Presseschau

Die Südostschweiz vom 18.10.2009

Kumanovo, Ems, Zürich, Basel und ab sofort beim FC Aarau

Orhan Mustafi kam mit zwei Jahren nach Ems und fand über die Grasshoppers und Zürich den Weg zum FC Basel. Zuletzt gabs in seiner Karriere Höhen und Tiefen mit der U19 und der U21 - und die «Abschiebung» zum FC Aarau.
Von Daniel Schaub

Fussball. - Das Leben eines Fussballers kann mitunter hektisch werden. Es besteht aus Auf und Ab. Dies erfuhr in den letzten Monaten auch Orhan Mustafi. Mit der Schweizer U19-Nationalmannschaft verpasste er die Europameisterschaft knapp. Die Tage in der Ukraine Ende Juli sind beim 19-Jährigen dennoch präsent. Zweimal konnten die Schweizer in der Vorrundengruppe mit späten Toren punkten - beim 1:1 gegen England und beim 2:1 gegen Slowenien, als Orhan Mustafi den Siegtreffer erzielen konnte.

Damit hatte sein Team, das schon die Qualifikationsrunde in Belgien knapp bestanden hatte, das Glück aber aufgebraucht. So kams, dass gegen Gastgeber Ukraine ein Unentschieden gereicht hätte, die Schweizer aber keine genügende Leistung erbrachten und fünf Minuten vor Schluss den entscheidenden Gegentreffer zulassen mussten. Statt der Schweizer wanderten die Ukrainer in den Halbfinal, sie setzten sich dort durch und wurden später gar Europameister.

In der U21 nur auf der Ersatzbank

Nur zwei Wochen nach dem Ausscheiden in der Ukraine erlebt Orhan Mustafi, nun wieder wie im Herbst 2008 und im Frühjahr 2009 in der U21, die nächste Enttäuschung. In der EM-Qualifikation verlor das Team von Pierluigi Tami in Schaffhausen gegen Estland mit 0:1. Das Ende der Qualifikationsträume war dieser Dämpfer aber nicht, im Gegenteil: Am letzten Freitag revanchierte sich die U21-Auswahl gegen Estland mit 4:1, am Dienstag schaffte sie in Irland ein 1:1 - beide Male aber ohne Mustafi.

Orhan Mustafi wurde am 4. April des Jahres 1990 in Kumanovo im Norden Mazedoniens geboren. 110 000 Menschen wohnen in der Stadt, die sich 1941 gegen den Faschismus wehrte und die nationale Bewegung Mazedoniens ins Leben rief. 1999 wurde hier nach langen Verhandlungen der Kosovo-Krieg beendet. Hier also kommt Mustafis Familie her. Mit nur zwei Jahren folgen Orhan, sein Bruder Adnan und die Mutter dem schon in der Schweiz wohnhaften Vater Dzezmi Mustafi nach Domat/Ems.

Karrierestart beim FC Ems

Mit fünf Jahren schliesst sich der Knirps dem FC Ems an, später spielt er für ein Auswahlteam Graubündens, als Innenverteidiger oder Libero. Die Position behält er auch nach seinem Wechsel zu den Grasshoppers nach Zürich. Mit zwölf Jahren wurde er bei einem Turnier von GC entdeckt, eine Woche spielte er zur Probe vor, dann waren die Zürcher überzeugt. Das Problem: Einen Zwölfjährigen schickt man nicht aus dem beschaulichen Graubünden alleine in die Grossstadt Zürich. Und so entschloss sich die Familie, gleich geschlossen umzuziehen. Der Vater verliess seine Stelle als Chauffeur, die er 16 Jahre lang in derselben Firma innegehabt hatte. Er fand eine neue Arbeit, verunfallte jedoch später schwer und ist heute nicht mehr arbeitsfähig. Die Buben der Mustafis machten gute Fortschritte im Fussball. Orhan wechselte nach eineinhalb Jahren bei GC zum FC Zürich, was vor allem mit der Möglichkeit zu tun hatte, dass er in der MSP (Schulklassen für Mannschaftssportler in Zürich) auch seine schulische Entwicklung vorantreiben konnte.

Erstes Spiel in der höchsten Liga gegen St. Gallen

Zweimal trainierte er täglich mit dem Nachwuchs und erzielte pro Saison in der U15 und U16 um die 30 Tore. Mustafi war jetzt Stürmer, nachdem er als der Verteidiger Mal für Mal ins Tor traf. Nach dem positiven Einstieg folgten schwierige Monate. Mustafi verletzte sich am Meniskus, eine Operation war fällig, der Heilungsprozess verlief nicht gut. Nach einem Jahr erst versuchte er den Wiedereinstieg und verletzte sich bei einem Testspiel gleich wieder am Knie. Ein weiteres halbes Jahr später erst konnte er wieder mittun. Dann ging alles plötzlich schnell. Er hatte erst einige wenige Partien mit der U18 bestritten, als er im Frühjahr 2008 für den Fifa Youth Cup aufgeboten wurde, als Ersatzstürmer des U21-Teams.

Fünf Tore gelangen ihm bei diesem prestigeträchtigen Turnier. Zürich gewann zudem das Turnier, und das machte auch Cheftrainer Bernard Challandes auf das Talent Orhan Mustafi aufmerksam. «Zuerst war ich enttäuscht, als ich amWochenende nach demTurnier nicht für die U18 und das Spiel gegen Basel aufgeboten war. Dann erfuhr ich, dass ich im Hinblick auf den folgenden Dienstag mit der ersten Mannschaft mittrainieren sollte», erzählt Mustafi, der eigentlich mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit, dass er dann in der Partie gegen den FC St. Gallen von Beginn an auflaufen würde.

Die Beschleunigung in der über 18 Monate gestockten Karriere nahm noch weiter Fahrt auf. Ajax Amsterdam meldete Interesse an, «doch das Ausland, das geht gar nicht gut», sagte sich Mustafi. Und Basel machte ein verlockendes Vertragsangebot als Profispieler. Zürich stellte diesem nur drei Nachwuchsvertragsjahre in Aussicht und war auch nicht bereit nachzubessern. So kams zum schnellenWechsel zwischen den Hauptkonkurrenten in der Super League. «Es war mein erster Vertrag im Fussball überhaupt», sagt Mustafi.

Von Christian Gross gefördert und gefordert

Das erste Jahr in Basel, das war im Sommer 2008 eigentlich in der U21 vorgesehen. Doch nach der EM hatte sich Marco Streller einer Operation unterzogen, Eren Derdiyok war ebenso verletzt, und so bat Christian Gross die 18-jährige Neuerwerbung, mit ins Trainingslager nach St. Moritz zu reisen. Bis zum Saisonstart änderte sich wenig an der Situation. «Nach ein, zwei Monaten fragte ich Herrn Gross, ob ich denn jetzt zur ersten Mannschaft oder zur U21 gehöre. Er sagte mir, nein, nein, du bleibst bei uns.» Unter Gross machte Mustafi in seiner ersten Saison auf höchstem Niveau 17 Pflichtspieleinsätze. Er schätzte, dass der Aufbau behutsam erfolgte, «Gross wusste, wann er mich bringen sollte. Ich bin unter ihm in vielerlei Hinsicht ein besserer Spieler geworden, vor allem im technisch-taktischen Bereich.» Seine Körpergrösse von 1,90 Metern machte ihn schon vorher zu einem physisch präsenten Stürmer, «aber es ist manchmal nicht so einfach, mit so langen Beinen auch gut zu laufen». Noch immer aber sieht er Luft nach oben und den Bedarf, sich weiterzuentwickeln.

Vier Tore gelangen ihm, und seit dem letzten Herbst sammelt er auch für die Schweizer Auswahlteams Spielpraxis und Punkte. Da erhielt er den Schweizerpass, und es gab auch keine Diskussion, ein nahezu gleichzeitig eintreffendes Aufgebot der U21 Mazedoniens anzunehmen. «Die Schweiz hat meiner Familie sehr viel gegeben, ich durfte hier meine Fussballausbildung geniessen, und so war es für mich keine Sekunde lang eine Frage, wie ich mich entscheiden würde.»

Bis Ende Saison bei Aarau

Die erhöhte Konkurrenzsituation in Basels Sturm mit der Rückkehr von Alex Frei und der Wiedererstarkung von Marco Streller sah Mustafi bis vor wenigen Wochen als Chance. «Ich konnte viel von den Nationalspielern lernen.» Geduld und die Fähigkeit, die Chance zu nutzen, wenn sie kommt, wollte Mustafi haben. Trainer Fink hatte ihm mehrfach vorgerechnet, dass er öfter spielen werde als letztes Jahr. Trotzdem, auch für den Spieler überraschend, wurde er am letzte Wochenende während seiner U21-Abwesenheit «ausgemustert». Bis Ende Saison spielt der «Bündner» Mustafi nun für Aarau. Bereits heute im Cup gegen Biel ist sein erster Einsatz für die Rüebliländer vorgesehen. Nach der ersten Enttäuschnung sieht Mustafi in der Ausleihe auch Gutes: «In Aarau kann ich regelmässig spielen. Ich bin erst 19 Jahre alt, und es ist ja erst meine zweite Saison in der Super League.»

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