Presseschau

Basler Zeitung vom 13.05.2008

Das Hochamt zu Sankt Jakob

Rotblaue Priester, treue Gläubige und ein goldener Kelch – Basel feierte den FCB
ALOIS BISCHOF (Text), ROLAND SCHMID (Fotos)

Finalissima, Endspiel, Showdown: Der FC Basel am Samstag gegen die Young Boys – das Spiel der Spiele wurde zelebriert und die Fussballgläubigen pilgerten ins Stadion.

Seltsam, wie sich so eine Geschichte manchmal entwickelt, zuspitzt. Das Schicksal führt Dramaturgie, setzt dem Gedanken, um den sich alles gedreht hat, einen Schlusspunkt.

Nicht vorgreifen – die kleine, malerische, einleuchtende Szene spielt sich erst um ein Uhr nachts im Restaurant «Manger et Boire», in der Bierseligkeit der Meisterfeier ab, und aus dieser dumpfen, lärmigen Benommenheit hallt ab und an wieder ein «FCBeeee».

Jetzt ist aber immer noch Samstag, nachmittags um vier, Rotblau beginnt sich zu sammeln, auf dem Gehsteig des «Braunen Mutz» stossen die dickwandigen Gläser zusammen, und drin, in der Bierhalle, sitzen inmitten der Gesänge fünf gelbschwarze Pilgerer aus Bern und benehmen sich nicht gerade ängstlich, aber zurückhaltend, scheu.

Jetzt singen sie das «Schacherseppli», und wieder tauchen die Lippen in den Schaum des Biers, denn schliesslich gilt es vorzuholen … das Alkoholverbot im Stadion trägt Früchte, und eigentlich ist es nur würdig und recht, nüchtern zur heiligen Kommunion zu kommen.

Ja, jeder Club hat seine Stärken und seine Schwächen und einen harten Match wird es geben und die beiden älteren Damen gehen nicht ins Stadion, das wäre ihnen zu gefährlich, von wegen diesen brennenden Dingern, ja, wie heissen die, Petarden, und ein altes Paar lacht sich kaputt, weil sie vor dem Spiel Schweiz gegen Österreich gefilzt wurden, lächerlich, einfach keine Menschenkenntnis haben die, und dass diesem Varela eine Sperre geschenkt wurde …

Drachen und Götter. Einer stolpert, kippt vom heimatlichen Gehsteig – was macht der andere dort? – fällt auf die Strasse, der ist ja besoffen, der kommt nicht ins Stadion.

Auf eben diesem Gehsteig steht einer mit seinem nackten Oberkörper und über seinem Herzen ist das Clubzeichen des FCB in die Haut gestochen, umrahmt, grünlichblau von einem Basilisken oder Drachen.

Einer fährt mit seinen Händen über seine Oberschenkel und der andere fragt, ob ihm kalt sei, und er sagt: nein, ich bin nervös. Er weiss, dass die Fussballgötter launisch sind, der Fussball so ungerecht sein kann wie das Leben, obwohl auch im Fussball wie im Leben, der Reichere meist der Erfolgreichere ist.

Unterwegs zum Spiel der Spiele.

Habe mich in den letzten zwei Jahren dem Fussball etwas entfremdet.

(Warum? Die unanständige Geldmaschine; die liegengelassenen Bücher, weil der Fussballkonsum in diesen Zeiten zu einem Vollzeitjob werden kann; der Kriegszustand in den Stadien, wo selbst biedere Familienväter den Schiedsrichter mit «schwarze Judensau» betiteln; der Verlust der «Augenweide»: All die abgewanderten Künstler, Atouba und Delgado, Petric und Caicedo.)

Trotzdem. Ein Tifoso bleibt ein Tifoso.

So wie ein Kathole lebenslänglich ein Kathole bleibt.

Und vielleicht ist der Fussball tatsächlich zu einer Primärreligion geworden. Nicht mehr Ersatz- oder Zweit- oder Drittreligion. Nein, die erste Religion, die wichtigste, die sinnstiftende.

Vielleicht hat sich auch eine neue Dreifaltigkeit der Religionen gebildet. Fussball & Gesundheit & Kunst.

Und alle drei dienen der alleinigen Obergottheit, dem Goldenen Kalb, dem «money makes the world go round».

Rotblau und Gelbschwarz. Aber jetzt steigen wir von der Steinen durch die hässlichste Unterführung Basels hoch zum Bahnhof SBB. Die ankommenden Züge, Menschen in Rotblau und in Gelbschwarz. Gelbschwarz erinnert mich nur noch vage an meine bubige Begeisterung für die Berner Young Boys, damals, am Bodensee, und auch der FC Rorschach, die Seebuben, traten in Gelbschwarz an. Doch die Bildli (die gabs mit den Bazooka-Kaugummis) von Geni Meier und Heinz Schneiter und Co. waren die liebsten in meiner Sammlung.

Das Tram am Aeschenplatz ist bumsvoll, auch hier prallen die Biergläser aneinander, finden Bierbüchsen ihre Münder, und ein Berner «Giel» kann ganz schön zünden, ein Basler meint vielsagend, nachher sind wir wieder schuld, die Basler singen «alle Berner sind schwul», dann den vom «Bärengraben, Tierquälerei», und der Berner Giel meint, ob das jetzt die berühmte Basler Integration sei … Auf der Höhe des Sevogelplatzes stehen Einsatzwagen der Polizei und durch die geöffneten Fenster des Trams wird den Polizisten zugeschrieen, ob sie Eier hätten. Und gemurmelt «die brennen wir ab».

Tempel und Trommeln. Zehn nach sieben, die Sonne brennt, aus dem Innern des Tempels dröhnen die dumpfen Schläge der Trommeln, wird skandiert, erklingen Schlachtgesänge und Psalmen, die auf das hohe Amt einstimmen. Vor dem Stadion nippen alle an ihren Bierdosen, gefüllt mit echtem Bier, und einer jammert, dass er wegen dem blödsinnigen Alkoholverbot schon fünf Dosen getrunken habe. Sonst wären es höchstens drei gewesen.

Die Polizisten und Polizistinnen aus den verschiedenen Kantonen stehen in ihren kriegerischen Uniformen in Reih und Glied, schirmen die auswärtigen Fans ab, Heilige Mutter gib uns Schutz und Schirm, und einer der jungen Polizisten sagt, jemand muss es machen, und eine Abwechslung sei es auch, und vom Spiel sehe er nicht eine einzige Szene, aber schliesslich sei er auch kein Fussballfan.

Auf dem Rücken einzelner Polizisten glänzen blaue flache Plastikrucksäcke, in denen sich die Munition befindet. Gummischrot und Tränengas.

Pissen und Petarden. Drin im Tempel der Emotionen. Noch schnell auf die Toilette. Das typische In-Reihen-Pissen. Der Nachbar: «Jetzt kann ich meine Petarde rausnehmen.»

Die Muttenzer Kurve im weichen Abendlicht. Das breite Spruchband. Rot ist unsere Liebe. Blau die ewige Treue.

Die Heroen in den kurzen Hosen betreten den Rasen, traben über die weite grüne Fläche des Altars. Die Spieler sind weniger treu. Typische Söldner oder Wanderarbeiter. Folgen dem Lockruf des Goldes. Erwähnenswert, die beiden Enten, die über den Abendhimmel pfeilen?

Der Protectas-Sicherheitsmann blickt starr, gestreng und kaugummikauend in die Zuschauer, wird vom Spiel nur die Lärmkulisse mitbekommen. Da haben es die vier barmherzigen Samariter besser. Sitzen in der vordersten Reihe und riechen eventuell den Rasen (meine schönste Fussballerinnerung: Der Geruch des abendlichen, taunassen Rasens beim Training).

Glück und Elend. Die erste Torchance für YB, ein kurzes Nervenflattern. Dann, 1:0, 2:0, herrlich dieser Heber oder Lupfer Strellers in der 23. Minute.

Einer der Berner hinter mir würde sich jetzt gerne ins Elend saufen. Aber das geht ja nicht.

Der Wald aus nackten Armen in der Muttenzer Kurve. Eine Menschenwand, die gumpt und lebt und sich schlängelt. Die Seele des Stadions, der Motor der Messe, und klatscht die Muttenzer Kurve, ist dieses Klatschen ansteckend, setzt sich durch das ganze Stadion fort: Gemeinschaftserlebnis in Zeiten der sozialen Atomisierung.

Pause.

Nachher der offene Schlagabtausch. Chancen über Chancen. Das gutbernerische «Heilanddonner» in meinem Ohr. Es brodelt. Aber eigentlich besteht keine Gefahr mehr. Wieder bernerisch, «so mach emou öppis!».

Nein, Hakan Yakin und all den Bernern aus all den verschiedenen Nationen gelingt schlichtwegs nichts. Keine Chance gegen den Turm Majstorovic, diesen Glatzkopf, und dessen Kopfhaut zieht die Bälle magisch an.

Und alle laufen, jagen der Kugel hinterher. Carlitos zäbbelet, Streller stelzt und stochert, Huggel breitbäuerisch, leichtfüssig andere, tänzelnd …

Helden und Verlierer. Das Beständigste: Das Glänzen der Glatze von Christian Gross. In feinem Tuch, mit Krawatte. Er, der morgens um sechs durch die Stadt joggte, dem Bach lang (nein, ich mag es nicht, wenn ein Zürcher oder ein Basler dem wunderbaren Fluss Bach sagt), und sah das Fliessen, und die Luft war klar, und wusste, heute würde es gut werden.

Gross, der wollte, dass seine Mannen heute zu Helden werden, denen er den «Superman» als Vorbild hinstellte, einen, der auch bei Rückschlägen unbeirrt seinen Weg geht.

Christian Gross’ beschwörende Arme.

Aus dem Berner Sektor tönt es wie verlorene Krähenschreie, «Hakan Yakin», diesem Münchensteiner, der «in Bern zuletzt zum Halbgott gekürt» wurde (NZZ am Sonntag).

Die gebündelten Leuchtwürmchen in der Anzeigetafel zeigen drei Minuten Nachspielzeit an.

Vorbei. Meister. Die Spieler purzeln aufeinander. Aus dem Lautsprecher der Schunkelsong, oléolé …

Golden der Kübel, der Pokal, der Kelch. Kein Blut Christi schwappt aus seinem Innern. Champagner. The Queen, «We are the Champions».

Eine ältere Dame macht sich mit ihrem Feldstecher auf den Heimweg.

Gehet hin in Frieden.

Gefühle und Gerüche. Der Hohepriester des Fussballs, Gross, geht über den Rasen, macht vor der Muttenzer Kurve eine ausholende Verbeugung.

Die Spieler verschwinden in den Katakomben. Keine Fische sind an die Wände gekritzelt. Dort hängen die Blätter mit den taktischen Anweisungen. Der Champagner schäumt und die Kleider der Fotografen riechen nachher nach Alkohol.

Ja, sie war «wunderbar», «grandios», «magisch», die Fussballnacht. So steht es am Sonntag in den Zeitungen. Und eine «fast andächtige Stille» habe geherrscht, als Ergic den Pokal weitergereicht habe.

Aber noch ist es nicht Sonntag. Zuerst geht es auf den Barfi. Tausende von Menschen, dicht gedrängt. Warten bis die Halbgötter oder Helden wie der Papst auf dem Petersplatz auf dem Balkon erscheinen.

Neben der Stöckli-Bar stehen im schummrigen Nachtlicht Polizisten mit ihren Schildern. Rauchschwaden, fliegende Flaschen, eine kleine Kriegsszene. Auch die Ultras müssen sich spüren.

Drin im Getöse des Restaurants «Manger et Boire».

Es ist ein Uhr und drei Schlachtenbummler sitzen in Blaurot hinter ihrem Bier.

Einer trägt einen Sticker an seiner schwarzen, wollenen Mütze. Ein christliches Kreuz, vielleicht zwei Zentimeter lang, unterteilt in die Farben Rot und Blau.

Die Inschrift: «Meine Religion ist der FCB.»

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