Basler Zeitung vom 10.12.1998
Von Daniel Schaub
Der 55jährige Karl Odermatt hat die ganze Geschichte des Stadions St. Jakob miterlebt. Als 11jähriger Besucher des Eröffnungsspiels im Jahre 1954 und als 55jähriger Besucher des «Abschiedsspiels» am kommenden Sonntag. Dazwischen lag eine grosse Karriere als Fussballspieler.
Basel. Karl Odermatt - selbst, wenn jemand wenig mit Fussball am Hut hat, an diesem Namen ist kaum ein ganzes Leben lang vorbeizuhören. «Karli», jeder kennt ihn, die meisten mögen ihn - und dies, obwohl seine aktiven Zeiten längst vorbei sind. Noch immer zählt sein Wort, seine meist in der «Wir»-Form gefasste Meinung zum FCB ist gefragt - in Kolumnen, am Lokalradio, auf der Strasse. «Die Leute fragen mich noch immer über das Wie und Warum, wie wenn ich der Trainer wäre.»
Viele grosse Spiele hat Karl Odermatt im Stadion St. Jakob erlebt und als bester Schweizer Spieler seiner Zeit die erfolgreichste Phase in der Vereinsgeschichte des FC Basel Ende der Sechziger-, anfangs der Siebzigerjahre geprägt. Noch einprägsamer blieb Odermatt allerdings der Besuch des Eröffnungsspiels im neuen Stadion am 25. April 1954 in Erinnerung, jenes Spiel, in dem Fritz Walter (vgl. BaZ von gestern) für die deutsche Nationalmannschaft zwei Tore zum 5:3-Erfolg gegen die Schweiz beigetragen hatte. An die Paarung kann sich Odermatt heute nicht mehr erinnern, denn vom Spiel hat er, damals 11jährig, nichts gesehen.
«Das Stadion war total überfüllt. Wie so viele Leute konnte ich unter einem weggerissenen Zaun ins Stadion schlüpfen, doch je länger, je mehr wurde ich in den hintersten Reihen gegen das Gitter und einen Balken oben am Bahndamm gedrückt. Schliesslich hat mich einer über das Gitter zum Stadion hinausgeschmissen, damit ich nicht erdrückt werde», erzählt Odermatt. «Draussen habe ich dann ein paar Flaschen gesammelt und mir vom Depot-Erlös eine Wurst mit Brot gekauft.»
Mit Congeli den FCB geschlagen
Dass sich rund zehn Jahre später die Massen - nicht ausschliesslich, aber vor allem - wegen ihm ins Stadion drängen würden, konnte er damals nicht ahnen. Erste Bekanntschaft mit dem «Joggeli»-Rasen machte Odermatt noch als junger Spieler in der ersten Mannschaft des FC Concordia, der bis zuletzt eigentlicher «Platzclub» im Stadion St. Jakob war. Bei guten Bedingungen fanden auch die 1.-Liga-Spiele von «Congeli» im Stadion statt, so zum Beispiel die Schweizer-Cup-Begegnung gegen den grossen FCB in der Saison 1960/61. Der unterklassige FC Concordia gewann, fünf Tage, nachdem der Basler Seppe Hügi im Länderspiel zu St. Jakob fünf Tore beim 6:2 gegen Frankreich erzielt hatte, überraschend mit 2:1.
Odermatt bereitete beide Tore vor und brachte sich so für einen Wechsel zum Stadtclub ins Gespräch. Endgültig überzeugte er dann in der folgenden Saison im Messestädte-Cup, als er im Spiel gegen Roter Stern Belgrad das Basler Tor zum 1:1 erzielte. Odermatt war einer der wenigen Spieler, die in der damaligen Stadtauswahl (noch) nicht dem FCB angehört hatten.
Doch dann, für die Saison 1962/63, «hat mich der FCB gekauft», wie es damals schon hiess und wie es Odermatt heute noch schildert. Und mit Odermatt gewann der FC Basel in jener Saison, erstmals seit 1947 wieder, den Schweizer Cupfinal. Seine ersten Jahre im rot-blauen Dress erlebte «Karli» noch auf dem Landhof, doch mit den Erfolgen wurde die vereinseigene Anlage im Kleinbasel bald zu klein.
Für den Cup-Halbfinal gegen den FC Lugano im Frühjahr 1967 wechselte der FCB erstmals ins Stadion St. Jakob. «Wir rechneten mit etwa 20 000 Zuschauern, doch als wir aus der Kabine kamen, war es rundherum voll. Es war ein unbeschreibliches Gefühl.» 52'200 Leute fanden sich im «Joggeli» ein, eine Kulisse, die bis zum heutigen Tag nicht mehr erreicht wurde.
«Vertrauen war grenzenlos»
In jener Saison erreichte der FCB erstmals das Double, total brachte es Karl Odermatt auf fünf Meistertitel und zwei Cupsiege, er bestritt 50 Länderspiele, darunter die WM 1966 in England - und er erlebte die Europacup-Partien gegen Celtic Glasgow, Ajax Amsterdam oder den FC Brügge. Viele seiner Karriere-Höhepunkte feierte er im Stadion St. Jakob - doch Odermatt erinnert sich auch an weniger hochtrabende Momente. 1967, wenige Wochen nach dem Cupsieg gegen die Grasshoppers, traf man im «Joggeli» vor 17 000 Zuschauern auf den Erstligisten Le Locle, «wir haben den Gegner nicht ernst genommen, und in der 89. Minute stand es 0:1. Wir retteten uns in die Verlängerung und gewannen mit Müh und Not noch 2:1.»
Was Odermatt damals beeindruckte: Die Zuschauer waren ob der Darbietung der Rotblauen eher belustigt denn erbost. «Das Vertrauen in unsere Stärke war damals beinahe grenzenlos. Die Zuschauer wussten, irgendwie drehen wir das schon noch.» Odermatt erzählt von einem Spiel gegen Servette, in dem der FCB zur Pause 0:2 zurücklag und Helmut Benthaus, der Trainer, drinnen, in der Kabine, tobte. Draussen sangen die Fans fröhlich ihre Schlachtgesänge. «Benthaus begriff die Welt nicht mehr, er sagte, die sind wahnsinnig.»
Interimstrainer und Sponsoring
Seit jener Zeit personifiziert Odermatt - trotz eines Abstechers zu den Berner Young Boys (1975-1979) - den erfolgreichen Basler Fussball. Beim FCB kam man auch später nicht um «Karli» herum. Er sprang im Herbst 1992, gemeinsam mit Bruno Rahmen, als Interimstrainer ein, als Ernst-August Künnecke zum zweiten Mal entlassen worden war, und er arbeitet seit Jahren im Hintergrund für den FC Basel, mobilisiert und betreut Sponsoren, Gönner, Werber und bringt - dank seinen Kontakten - viel Geld zusammen. «Dank dem FCB wurde ich bekannt, heute kann ich meine Popularität zum Wohl des FCB einsetzen», sagt Odermatt, der im Oberbaselbieter Dorf Rickenbach ein Haus bezogen hat.
44 Jahre nachdem er - drüben unter dem Bahndamm am Gitterzaun - beinahe erdrückt worden wäre, nimmt er am Sonntag letztmals auf der alten Tribüne Platz. «Es ist schön, dass wir in würdigem Rahmen und vor grosser Kulisse vom Stadion Abschied nehmen können.»
Doch der heute 55jährige denkt schon weiter. Im neuen, privat finanzierten Stadion solle der Staat endlich auf die Billettsteuer verzichten. Sollte der FCB dereinst diese Kosten tatsächlich einsparen können, hätte «Karlis» Wort wieder einmal Gewicht gehabt.