Sonntag vom 28.02.2010
Er ist mitverantwortlich für den jetzigen Erfolg beim FC Basel: der neue Athletiktrainer Nikola Vidovic aus Kroatien
Von Bojan Stula
Muskelbepackt, mit tätowiertem Oberarm: Der neue FCB-Fitnesstrainer Nikola Vidovic (45) flösst Respekt ein – und er hat eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen.
Nikola Vidovic, hätte der Oberarmbruch von Alex Frei verhindert werden können; vielleicht durch zusätzliches Krafttraining im Arm- und Schulterbereich?
Nikola Vidovic: Nein, auf keinen Fall. Das war einfach Pech. Ich kenne Top-Athleten, die dumm ausgerutscht sind und sich den Knöchel gebrochen haben. Da kann man nichts machen.
Glauben Sie, dass Frei auf die WMim Sommer hin wieder fit sein wird?
Da bin ich ziemlich sicher. Alex hat sehr gute Grundlagen, die durch eine Verletzung im oberen Körperbereich nicht so stark gefährdet sind. Ich sehe auch kein mentales Problem. Sobald er wieder auf dem Fussballplatz steht, wird er schnell vergessen haben, dass er einen Armbruch hatte. Das ist nach einer Knieverletzung ganz anders. Da hat ein Fussballer manchmal im Unterbewusstsein Angst, wieder voll zu belasten.
Mit Torhüter Franco Costanzo und Scott Chipperfield kehren an diesem Wochenende zwei Spieler ins FCB-Kader zurück, die lange verletzt waren. Woran haben Sie mit den beidenSpielern gearbeitet?
Bei Franco war im Oberschenkelbereich praktisch die ganze Substanz weg. Da mussten wir beim Muskelaufbau wieder ganz von vorne beginnen. In einer zweiten Phase ging es darum, Kraftausdauer und Beweglichkeit zu erarbeiten. Zuletzt stand die Spritzigkeit im Vordergrund. Bei Scott mussten Konditionstrainer Marco Walker und ich weniger machen, da ging es vor allem um den Wiederaufbau von Ausdauer und Beweglichkeit.
Ist Franco Costanzo aus Ihrer Sichtfür sein Comeback bereit?
Ja, selbst wenn er im Muskelbereich noch nicht 100-prozentig der Alte ist. Aber meinen Segen hat er. Es ist für ihn der richtige Zeitpunkt, um wieder zu spielen.
Costanzo und Chipperfield gehörenzu den älteren Spielern im FCB-Kader. Sträuben sich diese besonders gegen Ihre Fitnesstrainings?
Es ist schon so, dass junge Spieler grundsätzlich motivierter bei der Sache sind. Die wollen etwas aus ihrem Körper machen und kräftiger werden, während sich ältere Spieler eher auf ihre Erfahrung berufen. Aber ein spezifisches Fitnesstraining macht für Spieler aller Altersstufen Sinn.
Wie motivieren Sie Ihre Schützlinge? Sie haben sich ja in kurzer Zeit einen Ruf als «Schleifer» erarbeitet.
Ich versuche, eine Konkurrenzsituation aufzubauen. Wenn ein junger und eher schmächtiger Spieler wie Xherdan Shaqiri mehr Gewichte stemmen kann als ein Alter Hase, dann spornt das an, wenn ich es dem Betreffenden unter die Nase reibe. Einen wie Shaqiri muss man dagegen eher bremsen, damit er nicht übertreibt. Natürlich greife ich manchmal auch zu Sprüchen wie «Das kann sogar meine Schwiegermutter besser» oder «Wir sind doch nicht in einer Schwangerschaftsgymnastik». Das lockert dann die Stimmung auf.
Eigentlich sollte man davon ausgehen können, dass ein Profisportler von sich aus seine Muskulatur verbessern will.
Fussballer sind von Natur aus eher steife Sportler. Die Ansprüche an den Bewegungsapparat sind nicht so vielfältig wie etwa beim Basketball. Deshalb will ich die Spieler dazu bringen, dass sie ein Körpergefühl entwickeln und das Krafttraining als natürlichen Bestandteil ihres Trainings ansehen. Vor allem im Bereich des Körperzentrums, dem «Powergürtel», also bei der Bauch- und Rückenmuskulatur, haben Fussballer häufig Defizite, weil da oft nicht spezifisch trainiert wird. Da ich ursprünglich nicht aus dem Fussball komme, habe ich einen anderen Blickwinkel.
Sie sind diplomierter Sportlehrer, Kampfsportler und haben von Basketball über Judo und Volleyball schon in zahlreichen Sportarten als Fitnesstrainer gearbeitet. Wie wichtig ist diese Erfahrung für Ihre Arbeit beim FCB?
Sehr wichtig. Es ermöglicht mir, aus all den Sportarten die besten Kraft- und Koordinationsübungen herauszupicken und so ein abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen. Gerade das Variieren der Trainingseinheiten ist in meinem Bereich sehr wichtig, um die Spieler bei der Stange zu halten.
Wird im modernen Profifussballgenerell zu einseitig trainiert?
Das kann man nicht verallgemeinern. Fast alle Vereine arbeiten mit professionellen Konditionstrainern zusammen, nur hat jeder seine eigene Philosophie. Ich merke aber, dass langsam auch im Fussball immer stärker das gesamte Körpergefühl im Vordergrund steht.
Haben Sie eine Lieblingsübung?Bei manchen FCB-Spielern haben Ihre Ganzkörperübungen ja nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Nein, da möchte ich mich nicht festlegen. Klar ist, dass die Spieler jetzt schon viel weiter sind als zu Beginn. Ich kann jetzt mit koordinativ anspruchsvolleren Übungen und höheren Belastungen arbeiten. 36 Prozent unserer Tore schiessen wir in der zweiten Halbzeit. Dies ist ein Beweis für den guten Fitnessstand innerhalb der Mannschaft.
In welchem Zustand haben Siedie FCB-Spieler vorgefunden?
Der Gesamtzustand war nicht schlecht, aber eben mit den besagten Defiziten im Bereich des «Powergürtels». Dabei hat mich ein Typ wie Streller völlig überrascht. Auf den ersten Blick macht er einen schlacksigen Eindruck, aber er ist extrem beweglich und hat enorme Sprungkraft. Mit beidbeinigem Absprung überspringt er 1,50 Meter. Das machen ihm nicht allzu viele Fussballer nach. Auch Valentin Stocker und Pascal Schürpf sind wahnsinnig bewegungs- und ballbegabt. Beim Basketball hat mich Antonio Da Silva verblüfft, wie stark er ist. Ich halte Basketball für einen ausgezeichneten Ausgleichssport zum Fussball, doch leider haben wir nur in der Vorbereitungsphase Zeit dafür. Auch Behrang Safari ist ein toller Basketballer.
Wann haben Sie erfahren, dass Thorsten Fink Sie zum FC Basel als Fitnesstrainer holen will?
Ich machte mit meiner Familie Urlaub in Kroatien. Endlich, dachte ich mir, nach langem wieder einmal Zeit für einen längeren Unterbruch. Doch dann rief mich Thorsten an und sagte «Niko, Du musst zu mir nach Basel kommen».
Wie haben Sie reagiert?
Ich musste keine Sekunde überlegen. Ich habe ihm noch am Telefon zugesagt. Dieses Angebot war der Hammer.
Und was hat Ihre Familie gesagt?
Sie hatte ein lachendes und ein weinendes Auge. Lachend, weil sie erkannte, was für eine tolle Karrieremöglichkeit der FCB für mich darstellt. Weinend, weil ich wieder weniger Zeit für meine Frau und meine beiden Kinder habe, und wir uns auf lange gemeinsame Ferien eingestellt hatten.
Wie oft sehen Sie jetzt ihre Familie?
Ich nutze jede freie Minute, um mit dem Auto nach München zu fahren. Wenn wir am Sonntag ein Spiel haben, fahre ich gleich nach dem Regenerationstraining am Montag los und bin für das Training am Dienstag wieder zurück in Basel.
Das geht an die Substanz.
Ja, aber ich wollte nicht meine Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung in München herausreissen. Sie sind jetzt 6 und 9 Jahre alt, gehen zur Schule, da ist Kontinuität sehr wichtig. Basel gefällt mir wahnsinnig gut, aber mein Hauptwohnsitz bleibt in München. Dazu fahre ich mehrmals im Jahr zu meinen Verwandten nach Kroatien.
Sie sind 1991 vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Wie prägend war dieses Erlebnis für Sie?
Ich habe heute noch fast jede Nacht Albträume, obschon meine Familie und ich relativ glimpflich davon gekommen sind. Als der Krieg ausbrach, fuhr ich sofort von Zagreb in meine Heimatstadt Vukovar. Als Vukovar fiel, gelang es mir, mit meinen beiden Brüdern zu fliehen. Meine Mutter und mein Vater sind anschliessend mit dem UNO-Konvoi rausgekommen.
Wieso sind Sie vom relativ sicherenZagreb nach Vukovar mitten ins Kriegsgebiet gefahren?
Es ging darum, meine Familie und meine Heimatstadt vor den Serben zu schützen. Das war eine Frage von Sterben oder Überleben. Viele Leute, die ich kannte, sind umgekommen. Von meinem damaligen Freundeskreis ist praktisch niemand mehr übrig. Es gibt viele schreckliche Erinnerungen an diese Zeit. Ich führte vor dem Krieg ein Lokal in Vukovar und hatte serbische Freunde, mit denen ich Pferde hätte stehlen können. Als der Krieg ausbrach, schossen sie dann plötzlich als Heckenschützen auf dich. Andere Serben haben uns geholfen. So Ex-Inter-Spieler Sinisa Mihajlovic, der jetzt Trainer von Catania ist und in meinem Lokal oft Gast war. Er half mehreren unserer Jungs, aus Vukovar zu entkommen. Ich bin froh, dass ich aus dieser Zeit keinen dauerhaften psychischen Schaden davongetragen habe. Aber auch nach so vielen Jahren ist es immer noch schmerzvoll. So wie früher wird es nie wieder sein.
Im FCB-Kader sind mehrere Spieler unterschiedlicher Herkunft aus Ex-Jugoslawien. Marko Perovic etwa ist Serbe. Ist das für Sie eine Belastung?
Nein, auf dem Trainingsplatz spielt die ganze Nationalitätenfrage keine Rolle. Ich habe deswegen noch nie bei irgendeinem Verein Probleme gehabt oder Zwischenfälle erlebt. Allerdings will ich mich mit den Spielern auch nicht besonders anfreunden. Die Beziehung zwischen den Spielern und mir soll auf einer professionellen Ebene ablaufen, dann gibt es keine Probleme. Das gilt aber auch für alle übrigen Spieler, nicht nur für jene aus Ex-Jugoslawien.
Dann reden Sie nie mit anderen Spielern aus Ex-Jugoslawien über den Krieg und die Erlebnisse von damals?
Nein, aber da spielt auch der Altersunterschied eine Rolle. Perovic ist so jung, der hat ja nichts davon miterlebt.
Und jetzt arbeiten Siein der wohlbehüteten Schweiz.
Ja, wenn ich höre, welche Sorgen den Schweizer Kopfzerbrechen bereiten, dann muss ich schon manchmal lachen. Dann sage ich den Leuten hier, dass es im Leben noch viel schlimmere Dinge geben kann.