Presseschau

Die Wochenzeitung vom 18.02.2010

«Hooligans sind schwer zu handhaben»

Hooliganismus-Adolf Brack kennt die Männer, die sich vor und nach Fussballspielen prügeln. 25 Jahre lang war er Hooliganspezialist bei der Polizei. WOZ-Redaktor Daniel Ryser lässt ihn in seinem neuen Buch zu Wort kommen.

Von Daniel Ryser

Bis er 2001 aus dem Dienst der Stadtpolizei ausscheidet, ist Adolf Brack ein wandelnder Hooliganismus-Google. Google aber ist eine Maschine und darum gefühllos. Adolf Brack nicht. Darum hat er, nachdem die Bilder von Peter Landolts Party publiziert worden waren, gelitten (vgl. Kasten). Nicht wie Menschen im Krieg leiden, aber wie einer, der ein schlechtes Gewissen hat. «Als Landolt 1995 im Hardturm anfing, war er ein Hardliner. Er warf die Leute einfach raus aus der Kurve», sagt Brack. «Ich sagte ihm: Wenn du etwas erreichen willst, musst du den Leuten etwas geben, dann geben sie dir etwas zurück. Du musst mit ihnen reden. Vertrauen ist wichtig.» Brack ist überzeugt, dass Landolt ohne seinen Rat nie eine Stripparty veranstaltet hätte.

Während sich in der Halle US-amerikanische Wrestler warm machen, sitzt Adolf Brack im Bürotrakt des Hallenstadions. Der Ex-Polizist, den hier alle nur Dölf nennen, fühlt sich sichtlich wohl bei seiner neuen Arbeit. Das war bei der alten Arbeit nicht mehr so. Er redet nicht darüber. Nur, dass ihm die Methoden der neuen Kollegen nicht mehr gepasst hätten: «Zu viel Härte, zu wenig Fingerspitzengefühl für Situationen.»

Rückblende: Am 29. Mai 1985 stürmen vor dem Endspiel um den Europapokal der Landesmeister zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin Anhänger von Liverpool den neutralen Fansektor im Heysel-Stadion in Brüssel. Dort halten sich italienische Fans auf. Es kommt zur Massenpanik. 39 Menschen sterben. 454 werden verletzt. Jetzt will man auch in Zürich wissen: Gibt es hier Hooligans? Wer sind sie? Wie viele? Die Polizei kommt zum Schluss, dass es die Basler sind, die in der Schweiz das Sagen haben. Sie nennen sich: «Anal Terror Hooligans». In Zürich beginnt Adolf Brack zu dieser Zeit seine Arbeit als Hooliganspezialist. Er arbeitete eigentlich im Jugenddienst. «‹Der Brack, der macht Sport, der soll mal hingehen›, hiess es», sagt Brack heute. Also ist Brack mal hingegangen, hat bei den Zürcher Klubs nachgefragt, und die haben geantwortet: «Ja, wir haben militante Gruppen, die ‹City Boys› und die ‹Hardturm-Front›.» Die ersten Hooligans trifft Adolf Brack im Hallenstadion, denn die ‹City Boys› besuchen auch die Spiele des Zürcher Schlittschuh-Clubs ZSC. «Die Hooligans von damals», sagt Brack, «sind heute wieder dabei - aber als normale Zuschauer.»

Zwischen 1987 und 1992 brennt es nach fast jedem Spiel des ZSC. Eine Gruppe von vierzig bis fünfzig Leuten schiebt Container auf die Strasse, zündet sie an, baut Barrikaden. «Fährt ein Kas­tenwagen vorbei, bewerfen ihn zwanzig Vermummte mit Steinen», sagt Brack.

Scheinwerfer im Rückspiegel

Die Polizei wird nach jedem Spiel angegriffen, aber sie weiss nicht, von wem. «Eines Tages Ende der Achtziger haben wir zugeschlagen: Wir liessen einen Kastenwagen langsam vorbeifahren. Der Mob verfolgte den Wagen bis zur nächsten Kreuzung. Dort haben wir sie eingekesselt.» Zur Überprüfung auf die Hauptwache kommen siebzig junge Männer, viele aus dem Zürcher Unterland, die meisten unter achtzehn Jahre alt. Brack lässt die Eltern anrufen. Nachts um zwei. Die meisten der Randalierer sieht Brack nie wieder. Einige vom harten Kern aber sieht er eher, als ihm lieb ist.

Ein paar Tage später, seine Schicht ist soeben zu Ende gegangen, ist Brack gegen Mitternacht auf der Heimfahrt, als er Scheinwerfer im Rückspiegel entdeckt: Zwei Autos, die sich nicht abschütteln lassen. Handys gibt es noch nicht. Funkgerät und Dienstpistole liegen im Büro. Brack fährt rechts, links, biegt an den sonderbarsten Orten ab. Die Autos kleben an ihm. Dann rast er über mehrere Rotlichter, bis die Verfolger abgeschüttelt sind. Beim nächsten Spiel geht er auf zwei ältere Hooligans zu und sagt:

«Wer mir auch immer gefolgt ist: Das nächste Mal werde ich eine Pistole dabeihaben. Geladen.»

Von da an lässt man ihn in Ruhe. Und von da an ist er nahe dran. Er kennt sie alle. Vornamen. Namen. Er weiss, wer ein Mitläufer ist, wer ein notorischer Hooligan. «Immer wieder haben mir Hooligans Informationen über bevorstehende Prügeleien gesteckt», sagt Brack. «Wenn sie merkten, dass der Gegner übermächtig ist, haben sie reagiert und gesagt, die kommen heute. Die Nähe konnte zu Situationen führen, in denen man von einer Anzeige absah. Wenn ich wusste, dass es schwierig werden würde, einem Täter einen Landfriedensbruch nachzuweisen, habe ich es bei einer Warnung belassen. ‹Macht den Seich doch in der Allmend!›, sagte ich jeweils.»

An einem sonnigen Tag entdeckt Brack dreissig Hooligans, die Schirme mit sich tragen. Eine laut Brack beliebte Waffe unter Hooligans. «Da wusste ich, dass etwas los ist. Ich lernte ihre Codes lesen. Wir konnten nicht zulassen, dass es rund um das Stadion knallt, dass Unbeteiligte verletzt werden.»

«Wer als Polizist eine Art Vaterfigur wird», sagt Adolf Brack, «kann davon ausgehen, dass er die Leute irgendwann im Griff hat, und dann gibt es weniger Kollateralschaden. Also Familien, Frauen und Kinder, die in ein Donnerwetter aus Tränengas und fliegenden Fäusten geraten.» Für diesen Frieden hat Polizist Brack auch Methoden angewandt, von denen er sagt, dass sie seinen Kopf hätten kosten können; etwa wenn jemand dabei gestorben wäre. «Aber es war in jenem Moment die einzige praktikable Lösung, die mir in den Sinn kam.»

Zum Beispiel Mitte der neunziger Jahre: GC gegen YB. Zum Spiel reisen auch fünfzig Basler Hooligans. Sie wollen die «Hardturm-Front» angreifen. Brack stoppt sie ein paar Hundert Meter vor dem Stadion. «Ich sagte ihnen, wenn ihr nur einen Schritt näher kommt, setzen wir Tränengas ein.»

Die Zürcher kommen. Sagen, sie hätten mit den Baslern eine Schlägerei verabredet, und dass sie unter sich bleiben wollen. «Ich habe auf die Uhr geschaut», sagt Brack. «Ich sagte: ‹Das Spiel dauert noch zwanzig Minuten, dann ist hier alles voller Zivilisten. Ihr habt drei Minuten hier an Ort und Stelle. Ich habe eine Trillerpfeife dabei. Wenn ich pfeife, ist die Schlägerei vorbei, sonst werdet ihr alle festgenommen und angezeigt.›»

Das sind die Worte, die Adolf Brack an jenem Tag gesprochen hat.

Die Schlägerei geht los und dauert drei Minuten. Schlusspfiff. Dann ziehen die Hooligans ab; die Matchbesucher werden von Tränengas und Krawallen verschont und bekommen von den Tumulten nichts mit. «Deshalb», sagt Brack, «kann ich nicht sagen, dass die Party, die Peter Landolt veranstaltet hat, komplett das falsche Mittel ist. Als er die Stripperinnen holte, schlug er über die Stränge. Doch Hooligans sind schwer zu handhaben. Meine Priorität war immer, dass rund um das Stadion Ruhe ist. Und das ist kein Spaziergang.»

Gebrandmarkt

In den Neunzigern habe es Aktionen «jenseits von Gut und Böse gegeben», sagt Brack. Etwa 1994 - der FC Basel und der FC Zürich treffen in der Auf-/Abstiegsrunde aufeinander. Zum Spiel ins Basler Joggeli kommen 42 126 Zuschauer. Doch einige, die erwartet werden und deretwegen ein grosses Polizeiaufgebot vor Ort ist, fehlen: die Hooligans.

«Um 11 Uhr morgens bekomme ich einen Anruf», sagt Brack. «Ich erfuhr: Die Basler sind nicht in Basel geblieben, wo das Spiel stattfindet. Sie sind nach Zürich gefahren.» Dann eine weitere Meldung: Messerstecherei in der Tiefgarage des Hotel Zürich. Vier Zürcher mit Messerstichen im Spital. «Die Basler hatten rausgefunden, wo sich die Zürcher besammeln, und haben sie dann angegriffen.» (…)

Kurz darauf stürmen Basler Hooligans eine Bar im Zürcher Niederdorf, einen angeblichen Treffpunkt der «Hardturm-Front». «Fünfzig mit Ketten bewaffnete Leute schlugen die Bar kurz und klein», sagt Brack. «Wir kamen zu spät. Wir stellten sie am Central. Sie entkamen. Wir wussten, wo der Car war. Den haben wir abgepasst, alle verhaftet, einzeln einvernommen, angezeigt. In jeder Gemeinde kam die Polizei zu ihnen nach Hause. Im Dorf wurden sie als Schläger gebrandmarkt. Das wirkte abschreckend. Negativ war, dass niemand verurteilt wurde, weil wir es ihnen nicht beweisen konnten.»

(…)

Mehrere Zürcher Hooligans erzählen übereinstimmend folgende Geschichte, die sich im Schatten einer grossen Polizeiaktion abgespielt hat. Im Dezember 2004 kesselt die Polizei am Bahnhof Altstetten rund 650 Basler Fans ein, die mit dem Extrazug anreisen. 427 werden festgenommen, in die Kaserne transportiert, dort stundenlang stehen gelassen und anschliessend registriert. Die Grossaktion beschäftigt später unter dem Titel «Kessel von Altstetten» und der Frage nach der Verhältnismässigkeit Presse und Politik. Die Aktion war von der sozialdemokratischen Polizeivorsteherin Esther Maurer angeordnet und wie folgt gerechtfertigt worden: Im Extrazug hätten sich unzählige Basler Hooligans aufgehalten. Doch die Aussagen von Hooligans zeichnen ein anderes Bild und bestätigen Gerüchte, die bereits damals im Umlauf waren: Die Basler Hooligans waren zwar tatsächlich in Zürich. Aber nicht im Extrazug. Sie waren schon vorher angereist. Mit Autos. Und während die Polizei in Altstetten Hunderte Fans festnimmt, halten sich im Restaurant «Johanniter» im Niederdorf, im Zentrum von Zürich, fast hundert Mitglieder der «Hardturm-Front» auf. Sie warten auf die Basler. Und die kommen. «Es hat an jenem Tag unglaublich heftig geknallt», sagt ein Zürcher Hooligan. Während die Polizei in Altstetten Hunderttausende Franken in eine riesige Polizeiaktion gegen Hooliganismus inves­tiert, prügeln sich im Niederdorf über 150 Zürcher und Basler Hooligans.

Im Zürcher Hallenstadion, Ende 2008: Adolf Brack lehnt sich im Sessel zurück. Er schweigt. Plötzlich wirkt er müde. Sagt, ich solle diese ganze Geschichte vielleicht besser nicht aufschreiben. «Es wäre bedauerlich, wenn sich Leute inspiriert fühlten.» Er schlägt ein Heftchen auf, ein Überbleibsel aus seiner Arbeit als Polizist, und schüttelt lächelnd den Kopf. Dort, im handkopierten Fanzine «Bloodfight: Hardturm-Front-Report» heisst es in einem Bericht vom Cupfinal GC - FC Sion vom 5. Juni 1995: «Ein Stück weiter sah man plötzlich überall Bullen, welche sämtliche Bomberjackenträger notierten und filzten. Auch einige entsprechend gekleidete Jungs aus unseren Reihen durften deshalb ihre Herkunft preisgeben. Grund für diesen Anlass waren Sachbeschädigungen, die Sion-Anhänger im Bahnhof anrichteten. Unser Zivi Adolf Brack hat sich übrigens sehr für unsere Leute eingesetzt, so dass sie schon nach kurzer Zeit wieder unter uns waren. Hiermit ein Dankeschön!»

Ergänzung zu Adolf Brack: Am 18. Mai 2009, ein paar Monate nach unseren Treffen, sagt Adolf Brack auf TeleZüri, die Südkurve des FC Zürich bestehe aus «tausend Gewalttätern». Damit löst er Empörung und Kopfschütteln aus. Die Zahl Tausend sei viel zu hoch gegriffen. Fans werfen dem pensionierten Polizisten vor, er sei nicht mehr auf dem neusten Stand.

«Feld-Wald-Wiese»

Im Herbst 2008 erhält WOZ-Reporter Daniel Ryser Fotos, die den damaligen Sicherheitschef der Swiss Football League, Peter Landolt, inmitten der berüchtigten Zürcher Hooligan-Gruppe «Hardturm-Front» an einer bizarren Sami­chlausparty zeigen, für die Landolt drei asiatische Stripperinnen organisiert hatte. Der darauf folgende WOZ-Artikel «Der Heilige vom Hardturm» sorgt in den Medien für heftigen Wirbel. Spätere Recherchen führen Ryser in die Zürcher Hooliganszene. Und unter anderem zu Adolf Brack, Ex-Hooliganspezialist der Stadtpolizei. Der Text auf dieser Seite ist ein leicht gekürzter Auszug aus Rysers jetzt erschienenem Buch «Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich». WOZ-LeserInnen können es auf www.woz.ch/wozshop für 25 statt für 27 Franken kaufen.

Daniel Ryser: «Feld-Wald-Wiese. Hooligans in Zürich». Echtzeit Verlag. Basel 2010. 88 Seiten.

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