Aargauer Zeitung vom 01.12.2008
Thema der Runde
François schmid-bechtel
Christian Gross steht wieder einmal am medialen Pranger. Gigi Oeri wird vom Boulevard mit Ratschlägen eingedeckt, wer künftig den FCB trainieren soll. Grund für die neuste Demontage ist das ernüchternde Abschneiden in der Champions League. Gross habe den Zenit überschritten. Die Zeit für einen Wechsel auf dem Trainerstuhl sei reif. Ausserdem würde die Künstlerstadt Basel nach Spektakel-Fussball lechzen, wüten die Kritiker.
Gross wird nun mit mehrheitlich fadenscheinigen Argumenten in die Ecke gedrängt. Wenn irgendein Trainer auch im zehnten Jahr beim selben Klub nicht verbraucht ist, dann Gross. Arbeitspensum und Leidenschaft des Zürchers sind beispiellos. Kaum ein anderer Coach gibt so viel für seinen Job wie Gross. Kaum ein anderer Coach arbeitet so akribisch wie Gross. Darunter leidet eine gewisse Lockerheit, was sich bisweilen in der Spielweise, aber kaum in den Resultaten bemerkbar macht.
Aus Gross wird kein eloquenter Gambler mehr. Dafür ist er eine Spur zu verbissen. Seine Mannschaft wird nie den filigranen Kombinationsfussball zelebrieren wie einst der FCZ unter Lucien Favre. Dafür ist Gross zu sehr auf Sicherheit bedacht. Aber er gewinnt Titel, mit schöner Regelmässigkeit.
Natürlich heisst es: Mit dem Ligakrösus ist der Meistertitel Pflicht. Aber gewinnt etwa Bayern München jedes Jahr einen Titel? Nein.
Den einzigen Vorwurf, den sich Gross gefallen lassen muss, ist sein fast schon jugendlicher Optimismus, den er während der Champions-League-Kampagne nach aussen gekehrt hat. Statt zu sagen, dass jeder Punkt ein Geschenk sei, nährte er mit seiner offensiven Kommunikation die Sehnsucht nach den magischen Nächten wie in der fabelhaften Saison 2002/03. Denn Gross muss bewusst sein, dass die Qualität der aktuellen FCB-Ausgabe nicht europäisches Format hat.
Die Bebbi werden sich vom Champions-League-Kater erholen › auch dank Gross. Ob sie aber den Titel gewinnen werden, hängt auch davon ab, ob sich die FCB-Teppichetage in der Winterpause entscheidet, den Vertrag mit dem Trainer zu verlängern. Falls nicht, droht sogar ein vorzeitiger Abgang von Gross zum VfB Stuttgart. Und wer soll dann das keineswegs überqualifizierte Personal des FCB in der Erfolgsspur halten? Favre ist nicht erhältlich, Marcel Koller wohl auch nicht. Bleibt Ciriaco Sforza, der aber noch kein grosser Trainer ist.