Das Magazin vom 26.03.2011
Untertags ist er Lehrlingsleiter, in seiner Freizeit ein Schläger. Begegnung mit einem Basler Hooligan — und dessen schlagfertiger Freundin
Von Barbara Achermann Illustration von Foederation
Er mag Biolimonade mit Mandarinengeschmack, ist Schweizer, 24, hat eine sympathische Freundin, einen guten Job, lernt fleissig für seine Prüfungen an der Fachhochschule. Und er schlägt andere Männer, ohne zu zögern, ins Gesicht. Michael ist ein Hooligan. Sein Name ist in Wirklichkeit ein anderer, denn er möchte anonym bleiben. Ich habe ihn vor drei Jahren kennengelernt, damals arbeitete ich als Redaktorin bei der « Basler Zeitung » . Es war kurz vor der Fussball-Europameisterschaft, als mir ein Bekannter erzählte, dass sich die Basler Hooligans vermehrt in Industriequartieren oder im Wald mit verfeindeten Gruppen prügeln, wegen der vielen Kameras und Polizisten vor und in den Stadien, wegen der Hooligan-Datenbank. Bei unserem ersten Treffen, das nach wochenlangem SMS-Pingpong zustande kam, haben Michael und seine beiden Kollegen mächtig geprahlt. Von einem Kampf gegen französische Hooligans in einem Wald im Elsass. «Die hatten so was von keine Chance, … die Hosen voll … , platt gemacht … » Er verschränkte die muskulösen Arme hinter dem Kopf und gab den harten Kerl. Er schien das eindimensionale Bild zu bestätigen, das die Medien von Hooligans zeichnen: bru- tal, arrogant, unnahbar. Aus dem Ge-spräch wurde mir aber allmählich klar: Dieser junge Mann ist schlau und kalkuliert genau ein, welche Vorsichtsmassnahmen er treffen muss, damit sein Hobby weder seiner Beziehung noch seiner Karriere in die Quere kommt. Er macht das seit sieben Jahren und ist nicht einmal vorbestraft. Ich wurde neugierig.
Es ergab sich, dass wir alle paar Monate in verschiedenen Basler Lokalen etwas trinken gingen — Noohn, Mitte, Wister Wong — , und je besser ich ihn kennenlernte, desto mehr fing er an, mich zu interessieren. Weil er ein perfektes Doppelleben führt, weil er über seine Gewalttätigkeit nachdenkt, weil er Humor hat und charismatisch ist.
Michael verhält sich stets, als stünde er auf einer Bühne. Seine Gesten sind immer gross. Wo ist mein Publikum? Er schaut suchend um sich. Wir sind bei den Telefonkabinen am Barfüsserplatz in der Basler Innenstadt verabredet. Es ist unser drittes Treffen, und ich erkenne ihn auf Anhieb. Er trägt eine weisse Jacke und eine weisse Wollmütze, geht aufrecht, Hand in Hand mit seiner Freundin, die ich hier Lynn nenne, die aber eigentlich anders heisst.
«Du siehst aus wie ein Prinz», hat ein Kumpel ihn einmal gehänselt. Tatsächlich hat sein Äusseres etwas Anachronistisches. Zwar kauft er angesagte Marken wie Armani oder Stone Island, sein iPhone steckt in einer Louis-Vuitton-Hülle, aber seine nach hinten gekämmten Haare locken sich rebellisch, sein Gesicht ist schmal. Er weint bei Filmen wie «PS I Love You» und singt bei den Songs von Grönemeyer laut (und falsch ) mit. Er kokettiert mit seinem schizophrenen Leben, hier der Gewalttäter, dort der «Softie», wie er sich selber nennt. Frauen gegenüber benimmt er sich betont galant — hält die Tür auf, stellt aufmerksame Fragen und wiederholt oft meinen Namen, wie das Amerikaner tun.
Es ist Sonntag, 12 Uhr mittags, Michael und Lynn sind eben erst aufgestanden. Sie wollen im Fast-Food-Restaurant Cindy’s etwas essen: Cola und Ice Tea, Pizza und Sandwich. Um uns sitzen Familien mit lärmenden Kindern. Michael spricht laut, er schwärmt. Am Abend zuvor kämpfte er mit seinen Kollegen gegen Zürcher Hooligans. Die Basler stürmten auf die Geleise, die Zürcher zogen die Notbremse. Es sei ein fairer Kampf gewesen, ohne Waffen, ohne Tricks.
Michael: Ist einfach ein Hammer- Gefühl, wenn du dich unbeschwert prü- geln kannst, ohne dauernd Angst zu ha-ben, einer ramme dir ein Messer in den Rücken. Wenn du spürst, dass dich keiner verarscht, kämpfst du viel unbeschwer-ter, viel sicherer. So liebe ich es.
Für dich ist das ein Spiel, das faire Regeln braucht?
Michael: Faire Regeln, ja, aber ein Spiel ist es nicht. Dafür ist es zu ernst. Wenn der FCB verliert, dann regt mich das zu Tode auf. (Er legt einen Arm um seine Freundin.) Oder Baby, dann komm ich heim und bin mies gelaunt. Es trifft mich extrem. (Sie nickt.) Ich habe ein Interesse daran, dass alles fair abgeht. Ich will niemanden niederstechen, will nicht in den Knast, ich will nicht draufgehen. Ich will einfach abtauchen, meinen Spass haben und dann wieder auftauchen und ernsthaft arbeiten. Ich bin nun mal dieser Kampfsucht verfallen. Deshalb musste ich schauen, dass ich nicht meine Karriere riskiere.
Weiss niemand im Geschäft von deinem Doppelleben?
Michael: Aber sicher nicht. Es wür- de gar nie jemand auf die Idee kommen, dass ich ein Hooligan sein könnte. Wie- so auch? Ich bin freundlich, zuverlässig, hilfsbereit.
Und wenn du mit einem blauen Auge ins Büro kommst?
Michael: Dann sage ich, es sei vom Kampfsporttraining.
Du organisierst die ganzen Aktionen mit und hast offensichtlich Führungsqualitäten. Wieso setzt du die nicht für etwas Sinnvolleres ein?
Michael: Das eine schliesst das an- dere nicht aus: Ich gebe bei der Arbeit vollen Einsatz, bin Lehrlingsleiter und mache nebenbei noch meine Ausbildung. Ich werde es einmal zu etwas bringen.
Du bist gerne der Chef?
Michael: Wir Hooligans entscheiden im Kollektiv. Wir sind ein Team.
Lynn (fällt ihm ins Wort) : Sicher fühlst du dich gut da vorne.
Michael: Es macht mir schon Spass. Ich könnte mir nicht vorstellen, in der letzten Reihe zu kämpfen.
Lynn: Eben.
Lynn ist eine intelligente Frau Anfang zwanzig mit zierlichen Gesichtszügen. Sie studiert Naturwissenschaften, ist schlagfertig und direkt. Keine Tussi, auch wenn sie sich gern von ihm ins Stucki einladen lässt, eines der teuersten Restaurants in Basel. Es ist offensichtlich, dass Michael sie auf Händen trägt. Die beiden sind seit drei Jahren ein Paar. Sie hat eine eigene Wohnung am Stadtrand, während er auf dem Land lebt.
Lynn: Du verpuffst viel Energie mit deinen Prügelaktionen.
Michael: Die Energie verpufft nicht, sondern sie schafft einen Ausgleich und gibt mir Lebenslust. Für mich läuft im Moment alles wie geschmiert. Ich habe meine Lady, die mich in allem unterstützt und zu mir schaut … (Lynn lacht.) … stimmt doch, musst nicht lachen.
Lynn: Naja.
Gehst du mit, wenn sie sich schlagen?
Lynn: Nein.
Michael: Spinnst du! Aber sie respektiert es, weil sie merkt, dass es mir was gibt.
Lynn: Ich toleriere es! Ich respektiere es nicht ganz.
Michael: Ich verlange ja auch nicht mehr.
Wie war das gestern? Wie ist er nach der Schlägerei gegen die Zürcher Hooligans nach Hause gekommen?
Lynn: Total euphorisch.
Hast du dich mit ihm gefreut?
Lynn: Nein. Ich habe schon geschlafen, und er kam rein, redete und rede- te. Normalerweise merkt er ja, dass ich schlafe. Diesmal nicht. Er war total aufgeregt, Schatz, ich bin überall voll Blut, Schatz, ich bin überall voll Blut. Kann ich noch duschen gehen? Ich sah nichts, es war dunkel.
Hattest du Angst?
Lynn: Ich will einfach nichts davon wissen. Ich weiss, dass er es macht, aber ich versuche, nicht daran zu denken. Sonst werde ich nervös, wenn ich mir überlege, was alles passieren könnte.
Wieso hast du dich überhaupt auf ihn eingelassen?
Lynn: Bevor wir zusammen waren, hat er mir schon erzählt, was er macht. Ich hatte vorher noch nie Kontakt zu Hooligans. Ich wusste nicht einmal genau, was ein Hooligan ist. Für mich war das einfach ein Schläger. Klar habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob ich mit ihm eine feste Beziehung haben will. Aber mal ehrlich, mir ist es lieber, er prügelt sich mit Gleichgesinnten, als dass er kifft oder im Ausgang rumprügelt. Ich kann damit leben.
Hat es dich auch fasziniert, dass er ein Hooligan ist?
Lynn: Auf jeden Fall. Auf dieses Bad-Boy-Image stehen viele Frauen.
Michael: Obwohl ich ja überhaupt kein Bad Boy bin.
Lynn: Doch, natürlich. Du bist aber auch der totale Charmeur. Zuvorkommend und interessiert. Anfangs dachte ich ja, das sei gespielt. Aber das stimmt nicht. Er ist noch immer so höflich und aufmerksam wie am ersten Tag.
Michael: Ich bin kein schlechter Mensch.
Lynn: Du hast zwei Gesichter. Als Hooligan und im Alltag, das sind zwei total verschiedene Seiten.
Hast du auch sonst Schlägereien? Früher auf dem Pausen- hof oder heute in der Disco?
Michael: Nein, normalerweise verab scheue ich Gewalt. Ich würde nie jemanden angreifen, der nicht kämpfen will.
Hast du noch nie ein Messer gezückt oder einen Stein geworfen?
Michael: Es ist nicht so, dass ich noch nie einen Stein geworfen hätte. Aber das kann ich an einer Hand abzählen, das war früher. Und nur aus dem Affekt heraus. Nicht bewusst. Nie im Leben bewusst. Die Zürcher stehen hinter den Bullen und schmeissen Zeug, und dann schmeisst man halt was zurück. Nachher hab ichs bereut. Biireweich.
Und Messer?
Michael: Nein. Ich habe Angst vor Waffen. Ich will ja niemanden töten. Ich will mich mit anderen messen.
Und gewinnen.
Michael: Wenn man weniger Leute hat als der Gegner, ist der Kick grösser. Und klar, da ist die Angst zu verlieren, die Angst, auf die Fresse zu kriegen. Aber die wird mit der Routine immer kleiner. Ein wichtiger Teil von dem, was ich mache, ist Strategie. Wie trickse ich die Bullen aus? Wie mobilisiere ich meine Leute? Wie schaffe ich eine möglichst sichere Ausgangslage?
Räuber und Poli.
Michael: Manchmal.
Du lachst?
Michael: An der Euro 2008 zum Beispiel, da war das Polizeiaufgebot enorm. Ich konnte in der Stadt keinen Schritt machen, ohne einen Fahnder bei Fuss zu haben. Da haben wir uns zum Spass verabredet und sind zu fünfzehnt vom Restaurant Stöckli zum Steinengrill ge-rannt. Die Bullen hinterher. «Was ist los?», schrien sie. «Wir haben Hunger!»
Lynn, hast du Michael schon einmal aggressiv erlebt?
Lynn: Nur auf einem Video, da hab ich gesehen, wie er dreinschlägt, denn sie filmen die Sachen manchmal. Aber ich finds schrecklich. Ich will das nicht sehen.
Aber du schaust es dir an, und es fasziniert dich?
Lynn: Nein, ich finde es abstossend.
Du hast nichts für die Hooligans übrig?
Lynn: Es gibt unter denen Leute, die ich sehr schätze, aber dann gibt es auch solche, die unselbstständig sind.
Mitläufer?
Lynn: Zum Teil. Sie warten nur drauf, dass jemand ihnen sagt: «Auf jetzt!» Und wenn sie verlieren, brauchen sie die ge-genseitige Bestätigung.
Michael: Das ist ein wichtiger Aspekt, den du hier ansprichst. Und daran siehst du auch, dass das Ganze einen sozialen Hintergrund hat. Wir helfen einander. Einige kommen zu mir, wenn sie private Probleme haben, und ich höre ihnen zu, helfe ihnen bei der Jobsuche oder ihren Frauenproblemen.
Lynn: Du siehst immer nur das Gute im Menschen.
Michael: Wir unterstützen uns ge-genseitig. Wir haben das volle Programm an Leuten, aus allen Schichten. Ein Jurist, ein Medizinstudent, ein Banker …
Die setzen ihre guten Jobs aufs Spiel.
Michael: Nicht unbedingt. Sie passen extrem auf. Viele sind nur dabei, wenn wir sicher sind, dass keine Polizei in der Nähe ist und keine Kamera.
Ihr seid aber nicht alle Akademiker.
Michael: Nein, die meisten haben nicht studiert. Wir haben viele Handwerker — einen Glaser, einen Spengler, einen Schreiner — Unternehmer, Hilfsarbeiter und Arbeitslose. Viele arbeiten übrigens am Wochenende als Security.
Machen bei euch auch labile Leute mit?
Michael: Einige Junge suchen Halt in der Gruppe, sie wollen dazugehören, weil sie sich im Privatleben oder in der Privatwirtschaft nicht zurechtfinden. Sie suchen Bestätigung. Auch ich suche Bestätigung in der Gruppe. Bei einigen ist das zentral, dass sie im Leben wenig Anerkennung bekommen. Und die kriegen sie dann von uns.
Was, wenn sich einer schwer verletzt. Dann bist doch du als Chef verantwortlich. Kannst du diese Verantwortung tragen?
Michael: Nein, das kann ich nicht. Dieses Risiko muss jeder selber tragen.
Ist schon einmal etwas passiert?
Michael: Klar gibt es gebrochene Nasen, ausgekugelte Gelenke, vielleicht mal einen komplizierten Bruch. Aber ernsthafte Verletzungen hatten wir in letzter Zeit keine.
Lynn: Ich hab ihm auch schon gesagt, dass das so schnell gehen kann, und schon ist einer seiner Jungs gelähmt. Oder er schlägt selber einen so, dass der bleibende Schäden davonträgt. Damit wür- de Michael niemals klarkommen.
Michael: Jeder ist sich bewusst, dass dieses Risiko besteht. Wenn wir auf die Wiese fahren, sind wir Sportler, wir wärmen uns ein, treffen Sicherheitsmassnahmen, tragen Geschlechtsschutz, Zahnschutz.
Wie lange machst du das jetzt noch?
MICHAEL (schaut zu Lynn) : Ich weiss es nicht. Vielleicht sagts mir irgendwann nichts mehr. Ich will ja später einmal Kinder haben. Ich würde schon jetzt auf der Stelle ein Buschi adoptieren.
Auf der Facebook-Seite von Michael gibt es ein Foto, auf dem er etwa acht Jahre alt ist. Er trägt ein blau-rotes Shirt des FC Basel, lehnt lässig über die Brüstung eines Kletterturms und lacht von oben herab in die Kamera. Ein zierlicher Junge mit wachen Augen. Ein Lausbub vielleicht, aber ein Schläger? Als Kind habe er sich noch nicht in die Fankurve getraut, erzählt Michael, während Lynn schweigend isst. An den Spielen im alten Sankt-Jakob-Stadion sass er stets neben seiner Mutter auf der Haupttribüne. Als Teenager ging Michael dann mit den Kollegen vom Fussballklub an den Match. Sie feuerten die Mannschaft an, bastelten Fahnen, fieberten mit. Als 2001 das neue Stadion fertig gebaut war, trauten sie sich erstmals in die Muttenzerkurve. Michael schloss sich einem Fanklub an, sang deren Lieder, lernte die Choreografien und fuhr an jedes Auswärtsspiel. Doch was ihn am meisten reizte, waren die illegalen Fackeln. «Pyros zu zünden, gab mir den speziellen Kick», sagt er. Die Fanszene des FC Basel wurde immer grösser, lauter, stärker. Michael wurde bald einmal gewalttätig.
Wann hast du das erste Mal jemanden geschlagen?
Michael: Ich war sechzehn Jahre alt und stürmte mit Kollegen den Zürcher Block. Ich hab nicht viel gemacht, sondern bin einfach nur hinterhergerannt. Trotzdem war das Weltklasse.
Du hast dich also gar nicht geprügelt?
Michael: Ich hab schon ein wenig dreingehauen. Und wir haben den Zürchern Fahnen gestohlen. Aber genau erinnere ich mich nicht mehr. Es ging alles so schnell.
Hattest du Angst?
Michael: Ich hatte Schiss, sicher.
Wie ging es weiter?
Michael: Züri auswärts, die ganze Zeit. Ich scharte gewaltbereite Fans um mich. Rasch waren wir vierzig Mann. Wir griffen die Zürcher vor oder im Stadion an oder irgendwo in der Stadt. Auf dem Weg vom Stadion bis zum Zug sagte ich jeweils, wos langgeht. Ausser, wenn einer der alten Hooligans dazu kam, dann hatte ich nichts mehr zu melden.
Wie bekamst du so viel Macht?
Michael: Eher zufällig. Ich ging mit einem jungen Anführer der Zürcher Fan-szene aus dem Kreis 4 auf dieselbe Berufsschule. Wir verstanden uns super. Und so organisierten wir mehrere Kämpfe, Basel gegen Zürich. Vor dem Stadion waren wir Gegner, in der Schule Freunde. Wenn wir uns in der Schule sahen, lachten wir darüber. Wir sahen das immer sportlich.
Ich habe mit fünf Basler Hooligans über Michael gesprochen. Es hiess, er sei zu-verlässig, fair, für einige fast schon zu fair. Im Kampf sei er aber knallhart und immer vorne dabei. Einer der Gründer der Basler Hooligans sagte, Michael sei ihre grosse Nachwuchshoffnung.
An einem Samstagnachmittag nimmt mich Michael zu einem verabredeten Kampf im Grünen mit, einem sogenannten Feld-Wald-Wiese. Mittlerweile habe jede Kleinstadt eine «Ackertruppe»: Aarau, St. Gallen, Luzern, Zug, Wil, Vaduz. Auch heute werden zwei Hooligan - G ruppen aus Schweizer Städten gegeneinander kämpfen. Michael wird den Kampf beaufsichtigen. «Das hat nichts mit Basel zu tun, deshalb kämpfe ich nicht.»
Sie sehen harmlos aus, die jungen Männer Anfang zwanzig, wie sie in der Autobahnraststätte auf niedrigen Hockern sitzen und Redbull trinken. Ihre Gesichter glänzen von der Vaseline, die sie gegen Kratzer schützen soll. Alle tragen Turnschuhe und ein rotes T-Shirt. Sie sind nervös. In zwei Stunden haben sie sich mit verfeindeten Hooligans auf einem Parkplatz verabredet. 12 gegen 12. Alle Augen sind erwartungsvoll auf Michael gerichtet. «Du läufst in der ersten Reihe», sagt er zu einem stämmigen Mann, der kurz nickt und sogleich zu Boden schaut. Michael klopft ihm auf den breiten Rücken: «Kommt schon gut. Für jeden gibts ein erstes Mal.»
Wir sitzen im Auto und fahren eine Stunde lang durch Industriegebiete und über Landstrassen. Michael sucht mithilfe seines Navigationsgeräts einen geeigneten Ort für den Kampf, während die beiden Hooligan-Gruppen auf zwei verschiedenen Parkplätzen warten. «Diese Idioten», schimpft Michael. Er ist sauer, weil die Hooligans sich nicht selber um einen Platz gekümmert haben. An den Dächern der Lagerhallen hängen Überwachungskameras, auf einer Wiese spielen Kinder, im Wald spazieren Fussgänger. «Egal, jetzt ziehen wir das durch», sagt er und entscheidet sich für einen Weg am Waldrand. Acht Autos fahren ihm nach. Ich stelle mich zehn Meter vom Weg entfernt hinter einen Anhänger. Eine Frau spaziert mit einem Hund vorbei und schaut verdutzt um sich, in einem Haus auf einer Anhöhe stehen drei Leute am Fenster. «Eigentlich ist das viel zu öffentlich», sagt Michael. Die Gruppen stehen sich im Abstand von vierzig Metern gegenüber, die einen in roten und die anderen in weissen T-Shirts. «Kommt, wir brechen das ab», sagt einer. «Jetzt gibt es kein Zurück», antwortet ein anderer. Ich bereue, dass ich mitgefahren bin. Was, wenn sich einer der jungen Männer ernsthaft verletzt? Oder wenn plötzlich einer ein Messer zückt? Ich bin mitverantwortlich.
Michael steht in der Mitte und schreit: «Los jetzt, stellt euch auf, enger zusammen, geht aufeinander zu.» Die weissen dribbeln im Laufschritt an mir vorbei, dem Gegner entgegen. Sie grölen vor Angst und Anspannung, die Fäuste vor dem Gesicht.
Der eigentliche Kampf dauert nur eine halbe Minute. Es sieht beinahe harmlos aus. Die Männer boxen, kaum einer kickt. Es ist eigenartig still. Die Energie ist bereits nach wenigen Augenblicken verpufft. Ungefähr zehn Leute liegen am Boden. «Unentschieden», ruft Michael. Die jungen Männer keuchen schwer, verletzt ist niemand.
Was sind das für Leute, die neu zu euch stossen?
Michael: Viele Sportler.
Haben die alle einen Knacks?
Michael: Nicht alle.
Lynn: Doch.
Michael: Und was ist mein Schaden?
Lynn: Ich glaub, ich weiss es. Ich wills aber nicht sagen.
Michael: Doch, sags.
Lynn: Was hat dir in deinem Leben gefehlt?
Michael: Der Vater.
Lynn: Diese Rolle des Vaters, der ihm aufzeigt, wos durchgeht, wie mans macht. Diese Führungsperson, die er nie gehabt hat, ist er jetzt selber. Er weiss, wie wichtig diese Vaterrolle im Leben ist und will deshalb für alle da sein.
Michael: Das erklärt vielleicht meine fürsorgliche Seite. Aber nicht die Gewalt.
Lynn: Das machst du, weil du als Junge einfach da hineingerutscht bist. Hättest du andere Kollegen gehabt, andere Interessen als Fussball, dann wärs heute vielleicht etwas anderes.
Heisst das, er könnte ebenso gut ein Rapper sein oder ein Skater?
Lynn: Genau.
Michael (zögert) : Möglich.
Und doch bist du ein Hooligan.
Michael: Ja, wegen der Emotionen. Du fährst auswärts nach Zürich, gehst vor dem Spiel durchs Niederdorf, und die Luft ist elektrisch geladen. Dreissig Jungs, alle sind angespannt, aber sie wissen auch, wir sind gut, uns kann eigentlich nichts passieren. Du weisst nicht, wo der Gegner dir auflauert, die Gassen sind eng, Leute kommen angerannt, du hörst es hallen, dein Puls geht schneller — Fehlalarm. Du setzt dich irgendwo hin, bestellst und hältst Ausschau. Dann gehst du zum Bahnhof, wartest auf den Extrazug und begleitest den Mob zum Stadion. Der FCB verliert 4 zu 0. Du bist auf 180, Scheisse, es scheisst dich zu Tode an! Und dann siehst du die blöden Zürcher und denkst nichts anderes, als dass die jetzt fallen müssen. Sie stehen vor dir, und du hast einen Augenblick lang eine Riesenangst. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du rennst weg oder du stellst dich. Durch die Überwindung der Angst gewinnst du ein Stück Freiheit. Du kämpfst dich los von gesellschaftlichen Zwängen. Du vergisst alles.
Bei unserem letzten Treffen ist Michael frustriert. Er wurde von den Hooligans gezwungen, von seiner Führungsposition zurückzutreten. Warum? Michaels Antworten bleiben vage. Zum ersten Mal macht er auf mich einen eingeschüchterten Eindruck, murmelt etwas von «Meinungsverschiedenheiten». Mehr könne er nicht erzählen. Michael hat sich in den Basler Hooligans getäuscht: «Die Kameradschaft hält nur im Kampf. Dort ist sie bedingungslos. Aber wenn die Machtverhältnisse kippen, stehen nur noch die wahren Freunde zu dir. Und das sind wenige.» Aus lauter Frust hatte er sich entschieden, eine Weile nicht mehr zu kämpfen. Der gute Vorsatz war nicht von Dauer. Bereits Tage später wurde er rückfällig, als der FC Bayern München nach Basel kam und mit ihm der Fanklub «Schickeria». «Die wollten ihre Fahne auf dem Barfüsserplatz hissen. Auf unserem Barfi, das geht gar nicht!» Michael und vier Hooligan-Kollegen schlugen ohne Vorwarnung auf die Bayern-Fans ein. Tags darauf berichtete ein Dutzend Zeitungen über die «Massenschlägerei». «Es war geil, aber unvorsichtig», sagt Michael und streicht sich über die kurzen Haare. Er hat seine Locken abrasiert. Jetzt, da seine Hooligan-Identität bröckelt, sieht er plötzlich aus wie einer. «Ich brauche Abstand.» Michael spricht wieder laut. Er besorgt sich nun Karten für die Haupttribühne, vielleicht sogar für die VIP-Lounge im Sankt-Jakob-Park. Dann würde er das Spiel hinter Glas anschauen, an der Wärme, so richtig gediegen, mit Canapé und Champagner.