Presseschau

Basler Zeitung vom 28.11.2009

Der Fussball steht am Abgrund

Schwere Krawalle, Angst und kein Miteinander in der Gewaltproblematik

marcel rohr

Wetten, dass es morgen bei YB–FCB wieder Krawalle gibt? Hoffen wir es nicht. Der Schweizer Fussball steht auch ohne neuen Skandal am Abgrund, er versinkt im Chaos entfesselter Gewalt. 200 Chaoten aus dem FCZ-Lager nahmen vor acht Tagen den Gästesektor des St.-Jakob-Parks auseinander. Nur mit Glück, sagt die Polizei, habe es keine Toten gegeben.

Eine Auslegeordnung dreieinhalb Jahre nach dem 13. Mai 2006, dem Tag der bislang schwersten Ausschreitungen: Clubs, allen voran der FC Basel, betreiben intensiv ihre Fan-Arbeit. Deren Nutzen ist nachweisbar, allerdings nur für jene Supporter, die sich auch ansprechen lassen wollen. Die Vereine fühlen sich allein gelassen und sie hocken auf ihren Rechnungen, die sie die Sicherheit kostet – zwischen zwei und drei Millionen bezahlt allein der FCB pro Saison. Aber die Krawallbrüder wüten unvermindert weiter.

Als Veranstalter haftet in erster Linie der FC Basel, wenn es im Stadion brennt. Aber die Betreiberin der Arena, die Basel United AG, steht ebenso in der Pflicht, was die Sicherheit im St.-Jakob-Park betrifft; die baulichen Massnahmen müssen zumindest hinterfragt werden nach einem derartigen Chaosabend wie beim FCZ-Spiel.

Unfähige Liga. Dann die Swiss Football League: sie ist unfähig. Anstatt den Spielraum voll auszunützen, legt sie eine Hilflosigkeit an den Tag, die erschreckt. Sie müsste mit konkreten Forderungen an die Politik auf die heiklen Punkte hinweisen und die Entscheidungsträger in die Pflicht nehmen. Stattdessen spricht sie Bussen und, wie dumm, Geisterspiele für fehlbare Clubs aus. Das Projekt mit dem Fan-Pass im Sommer 2006 scheiterte schon nach ein paar Wochen kläglich.

Die Polizei? Sie ist an der Grenze ihrer Handlungsfähigkeit angelangt. Schlägt sie zu, gilt sie als provokativ. Schaut sie zu, gilt sie als lethargisch.

Und am Ende die Fans im Stadion: Sie finden mittlerweile alle Massnahmen blöd, sei es die Fan-Card, sei es Polizeipräsenz oder geschlossene Sektoren. Wer auf Selbstregulierung in der Kurve gehofft hat, ist schwer enttäuscht worden – keiner lässt sich freiwillig den Kopf einschlagen.

Nun hat der FC Zürich reagiert. Er wird bei Hochrisiko-Heimspielen den Gästesektor schliessen und selber vor Auswärtsmatches keine Tickets mehr verkaufen. Die Massnahme ist ein Schnellschuss. Aber es war richtig, ein Zeichen zu setzen und nicht abzuwarten, bis jeder Lösungsansatz wieder zerredet ist und die Ereignisse nur noch Erinnerung sind. Die Idee greift, wenn sie flankiert wird von weiteren, einschneidenden Schritten: FCB gegen FCZ ein Jahr lang ohne Gästefans beispielsweise. Kein SBB-Extrazug mehr. Dazu eine strikte Überwachung beim Onlineverkauf der Tickets, samt Registrierung.

mit aller Härte. Nächster Schritt: Das Strafverfolgungssystem in der Schweiz krankt. Auf den Stadionrängen wird gewütet, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden – nur gerade zwei Verhaftungen am vorletzten Freitag in Basel sind ein Hohn. Eine komplette Videoüberwachung in allen Schweizer Stadien ist unabdingbar. Sind die Sünder erkannt, braucht es eine Polizei, die mit aller Härte durchgreift und sie aus dem Verkehr zieht. Das Projekt in St. Gallen mit einem Schnellgericht am Spieltag zielt dabei in die richtige Richtung. Überführte Schläger sollten sich, wie in England üblich, während des Spiels auf der Polizeiwache melden müssen.

Dies alles kostet weiter Geld. Aber ist es nicht ein Grundrecht eines jeden Steuerzahlers in der Schweiz, dass ihm der Staat bei einer Veranstaltung ein möglichst hohes Mass an Sicherheit garantiert – wie bei einem Rockkonzert oder einer 1.-Mai-Demo? Es ist überfällig, dass sich die führenden Politiker in den Dialog einschalten und gemeinsam mit der Liga, den Behörden und den Clubs die einzelnen Strategien überarbeiten.

Ob durch alle diese Massnahmen der Wettbewerb verzerrt oder die Stimmung im Fussballstadion flöten geht, spielt keine Rolle mehr. Es geht darum, endlich die Gewaltspirale zu stoppen. marcel.rohr@baz.ch

Zurück