Sonntagsblick vom 14.11.2010
VON SÉBASTIAN LAVOYER
Es war eines der grössten Wunder der Schweizer Sportgeschichte: Am 15. November 2009 wurde die Schweizer U17-Nationalmannschaft mit Trainer Dany Ryser sensationell Weltmeister, schlug im Final Gastgeber Nigeria mit 1:0. SonntagsBlick zeigt, was aus den Weltmeistern geworden ist.
1 Benjamin Siegrist, Aston Villa
Beni Siegrist ist gerade zurück vom Spiel gegen Reading, als SonntagsBlick ihn am Telefon erreicht. «Wir haben 3:0 gewonnen», sagt der beste Goalie der U17-WM in Nigeria. Er leistet auch in der U18 von Aston Villa ganze Arbeit. Weil er gestern wegen des Zusammenzugs der U19-Nati in die Schweiz flog, hütete er das Tor der Junioren. Sonst spielt er bei den Reserven.
Auch unter dem neuen Coach Gerard Houllier trainiert er mit der 1. Mannschaft. Er weiss, dass sein Weg zur Nummer 1 bei Villa ein langer ist. «Kein Coach steckt einen 18-Jährigen ins Tor.»
Für sein Ziel «Premier-League-Goalie» trainiert er trotzdem verbissen. «Ich übe nach dem Training oft Abschläge und Auswürfe», sagt er. Zudem profitiert er von den Tipps des 39-jährigen Aston-Villa-Goalies Brad Friedel.
An den WM-Titel erinnert Siegrist sich bestens: «Diese Erfahrungen haben mir viel Selbstvertrauen gegeben ». Nach der WM schaffte er es mit den Junioren von Villa in den Youth-Cup-Final, spielte vor über 10 000 Zuschauern. «Ein paar meiner Mitspieler haben sich fast in die Hose gemacht, als wir vor einer solchen Kulisse aufliefen.» Er hat sich gefreut.
2 André Gonçalves, FC Aarau
Der Aussenverteidiger ersetzte im Final-Spiel Bruno Martignoni in der 67. Minute. Gonçalves wechselte im Sommer vom Letzigrund ins Brügglifeld. «Ich hätte es beim FCZ vermutlich selbst in der U21 schwer gehabt », begründet er diesen Schritt. Jetzt ist er Stammspieler in der Challenge League anstatt Wackelkandidat in der 1. Liga.
Trotzdem ist er nicht gut gelaunt, als SonntagsBlick ihn erreicht. Letzten Sonntag verlor Aarau in Biel mit 1:7. Gonçalves flog mit Gelb-Rot vom Platz. «Das war mein erster Platz-Verweis als Profi», sagt er reuig. Nach seinem Abgang schossen die Berner noch 6 Tore.
Trotzdem: Gonçalves ist froh, dass er für ein Jahr ausgeliehen wurde. «Im Sommer schauen wir dann, wie es weitergeht.» Und ein Jahr später will er die KV-Lehre abschliessen.
Die Lehre bringt ihn fast täglich nach Zürich. Er ist bei Concidos Treuhand in Ausbildung. Seine Wohnung ist in Aarau.
«Es ist komisch zu hören, dass schon ein Jahr vergangen ist seit der WM. Mir kommt es manchmal vor, als wäre es gestern gewesen», sagt er.
3 Janick Kamber, FC Basel
Viel hat sich durch den Titel eigentlich gar nicht geändert. Ich wohne immer noch bei meinen Eltern in Mümliswil, habe den gleichen Job und bin der gleiche Mensch», sagt Janick Kamber, Vize-Captain der WM-Helden von Nigeria. Seit letztem Winter trainiert er mit der 1. Mannschaft. Kamber: «Im Cup habe ich auch schon gespielt, doch normalerweise kicke ich in der U21.»
Fussballerisch hat ihn der Triumph in Nigeria vorwärts gebracht. In der Lehre gings deswegen nicht schneller. «Ich bin jetzt im letzten Lehrjahr und die Abschlussprüfung steht bevor. Das ist ziemlich anstrengend, obwohl die Lehre natürlich speziell auf uns zugeschnitten ist.» Sein Arbeitgeber komme ihm entgegen.
Die Doppelbelastung durch Ausbildung und Fussball war selbst Spassvogel und Beckenbauer-Imitator Kamber irgendwann zu viel. «Ich hatte im Sommer ein Tief.» Der U21-Trainer hatte Verständnis. Kamber setzte ein paar Spiele aus. «Dann kam die Freude am Fussball zurück, die Leistungen wurden wieder besser», erinnert er sich.
Am Montag ists ein Jahr her, dass sie den Titel in Nigeria geholt haben. Kamber: «Wir haben U19-Zusammenzug und werden in Erinnerungen schwelgen.»
4 Charyl Chappuis, GC
Innenverteidiger Charyl Chappuis denkt noch gerne an den 15. November 2009 zurück. «Ich habe schon als Kind davon geträumt, Weltmeister zu werden.» Auf seinen Schonern hat er das Datum eingraviert. Aber: «Der Titel hilft mir jetzt nichts mehr.» Im Gegenteil: Die Erwartungen an einen Weltmeister sind höher. Auch die eigenen Ansprüche sind gestiegen. Und obwohl Ciriaco Sforza ein Junioren-Team in der Super League führt, ist Innenverteidiger Chappuis noch nie zum Einsatz gekommen.
«Auf meiner Position ist die Konkurrenz halt sehr stark», sagt der Spieler. Seine Konkurrenten heissen Vallori und Colina. Chappuis weiss, woran er arbeiten muss: «Ich habe körperlich sicher noch einige Defizite, muss athletischer werden.» Darum arbeitet er hart an sich. Denn: «Ein Wechsel kommt für mich nicht in Frage.» Chappuis: «Ich will mich bei GC durchsetzen. »
5 Frédéric Veseli, Manchester City
Seit er 15 Jahre alt ist, spielt Frédéric Veseli in Manchester. Am 20. November wird er 18. Obwohl noch nicht volljährig, fährt er schon Auto. «Hier kann man mit 17 Jahren die Prüfung machen. Ich habe am Freitag vor einer Woche bestanden», sagt er. Er freut sich darauf, in der Schweiz die Strassen unsicher zu machen: «Das wird lustig. Hier fährt man ja auf der linken Seite.»
In erster Linie hat Veseli jedoch Bälle im Kopf – nicht Autos. Der Captain der Weltmeister-Mannschaft meint: «Man weiss hier, dass ich Weltmeister geworden bin.» Das will etwas heissen bei den Citizens. In der 1. Mannschaft spielt mit David Silva auch ein «richtiger» Weltmeister.
Mit dem Spanier trainiert Veseli im Schnitt etwa einmal pro Woche. Auch auf der Bank war er schon bei der ersten Mannschaft. Beim Liga-Cup-Aus gegen West Brom (1:2). «Nach der WM bin ich vom U18-Kader in die Reserve-Mannschaften gekommen.»
Veseli ist stolz auf seine ehemaligen Kollegen bei Lausanne Sport: «Grossartig, was sie leisten.»
6 Kofi Nimeley, FC Basel
Noch an der EM war Kofi Nimeley Captain des Weltmeister-Teams. Dann kamen die Knieprobleme. Ryser nahm ihn aus der Stammformation. Ein harter Brocken für den Antreiber auf und neben dem Feld. Er akzeptierte die Rolle, war in Nigeria der Entertainer der Mannschaft, sorgte mit seinen Sprüchen und seinem Draht zu den Einheimischen für Lockerheit und Unterstützung.
«Diesen Rummel ab dem Achtelfinale, das werde ich nie vergessen. Und natürlich auch die Nigerianer, wie sie uns zugejubelt und angefeuert haben», erinnert er sich. Noch immer wird er in der Schweiz erkannt und hin und wieder um ein Autogramm gebeten.
Im Gegensatz zu Janick Kamber und Granit Xhaka hat er es aber noch nicht ins Kader der 1. Mannschaft geschafft. «Ich will mich in der U21 etablieren », sagt er.
In anderthalb Jahren will Nimeley das Gymnasium abschliessen. Er mag Sprachen. Und Geschichte. «Math, Chemie, Bio und Physik sind nicht wirklich meine Stärken.» Für ihn ist klar: «Bietet sich mir im Fussball eine Chance, müsste die Schule warten.»
8 Oliver Buff, FC Zürich
Am Montag, dem 15. November, trifft sich die U19 in Basel. Am Mittwoch steht das Länderspiel gegen Rumänien an. Oliver Buff freut sich auf den Jahrestag: «Wir werden sicher zusammensitzen und über die Erlebnisse in Nigeria sprechen. Vielleicht schauen wir ja auch die DVD mit den Highlights, die uns der Verband geschenkt hat.»
Sein Tor gegen Italien hat den Schweizer Junioren den Einzug ins Halbfinale gesichert. Schon in der Rückrunde der letzten Saison spielte er für den FCZ in der Super League. Dann aber verpasste Buff die gesamte Vorbereitung auf die laufende Saison, weil er den Blinddarm operieren musste. «Kaum war ich zurück im Team, zog ich mir gegen YB eine Hirnerschütterung zu», sagt Buff.
«In diesen schwierigen Zeiten hilft es schon, an diesen Erfolg zurückzudenken », sagt er. Jetzt ist er fit, weiss aber auch, dass er «noch körperliche Defizite» hat. Er hat sich zum Ziel gesetzt, häufiger zu Einsätzen zu kommen. Das wird nicht einfach bei der Breite des FCZ-Kaders.
9 Haris Seferovic, AC Fiorentina
Letzten Winter wechselte Haris Seferovic, der WM-Topskorer und Final-Torschütze, für rund zwei Millionen Franken von GC zur Fiorentina. Die Hoppers waren damit quasi saniert. Seferovic dagegen musste bei Null beginnen. Er trainiert zwar mit der 1. Mannschaft, spielt jedoch in der Primavera, der italienischen Junioren-Liga.
Am Telefon ist er nicht erreichbar. «Er will sich voll auf den Fussball konzentrieren », sagt sein Berater Max Urscheler. «Haris weiss, dass es ein langer Weg ist, in den Spitzen-Fussball. Er hat den Kampf angenommen.» Gerade bei der Fiorentina: Mit Alberto Gilardino kämpft er mit einem Stürmer aus dem Weltmeister-Team von 2006 um einen Stammplatz.
Immerhin sass er letzthin während eines Cup-Spiels erstmals auf der Bank.
«Wer nicht glaubt, dass Haris Fortschritte gemacht hat, soll ihm mal an die Oberschenkel greifen», sagt sein Berater. Auch sonst hat sich einiges verändert.
Eines ist aber gleich geblieben: Haris ist immer noch mit seiner Freundin Minela zusammen. Auch wenn sie jetzt weit auseinander wo nen.
10 Nassim Ben Khalifa, Wolfsburg
Die Zeit seit der U17-WM verging extrem schnell, mein Leben änderte sich», erzählt Nassim Ben Khalifa. Mit vier Toren und technisch überragendem Spiel stach er in Nigeria heraus. Nach der WM verliess er GC als Stammspieler und hoffte auf den raschen Durchbruch in der Bundesliga. «Vom VfL Wolfsburg kam die einzige konkrete Anfrage. Sie haben sich viele Spiele angesehen, sich um mich bemüht. Das Angebot von Wolfsburg war die gesuchte neue Herausforderung. Das Niveau ist höher als in der Schweiz.» Ben Khalifa kommt bei der 1. Mannschaft jedoch nicht zum Einsatz. Er spielt mit dem Reserve-Team in der Regionalliga, der vierthöchsten Liga Deutschlands. «Es bringt mehr, mit dem VfL zu trainieren, als in der Schweiz zu spielen. Aber ich will natürlich in der Bundesliga spielen, nicht in der Regionalliga. Im Winter gibts Gespräche mit dem Verein.» Immerhin ist er der einzige U17-Weltmeister, der schon in der A-Nati gespielt hat. B.E.
11 Granit Xhaka, FC Basel
Thorsten Fink warf ihn ins kalte Wasser – in der Champions-League-Quali gegen Debrecen. In der 85. Minute kam Granit Xhaka für den Torschützen zum 1:0, Valentin Stocker. «Ich rechnete damals nicht mit einem Einsatz», sagt er. Und: «Beg Ferati sagte zu mir: ‹Jetzt schiesst du das 2:0!›». Wenig später haute er den Ball aus 20 Metern rein. Erster Einsatz – erstes Tor.
Vor dieser Begegnung hat er sich die DVD mit den Highlights von Nigeria angeschaut. «Das mache ich vor jedem Spiel. Das motiviert mich einfach.»
Sein Leben habe sich durch den WM-Titel nicht gross verändert. «Vielleicht habe ich den Sprung in die 1. Mannschaft ein bisschen schneller geschafft.»
Schneller als sein älterer Bruder Taulant. Granit hofft, dass jener bald seine Chance kriegt. Denn: «Es ist ein Traum, mit ihm zusammen zu spielen.»
Ein Traum, der viel Zeit in Anspruch nimmt. «Ich habe mir überlegt, die Lehre abzubrechen », sagt Xhaka. Sein Lehrmeister und die FCB-Verantwortlichen konnten ihn umstimmen.
13 Ricardo Rodriguez, FC Zürich
Schon im März debütierte Ricardo Rodriguez als linker Aussenverteidiger beim FC Zürich. «Das wusste ich schon vor der WM und hatte nichts mit dem Titel zu tun», sagt er.
Der Start in diese Saison hätte für ihn nicht besser laufen können. Er verdrängte Ex-Nati-Spieler Ludovic Magnin auf die Bank.
Doch dann nahm ihn Urs Fischer aus der Mannschaft. Und schliesslich verletzte er sich an der Wade. Diagnose: Muskelfaserriss. «Es läuft gerade nicht so, wie ich mir das vorstelle», sagt der technisch versierte Aussenläufer. Die Verletzung hat ihn gebremst.
Er arbeitet aber schon wieder hart: «Ich war gerade in der Physiotherapie, renne schon wieder auf dem Laufband. In zwei Wochen hoffe ich, wieder mit der Mannschaft trainieren zu können. » Er will noch dieses Jahr mit der U21 Spielpraxis sammeln. Dann aber möchte er möglichst bald wieder in der 1. Mannschaft zum Einsatz kommen.
Die Leute erkennen ihn jetzt auf der Strasse, man fragt ihn nach Autogrammen. Obwohl er ein Fussball-Star ist, sagt er: «Vermutlich werde ich demnächst auf der Geschäftsstelle des FCZ zu arbeiten beginnen.» Und der Verteidiger mit chilenischen Wurzeln träumt vom eigenen Auto. «In zwei, drei Monaten sollte ich die Prüfung im Sack haben», sagt er.
15 Sead Hajrovic, Arsenal
Er war der Jüngste der Weltmeister. Knapp 16 Jahre alt war er. Und trotzdem setzte Coach Dany Ryser stets auf den ruhigen, abgeklärten Innenverteidiger, wenn Captain Frédéric Veseli gesperrt oder verletzt war. So zum Beispiel im Final. «Hier in London haben mich alle gefragt, wie das war: Weltmeister werden in Nigeria», erinnert er sich.
Im Mai hätte er die Nachfolge-Generation an der EM als Captain anführen sollen. Doch er verletzte sich am Knie. Zwei Operationen folgten. Das Vorrunden-Aus verfolgte er von der Tribüne. Die Leidenszeit ist nun vorbei: «Seit sechs, sieben Wochen bin ich wieder voll dabei.»
Hajrovic spielt bei Arsenal im Nachwuchs. Die 1. Mannschaft? «Ab und zu trainieren wir mit.» Und: «Meist essen wir alle zusammen.» Nati-Rückkehrer Djourou wohnt bei ihm in der Nähe. Doch den besten Draht hat er zum Ivorer Emmanuel Eboué.
Besser als mit allen Teamkollegen versteht er sich mit seinem Bruder Izet, der bei GC diese Saison daran ist, den Durchbruch zu schaffen. «Natürlich verfolge ich seine Karriere und bin stolz auf ihn. Er ist und bleibt ein Vorbild.» Dennoch ist Sead froh, in England zu sein: «Ich habe den Schritt nie bereut. Seit dem ersten Training mache ich Fortschritte.»
16 Pajtim Kasami, Palermo
Nachdem er bei Lazio wegen Transfer-Unstimmigkeiten nie spielte, wechselte Kasami im Winter 2010 zur AC Bellinzona in die Schweiz. Rasch etablierte er sich im zentralen Mittelfeld der Tessiner. Doch schon im Sommer zog es ihn wieder nach Italien. Jetzt kickt der Aggressiv-Leader in Sizilien.
Der Grund: «Ich kann mich hier weiterentwickeln.» Mit dem bisherigen Saison-Verlauf ist er zufrieden, sagt: «Bei 10 von 16 Pflichtspielen bin ich zum Einsatz gekommen.» Von Anfang an spielte er vor allem zu Beginn der Saison und in der Europa League. «Gegen Moskau war ich einer der Besten», sagt er.
Auf den WM-Titel in Nigeria ist er stolz. «Das ist unvergesslich. Aber letztlich nur ein Teilerfolg.» Mehr nicht. Jetzt will er Stammspieler werden auf der Insel. Er weiss: «Ich muss Geduld haben. Mit 18 Jahren bin ich einer der jüngsten Serie-A-Spieler.»
Geduld – das Wort passt irgendwie nicht zu Kasami.
Wie Ben Khalifa hat er die U19 übersprungen, spielt jetzt schon in der U21. Eben haben sie sich für die EM in Dänemark qualifiziert. Und sie haben Los-Glück gehabt: Mit Dänemark, Island und Weissrussland ein machbare Gruppe gekriegt. «Wir haben es in der Hand», sagt Kasami.