Sonntag vom 27.04.2008
Der Basler Experte Urs Zeiser hat für das Schweizer Fernsehen die Körpersprache von Fussballern auf dem Spielfeld untersucht. Seine Erkenntnisse bergen Zündstoff
Von Bojan Stula
Urs Zeiser, am Montag geht die 18. und letzte Folge ihrer Kurzbeiträge zur Körpersprache von Fussballern im Schweizer Fernsehen auf Sendung. Womit wird sich die Rubrik «Zeiser zeigt» im «Euro-Magazin» abschliessend beschäftigen?
Urs Zeiser: Die letzte Folge wird sich um «Schwächen» der Schweizer EM-Gegner Türkei und Portugal drehen.
Und was sind ihre Erkenntnisse?
Sobald Verhaltensmuster bei Spielern erkannt sind, kann der Gegner strategisch vorgehen. Konkret kann das so aussehen: Dem türkischen Mittelfeldspieler Emre ist es wichtig, nicht übersehen zu werden. Dafür betreibt er viel körpersprachlichen Aufwand. Für die Schweizer könnte das heissen: keine Augenkontakte mit Emre. Solches Verhalten irritiert ihn. Emres Stimmung und Muskeltonus wären bereits zu Spielbeginn aus dem Lot.
Sie haben in einer früheren Sendung anhand von Körpersignalen messerscharf nachgewiesen, dass der ehemalige FCB- und jetzige YB-Spieler Carlos Varela auf dem Fussballplatz ein kaltblütiger Provokateur ist und mit voller Absicht hinterhältige Körperangriffe am Laufmeter begeht.
Nein, Worte wie «kaltblütig» oder «hinterhältig» haben in meinen Analysen keinen Platz. Ich habe gezeigt, wie man an der Körpersprache die Absicht erkennt.
Dennoch war für alle TV-Zuschauer gerade im Fall von Carlos Varela das Fazit ihres Beitrags eindeutig.
Im Fall von Varela besteht offenbar ein grosses öffentliches Bedürfnis nach Verurteilung. Wenn ich analysiere, muss ich mir bewusst sein, welchen Eigenschaften eines Spielers ich Aufmerksamkeit schenke. Hätte ich in dieser Sendung irgendeinen unbekannten 3.-Liga-Spieler gezeigt, wäre es ein trockenes Fallbeispiel geworden. Geht es aber um Spieler wie Varela oder Zuberbühler, werten wir sehr schnell. Die Analyse von Körpersprache ist jedoch wertfrei. Erst die Kenntnis von äusseren Faktoren wie Position, Rolle oder Verantwortung veranlasst uns zu werten.
Man kann davon ausgehen, dass Sie nach dieser Sendung ein bitterböses Telefon von Varela erhalten haben.
Tatsächlich warte ich bis heute auf eine negative Rückmeldung. Selbst Direktbetroffene haben meine Aussagen bestätigt. Ich selbst war allerdings mit meinen Fernsehbeiträgen selten zufrieden.
Wieso?
Diese drei Minuten im «Euro-Magazin» am Montagabend sind die Essenz aus 20 Stunden Videoanalyse und 5 bis 8 Drehstunden. Meine Aussagen wurden geschnitten und bearbeitet, und nicht selten hatte ich das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, um wirklich etwas auszusagen. Die vom SF verlangten häufigen Bildwechsel liessen mir keinen Spielraum, ein Beispiel in Ruhe zu erklären. Die Sendung wurde nicht von langer Hand vorbereitet, weshalb ich Woche für Woche etwas Neues aus dem Boden zu stampfen hatte.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für das Schweizer Fernsehen diese Reihe produzieren durften?
Ein mit mir befreundeter Redaktor des Schweizer Fernsehens übergab Martin Masafret von der SF-Sportredaktion meine Unterlagen. Im vergangenen November erhielt ich dann den Auftrag, vor den versammelten Sportkommentatoren einen Vortrag über Körpersprache zu halten. Um Interesse zu wecken, nahm ich Aufnahmen von Pascal Zuberbühler mit. Als ich mit meiner Analyse der berüchtigten «Zubi-Goals» geendet hatte, stand ich vor 14 betroffen schweigenden Fernsehkommentatoren. Das war auch für mich eine neue Erfahrung.
Und dann?
Beni Thurnheer fand als erster die Sprache wieder und sagte, dass Köbi Kuhn mein Fazit sofort erfahren müsse. Da wurde mir die Brisanz meiner Arbeit im Zusammenhang mit Fussball erstmals so richtig bewusst. Vier Wochen später fand ich mich im Affenhaus des Zolli Basel vor laufenden Kameras auf dem Weg zu meiner ersten Sendung.
Wieso ist Körpersprache gerade im Fussball so wichtig?
Weil sie das Verhalten der Spieler wesentlich mitbestimmt. Der Einfluss der Körpersprache auf unsere Entscheidungen ist wissenschaftlich untersucht. Im Privat- und Geschäftsleben beträgt er 60 bis 80 Prozent, auf dem Fussballfeld wahrscheinlich noch mehr. Verbale Kommunikation, wie die Anweisung eines Trainers, geht dagegen oft im allgemeinen Lärm und der Emotionalität unter. Was wir als «Instinkt» oder «Intuition» beschreiben, ist in Wahrheit das Gefühl, welches unsere Sinneseindrücke hervorrufen. Und dieses ist unsere wichtigste Entscheidungsgrundlage.
Was bedeutet das für den Zuschauer von Fussballspielen?
Auch für die Zuschauer ist die Körpersprache der Spieler die wichtigste Informationsquelle. Auf der Tribüne sind wir in der Lage, eine Schwalbe aus einer Distanz von 100 Metern zu erkennen. Eine einzige aufwertende Geste eines Heimspielers kann Tausende von Zuschauern in Ekstase versetzen. Gerade in solchen Momenten wird mir immer wieder bewusst, wie stark Körpersprache wirkt.
Warum ist das so?
Bei einer Unterhaltung zwischen zwei Personen geschehen auf 1000 gesprochene Wörter rund 50 000 körperliche Veränderungen. Dieser hohe Informationsfluss ermöglicht dem Zuschauer bereits beim Hereinlaufen ins Stadion eine Aussage wie: «Mir scheint, Ergic ist heute nicht so gut drauf.»
Was bei Ihren TV-Beiträgen auffällt, ist, dass Sie sich immer wieder bemühen, Fussball aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Wir haben keinen Körper, wir sind unser Körper. Bereits diese Sichtweise reicht aus, Menschen anders wahrzunehmen. Wenn mir meine Kinder Fragen zum Fussball stellen, bin ich immer wieder überrascht, wie richtig diese Fragen sind: Warum steht die Mauer beim Freistoss dem Goalie im Weg? Wann muss man den Ball setzen? Warum machen es nicht alle Goalies wie Dudek? Wer wird den Freistoss schiessen? Wie sehe ich, wohin der Penalty gehen wird?
Sind das auch die Fragen, die für Sie im Mittelpunkt stehen?
Diese und andere Fragen haben mich zumindest in den letzten vier Monaten beschäftigt. Die körpersprachlichen Analysen ergaben überraschende Antworten. Das Beispiel von Jerzy Dudek im Penaltyschiessen des Champions-League-Finals von 2005 zeigt, wie ein Goalie vor dem Penalty einen Schützen rein körpersprachlich beeinflussen kann. Dudek übergab den Ball in einer dominanten, abfälligen Art und begann danach, wie ein Fluglotse mit den Armen zu schwenken. Zusätzlich demonstrierte er dem bereits beeindruckten Schützen seine Beweglichkeit und Sprungkraft. Das Resultat ist bekannt: Drei Topfussballer von Milan verschossen ihre Penaltys kläglich, und Dudek gewann mit Liverpool das Endspiel.
Warum durchbrechen Fussballer diese Wirklichkeiten nicht öfters?
Das wunderbare Lied von Mani Matter, in welchem er die menschlichen Hemmungen besingt, kommt der richtigen Antwort wohl am nächsten. Wenn ein Spieler nach Meinung des Betrachters Aufwand ausserhalb der Norm betreibt, wirkt er unprofessionell. Hätte Dudeks Mannschaft das Penaltyschiessen verloren, wäre die Öffentlichkeit über ihn hergefallen, und alle wären froh gewesen, dass ihre «alte Wirklichkeit» die Richtige ist. Aber Dudek hat gehalten.
Können Sie ein Fussballspiel noch «normal» anschauen?
Meine Erfahrung raubt mir einiges vom Unterhaltungswert. Ich schaue Fussball ohne Fanbrille, weshalb ich selten die Wiederholung benötige, um ein Foul oder eine Schwalbe zu erkennen. Die häufigen Fehlentscheide im Fussball frustrieren mich. Ich wünschte mir für den FCB das Double und wollte mich über den Cup-Sieg gegen Bellinzona freuen. Als ich das Spiel dann aber sah, bemerkte ich, dass die ersten drei Basler Tore irregulär waren. Bei den ersten beiden war es körpersprachlich erkennbar, und das dritte war Offside.
Dann müssten sich eigentlich Fussballtrainer, Schiedsrichter-Ausbildner und Sportrichter um Ihre Dienste reissen. Wie viele Trainer haben Ihnen bereits einen Berater-Job angeboten?
Ja, im Moment ist auch da einiges los, aber ich bin mir selbst noch nicht schlüssig, wie viel Zeit ich zukünftig in den Fussball investieren möchte. Bis vor vier Monaten, als ich begann, fürs Fernsehen zu arbeiten, hat mich Fussball beruflich nicht interessiert. Meine Seminare richten sich in der Regel an wirtschaftliche und soziale Organisationen, sowie an interessierte Privatpersonen.
Befürchten Sie, dass Ihre TV-Analysen ohne unmittelbare Wirkung bei den Betroffenen bleiben?
Erwartungen bringen Enttäuschungen. Deshalb befürchte ich eigentlich nichts. Aber ein Teil der Sendungen hat ja bereits im Studio einiges ausgelöst. Ich erinnere mich an Jörg Stiel, der sich ziemlich scharf äusserte, nachdem ich anhand Pascal Zuberbühlers Körpersprache aufgezeigt hatte, wie sich Angst im Körper manifestiert. Oder Köbi Kuhn, der in seiner Rechtfertigung zur Goaliewahl das Wort «Körpersprache» zweimal in den Mund nahm. Ludovic Magnin wurde direkt mit meiner Behauptung konfrontiert, dass er sich im Spiel fast immer in Situationen ärgert, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt. Seine Antwort hat mich gefreut: «Ja, irgendwie hat der ja schon recht.»
Wie skeptisch sind die Menschen gegenüber Ihren Analysen. Wurden Sie nie der Scharlatanerie bezichtigt?
Nein, noch nie. Es ist unglaublich wie gross das Interesse an Körpersprache ist. Überzeugungsarbeit muss ich fast nie leisten. Andererseits merke ich, dass Menschen manchmal mit falschen Vorstellungen in meine Seminare kommen. Sie erhoffen sich eine Art Betriebsanleitung für den möglichst wirkungsvollen Einsatz von Körpersprache. Doch darum geht es nicht. Körpersprache kann man nicht kontrollieren.
Zurück zum Fussball: Was haben Ihre Videoanalysen im Hinblick auf die Verfassung des FC Basel im Titelrennen ergeben? Welche Signale senden die FCB-Spieler momentan aus?
Beim FCB gab es in dieser Saison lange Zeit kein funktionierendes Kollektiv. Einzelne Spielergruppen haben im gegenseitigen Umgang dominiert. Das Beispiel von Reto Zanni war entlarvend. Dieser wurde mehrmals vom Torjubel einer feiernden Spielergruppe ausgeschlossen. Ich hoffe, dass der FCB diese Gruppenbildung nun in der entscheidenden Saisonphase überwunden hat.