Schweizer Illustrierte vom 05.05.2008
Text: Alejandro Velert · Fotos: Arsène Saheurs
Beim FC Basel steht Franco costanzo oft im Mittelpunkt. abseits der Fussballplätze meidet der Argentinier das Rampenlicht. GOAL gab er eines seiner seltenen Interviews Ein Gespräch mit einem Fussballer, der sein Glück abseits von Geld, ruhm und titeln sucht.
Franco Costanzo, fangen Sie lieber Bälle oder Fische?
(Lacht.) Ich erwische jedenfalls mehr Bälle als Fische. Seit ich in Basel wohne, gehe ich selten fischen. Eigentlich schade, denn man kann dabei extrem gut abschalten.
Fehlt Ihnen die Zeit?
Nein, davon hätte ich genug. Aber meine ganze Ausrüstung ist zu Hause in Argentinien. In Rio Cuarto, wo ich aufgewachsen bin, ging ich immer mit meinem Bruder fliegenfischen.
Was ist das Besondere am Fliegenfischen?
Es ist eine besondere Technik, die man lernen muss. Man kann nicht einfach einen Haken ins Wasser werfen. Die Bewegungen, das Vor- und Zurückwerfen der Schnur, haben etwas Meditatives. Und ich war schon als kleines Kind sehr gerne in der Natur.
Vermissen Sie Argentinien?
(Denkt lange nach.) Ja und nein. Natürlich vermisse ich meine Familie, meine Brüder, meine Cousins ... Aber in der Schweiz ist vieles besser als in meiner Heimat: die Ruhe, die wunderschöne Natur ... Trotzdem, die Heimat zieht einen immer an, das ist wie ein inneres Feuer, das nie erlischt.
Was gefällt Ihnen an der Schweiz?
Wie gesagt, das Land ist wunderschön. Aber besonders schätze ich, dass ich hier ein völlig normales Leben in Sicherheit führen kann. Ich muss mich nicht ständig vor berfällen oder Übergriffen fürchten.
Das war in Argentinien der Fall?
Ja, aber das wird mir erst jetzt so richtig bewusst. Dort gehörte es ganz einfach dazu, dass man immer vorsichtig war, dass manim Auto die Türen abschloss. Das Gefühl der Unsicherheit war ein permanenter Zustand, mit dem man leben musste.
Und in Basel fahren Sie, wie man hört, mit dem Fahrrad ins Training ...
... und auch mit dem Tram. Das ist mit ein Grund, wieso ich vor drei Jahren zum FC Basel gewechselt bin: Ich kann mich in derStadt frei bewegen, bin einfach einer von vielen, der seinen Sachen nachgeht. Dieses Lebensgefühl ist unbezahlbar.
Aber Sie sind nicht einer von vielen. Sie sind Torhüter beim FC Basel.
Na und? Ich bin trotzdem nicht anders als ein Zuschauer auf der Tribüne. Mal ehrlich, ich spiele nur Fussball. Was bin ich denn im Vergleich zu einem Wissenschafter oder einem Arzt?
Ob Sie mögen oder nicht: Sie stehen als Fussball-Profi in der Öffentlichkeit.
Ja, ich weiss. Deshalb wollen die Leute wissen, wie ich bin, wie ich lebe, wie ich wohne ... Aber ich sehe unseren Beruf trotzdem nicht als etwas Spezielles an. Es gibt Wichtigeres als Fussball.
Geben Sie deshalb nur selten Interviews?
Auch. Aber ich mag es ganz einfach nicht besonders, in den Zeitungen zu stehen. Ich habe das bei River Plate in Buenos Aires zur Genüge erlebt, ich brauche das nicht.
In Argentinien sollen Sie mit den Medien überhaupt nicht gesprochen haben.
Weil man dort als Fussballer nur Mittel zum Zweck ist. Es geht den Journalisten vor allem darum, Storys aufzubauschen, Polemik zu schüren. Irgendwann wollte ich dieses Spiel nicht mehr mitmachen.
Sind daran nicht auch die Spieler schuld?
Ja, leider. Manche Spieler versuchen, aus dem System ihren Nutzen zu ziehen, um zum Beispiel Druck auf ihren Klub auszuüben. Ein System, das dem Fussball-Business aber auch viel Geld bringt.
Die Massen und Gelder, die durch den Fussball bewegt werden, sind unglaublich. Erschreckend finde ich, dass es inzwischen normal ist, wenn grosse Klubs für zwölfjährige Kinder Millionen ausgeben. Das ganze Business ist wie eine Fabrik, die auf gut Glück Chancen produziert. Aber die Handelsware sind Kinder.
Auch Sie verdienen im Fussball gutes Geld.
Ja, deshalb muss ich mit meinen Aussagen vorsichtig sein. Fussballer zu sein ist ein grosses Privileg. Wenn man bei einem guten Verein spielt, hat man finanziell praktisch ausgesorgt. Und das in einem Alter, in welchem andere mit ihrer Karriere beginnen.
Reizt Sie ein Wechsel zu einem Klub in einer Top-Liga?
In erster Linie möchte ich mich dort, wo ich bin, wohlfühlen und als Mensch weiterentwickeln können. Ich kann mir nicht vorstellen, nur aufgrund des Geldes einen Wechsel zu machen.
Auch nicht bei einem Millionen-Angebot?
Uff, ich möchte kein Heuchler sein. Die Karriere ist kurz, und auch ich möchte Geld verdienen. Aber vielleicht ticke ich nicht gleich wie andere Fussballer. Grosse Klubs, das grosse Geld, eine WM spielen ... Das war für mich nie ein Antrieb.
Und was ist Ihr Antrieb?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass ich nicht ehrgeizig wäre. Aber im Endeffekt möchte ich ein glückliches Leben führen. Und das hängt nicht von diesen Dingen ab.
Marco Streller hat Sie nach dem Cup-Final als vielleicht besten Torhüter von Europa bezeichnet. Macht das glücklich? (Lacht.) Das war wohl so etwas wie ein verbaler Fehlschuss von Marco. Aber wenn ich von jemandem gern Komplimente höre, dann von meinen Mannschaftskollegen. Ja, das macht mich glücklich.
Träumen Sie von einem Aufgebot für die argentinische Nationalmannschaft?
Nein, das habe ich hinter mir. Ich habe in einem grossen Klub, bei River Plate, und auch in der Nationalmannschaft gespielt. Es hat mein Leben nicht unbedingt zum Positiven verändert.
Sie würden allen Ernstes ein Aufgebot für die WM ausschlagen?
Ich weiss es nicht, wirklich nicht. Sehen Sie, es geht dabei ja nicht nur um mich. Wenn es gut läuft, ist alles toll. Aber wenn nicht, ist die Belastung auch für die Familie enorm. Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Soll es doch besser einer machen, der eine WM als Lebenstraum ansieht. Meiner ist es nicht.
In Spanien standen Sie bei Alavés gegen traumhaft gute Spieler im Tor.
Und für mich waren diese Spieler ein Albtraum (lacht). Da stehst du auf einmal im Bernabéu-Stadion und spielst gegen Beckham, Zidane, Ronaldo ... Verdammt, das sind Typen, die Fussball-Geschichte schreiben.
Und wer hat gegen Sie ein Tor geschossen?
(Lacht.) Alle!
Was gedenken Sie eigentlich, nach Ihrer Karriere zu machen?
Ich möchte noch ein paar Jahre weiterspielen, danach werden wir sehen.
Sie haben mal Medizin studiert. Ist das eine Option?
Nein, das ist zu weit weg. Ich habe während meiner Zeit bei River Plate versucht, Studium und Fussball unter einen Hut zu bringen. In der Nacht lernte ich, am Tag trainierte ich. Aber es ging nicht.
Stichwort Familie: Ihre Frau Carla brachte am 20. April eine Tochter zur Welt.
Jetzt reden wir von den wirklich wichtigen Dingen. Unsere kleine Emma ist unser grösstes Glück. Ich möchte nicht der beste Torhüter der Welt sein. Aber für Emma möchte ich der beste Vater der Welt sein.
ZWEITE LEIDENSCHAFT
FCB-Goalie Franco Costanzo beim Fliegenfischen in der Wiese, einem Rhein-Zufluss. «Beim Fischen kann man extrem gut abschalten.»
HANDARBEITER
Franco Costanzo befestigt die Fliege mit Haken an der Schnur. Beim Fliegenfischen wird der Köder mit einer speziellen Wurftechnik auf der Wasseroberfläche platziert. Dort sollen ihn die Fische für eine hilflos schwimmende Fliege halten.
ZUR PERSON
Als Fehleinkauf wurde Franco Costanzo nach seinen ersten Spielen (und Fehlgriffen) für den FC Basel bezeichnet. Inzwischen ist der Argentinier unbestritten der beste Torhüter in der Schweiz. Am 5. September 1980 kam Costanzo in Rio Cuarto zur Welt. Mit zwanzig Jahren startete er seine Profi-Karriere bei River Plate in Buenos Aires. Mit dem argentinischen Top-Klub gewann er drei Meisterschaften. Bei Deportivo Alavés bestritt Costanzo 2005/2006 in Spanien eine (erfolglose) Saison, bevor er im Juli 2006 vom FC Basel für zirka drei Millionen Franken aus seinem laufenden Vertrag freigekauft wurde. Im April dieses Jahres gewann er mit dem FCB den Schweizer Cup. Franco Costanzo lebt in Basel, ist verheiratet mit Carla und hat ein Kind.