublich», dachte er: «Auf dem Rasen unten kämpfen nun deine Teamkollegen.»

Mit Toren › sieben in der laufenden Saison › schiesst sich Eren Derdiyok in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Nur, dort steht er eigentlich nicht gern. Der Stürmer besitzt keinen Geltungsdrang. Stehe er neben dem Fussballplatz im Mittelpunkt, fühle er sich einfach unwohl. «Hier muss ich noch Erfahrungen sammeln.» Gelegenheiten dazu hat er reichlich. Denn seit seinem Wembley-Tor ist das Medien-Interesse stark gestiegen.

Das stabile Umfeld, das Gross anspricht, sind seine Eltern, der ältere Bruder Enver, Freundin Diane und seine Freunde. Eren Derdiyok wohnt bei seinen Eltern an der Kleinbasler Hammerstrasse. «Ich denke keinen Tag daran, auszuziehen», erklärt der 19-Jährige. Er sei sehr glücklich dort und er weiss, dass seine Familie, Freundin und Freunde grossen Anteil an seinem Erfolg haben. Mit seinem Bruder Enver hat er mehrmals täglich Kontakt. Keine Spur von Eifersucht oder Rivalität zwischen den beiden fussballverrückten Brüdern. Enver spielt in der 2. Liga beim SC Baudepartement.

An Derdiyoks rechter Hand glänzt ein silberner Ring. Ist er verlobt? «Ja», lacht er, relativiert dann allerdings: «nicht so richtig». Er hat seine Freundin Diane in den Ferien auf den Malediven mit den Ringen überrascht. Sie seien ein Symbol dafür, dass ihre Beziehung mehr sei, als bloss eine Liebschaft.

Verändert habe er sich in den letzten Jahren nicht, so der 19-Jährige, aber sein Leben schon, «sehr sogar». Das habe auch Auswirkungen auf das Privatleben. «Man muss professionell sein», sich immer optimal auf das nächste Spiel oder das Training vorbereiten. Gewisse Einschränkungen nimmt er gerne in Kauf. «Das gehört zu meinem Beruf», und in der Freizeit könne man immer noch seinen Spass haben, fügt er an. Allerdings sei er überhaupt nicht der Ausgangstyp. Er geht gerne ins Kino, trifft sich mit Freunden und Diane.

Mit Hakan Yakin teilt sich Eren Derdiyok die Leidenschaft, Playstation zu spielen, vor allem das Fussball-Game «Pro Evolution Soccer». Und welches Team wählt er da? «Meistens Barcelona oder Chelsea, mit denen gewinne ich am ehesten.»

Eren Derdiyok ist Basler und wuchs in der Nähe der Schützenmatte auf. Vor fünf Jahren zog er mit seinen Eltern, die aus der Türkei stammen, ins Kleinbasel. Dort gefällt es ihm gut. «Es ist irgendwie lebendiger als im Grossbasel.» Trotzdem bleibt er durch seinen alten Club BSC Old Boys (OB) mit Grossbasel verbunden. Er habe noch engen Kontakt mit seinen ehemaligen Teamkollegen und besuche so oft wie möglich Spiele oder Trainings auf der Schützenmatte.

An jenem Ort, wo er am 22.10.2005 in einem Cup-Match gegen den FCB-Basel das einzige OB-Tor zum 1:6 erzielte. Christian Gross war beeindruckt und holte das junge Talent ins U-18-Team des FCB. Von da an setzte Eren Derdiyok alles auf die Karte Fussball. Die Elektriker-Lehre, die er noch während seiner Zeit bei OB angefangen hatte, brach er ab, der Trainingsaufwand war zu intensiv und «das hin und her Pendeln zwischen Training und Arbeit zu mühsam».

Später arrangierte er mit dem FCB, dass er nebenher eine Bürofachdiplom-Ausbildung anfangen konnte. «Mit dem Sprung in die erste Mannschaft und dem Nati-Aufgebot musste ich auch das leider wieder aufgeben», bedauert Derdiyok. Seine Eltern haben ihn stets unterstützt, wofür er sehr dankbar ist.

Denkt der 19-Jährige daran, was nach der Karriere sein wird? «Nein», sagt Derdiyok. «Ich will mich nun voll auf Fussball konzentrieren und es geniessen, solange ich kann. Ich habe danach immer noch Zeit, eine Ausbildung nachzuholen und etwas anderes zu machen.»

Der Fussball und Eren Derdiyok gehörten seit jeher zusammen. «Als Kind hatte ich immer einen Ball dabei, auch in der Schule, unter dem Tisch. Den ganzen Tag habe ich mich auf den Abend gefreut, wenn ich ins Training durfte.» Er sei wohl nicht der beste Schüler gewesen, gesteht Derdiyok lachend, aber: «Wenn es darauf ankam, habe ich mir Mühe gegeben und gute Noten erhalten.»

Während der Euro 08, am 12.6.2008, wird Eren Derdiyok 20 Jahre alt. Ob er dann Teil des Schweizer EM-Kaders sein wird, darüber zerbricht er sich heute nicht den Kopf. Das sei die Entscheidung von Köbi Kuhn, er konzentriere sich auf den FCB.

Für Eren Derdiyok war klar, dass er › wenn er sich entscheiden müsste › für die Schweizer Nati und nicht für die türkische spielen würde. «Das hat nichts damit zu tun, dass meine Eltern aus dem kurdischen Teil der Türkei kommen», stellt er klar. «Ich bin in der Schweiz geboren, aufgewachsen und fühle mich hier zu Hause», sagt der Stürmer, der bereits für die Schweizer Juniorenauswahlen eine beachtliche Trefferquote an den Tag legte.

Auch in der Türkei fühle er sich wohl. Er hat viele Verwandte dort, trotzdem «ist die Türkei für mich › grob gesagt › ein Ferienland», erklärt Derdiyok, der kurz vor dem Verlassen der Hattrick Bar nochmals zur Grossleinwand schaut. Eurosport zeigt Gewichtheben. Diese Sportart könnte er nie ausüben, meint der Vollblut-Stürmer kopfschüttelnd. Muss er auch nicht. Er hat eine andere Arbeit und die heisst: Tore schiessen › und der Mannschaft helfen, wie er pflichtbewusst anfügt. Die nächste Gelegenheit dazu dürfte er heute gegen den FC Thun bekommen.

Eren Derdiyoks spontane Antworten auf Stichworte, die ihm die bz vorlegte:

Massimo Ceccaroni: Legende!

BSC Young Boys: Konkurrent.

Traum: Die Gesundheit der Familie und eine der drei Mannschaften, Barcelona, Arsenal und Real Madrid.

Muttenzer Kurve: Unterstützung.

Journalisten: Sind ab und zu etwas aufdringlich.

Heimat: Schweiz.

Familie: Das Wichtigste im Leben.

Türkei: Das Herkunftsland meiner Eltern. (daw)

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