Presseschau

Basler Zeitung vom 06.12.2010

«Im Prinzip konnte ich nur verlieren»

Schiedsrichter Claudio Circhetta will mit seinem Abschiedsspiel eine Diskussion entfachen

Interview: Manuel Bertschi

Zum Abschied und auf eigenen Wunsch leitete der Baselbieter Schiedsrichter Claudio Circhetta das Spitzenspiel zwischen dem FCB und YB. Danach hagelte es für den 40-Jährigen heftige Kritik.

Juristinnen und Juristen sprechen von «personeller Gewaltenteilung», wenn sie erklären müssen, weshalb beispielsweise ein Bundesrat nicht gleichzeitig im Nationalrat sitzen darf. Im Kern geht es um allfällige Interessen- und Loyalitätsprobleme, die ein solches Doppelmandat mit sich bringen könnte. Der Baselbieter Schiedsrichter Claudio Circhetta sah sich nach der Partie FCB–YB mit ähnlicher Thematik konfrontiert. Ein Mann aus Muttenz, mittlerweile in Reinach (BL) wohnhaft, pfeift auf eigenen Wunsch ein Spiel des FC Basel. Dass so Vorwürfe der Befangenheit oder eben der Interessenkollision die Runde machen, liegt auf der Hand. Im Gegensatz zur Bundesverfassung (Art. 144) existieren in den Schiedsrichterreglementen keine Unvereinbarkeitsschranken. «Circhetta ist in der Schweiz die Nummer 2 der Referees. Ich halte ihn für neutral genug, um eine solche Partie zu leiten», sagt Schiedsrichter-Chef Urs Meier trocken.

Der ehemalige Spitzenreferee Meier wurde am Samstag von Medium zu Medium geschubst, so sehr stand der abtretende, aber lange schweigende Circhetta im Mittelpunkt. Konkret werfen ihm die Kritiker, allen voran YB-Trainer Petkovic, vier Szenen vor: den verschuldeten Penalty von Nef, Freis Offsideposition beim 1:1, ein Faustschlag Abrahams in die Magengegend von Degen und eine nicht gegebene Rote Karte für Abraham, der Berns Mayuka an einer Torchance gehindert hatte.

«Skandal», zischte Petkovic, ehe er sich an der Pressekonferenz zur Aus-sage hinreissen liess: «Wir spielten 40 Minuten in Unterzahl. Und leider haben wir vergessen, einen Berner Schiedsrichter mitzunehmen.» Damit übertrieb Petkovic zwar – bei Licht betrachtet muss man jedoch Meiers Entscheid als missglückt betrachten. Die BaZ sprach mit Circhetta.

BaZ: Claudio Circhetta, im Publikum sass ein beachtlicher Fanclub, der Sie beim Abschiedsspiel bejubelte. Eigens angefertigte Schals mit Ihrem Namen eingestickt dienten den Mitgliedern als Wärmespender. Ein würdiger Abschied für Sie, nicht wahr?

claudio Circhetta: Ich muss präzisieren: Das war kein eigentlicher Fanclub, sondern die Familie und Freunde, die im Stadion waren. Ich fand das wirklich schön.

Weniger freundlich war der Empfang nach Spielschluss in den Katakomben. Sie haben sich rund eine Stunde im Schiedsrichterkämmerchen verschanzt, während Urs Meier Ihre Leistung beurteilen musste.

Wissen Sie, es war mein letztes Spiel als Schiedsrichter – und da versucht man, möglichst viel aufzusaugen. Beispielsweise wollte ich unbedingt den Matchball als Andenken mitnehmen, die FCB-Geschäftsstelle überreichte mir netterweise ein Trikot.

Sie standen aber nicht bloss im Fokus, weil es Ihr Abschiedsspiel war.

Klar, aber genau das war mein Wunsch…

… zum Ende ein FCB-Spiel zu leiten?

Nein, sondern eine Diskussion zu starten. Es ist doch kein Problem, wenn einer aus der Region ein FCB-Spiel pfeift. Ausserdem habe ich vor Jahren schon Thun–FCB arbitriert, auch Zürcher haben schon FCZ-Spiele geleitet. Mein Ziel ist es, dass es im Fussball wie im Eishockey läuft: Sogar den Olympiafinal zwischen Kanada und den USA hat ein Kanadier gepfiffen. Das war überhaupt kein Problem.

Klingt so, als hätten Sie sich mit Urs Meier abgesprochen, der ziemlich ähnlich argumentiert.

Wir haben gar nichts abgesprochen, nein. Uns war beiden bewusst, dass es eine heikle Entscheidung war. Im Prinzip konnte ich nur verlieren. Denn die Basler dachten vielleicht, ich würde bewusst gegen sie pfeifen, die Berner ihrerseits wussten, dass ich Basler bin. Genau diese Verantwortung wollte ich auf mich nehmen. Der Versuch war es wert.

Wieso haben Sie nicht schon früher mit dieser Diskussion begonnen?

Okay, das stimmt, über den Zeitpunkt lässt sich streiten. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich durch diese Aktion künftig die betroffenen Schiedsrichter entlastet habe. Denn wir wollen die Entwicklung voranbringen. Die Super League ist schlicht zu klein, als dass auf die Herkunft der Referees Rücksicht genommen werden könnte.

Also können Sie die Kritik von YB nicht nachvollziehen?

Ich habe die Bilder noch nicht gesehen. Die Schiedsrichterinspektion sagte mir unmittelbar nach Spielschluss, dass alle Tore korrekt waren. Das ist das Wichtigste für mich.

Ihre Pionierarbeit führen Sie jetzt in einer anderen Funktion weiter.

Ja, ich trete eine neu kreierte Stelle an, die sich «Chef Schiedsrichterwesen Schweiz» nennt. Da habe ich die Gesamtverantwortung über alle 5000 Schiedsrichter der Schweiz.

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