Sonntagsblick vom 17.04.2011
Die Träume sind geplatzt
VON SÉBASTIAN LAVOYER
SonntagsBlick zeigt anhand des Beispiels von Nassim Ben Khalifa, welches die Gründe für das Scheitern unserer Weltmeister sind. Ihr damaliger Trainer Dany Ryser sagt: «Es wurden falsche Karriere-Entscheide getroffen.»
Jubel, Ruhm und Siegestaumel – das war im November 2009. Die Schweiz wurde Fussball-Weltmeister. Die U17-Helden schrieben das Märchen von Nigeria. Jetzt, 17 Monate nach dem Titel in Abuja, drückt Nassim Ben Khalifa, einer der überragenden Spieler bei der U17-WM, die Bank beim 1. FC Nürnberg. Er ist kein Einzelfall!
Den Durchbruch hat keiner wirklich geschafft. Zwei weitere Beispiele an dieser Stelle: Final-Torschütze Haris Seferovic spielt in der Primavera für die Fiorentina und Captain Frédéric Veseli bei den Reserven von Manchester City (die Infos zu allen weiteren Spielern finden Sie nebenan). Ernüchterung macht sich breit. Ausgerechnet jetzt, wo Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld den Neuanfang plant! Was lief schief?
«Zu früh ins Ausland – und zum falschen Klub»
«Man hat falsche Karriere-Entscheide getroffen», sagt Dany Ryser (53), Trainer der Weltmeister-Mannschaft. «Nassim Ben Khalifa ging sehr früh in die Bundesliga, wohl zu früh, ganz sicher aber zum falschen Klub.»
Nach dem Wechsel zum VfL Wolfsburg im Sommer 2010 spielte Ben Khalifa, in Nigeria noch einer der besten Spieler, bloss bei den Reserven. Letzten Winter dann der Transfer zu Nürnberg, wo er seither genau einen Bundesliga-Einsatz hatte. Neun Minuten stand er dabei auf dem Platz.
Peter Knäbel, Technischer Direktor des SFV, findet: «Es ist dramatisch, dass Nassim in einer solchen Sackgasse landete. So etwas müssen wir in Zukunft verhindern.»
Knäbel steht nicht auf Schlaumeierei. Doch er ist der Meinung, dass es im Fall Ben Khalifa Alarmsignale gab. Die Philosophie des Klubs setzt nicht auf Nachwuchs. «Wolfsburg holte sieben, acht neue Spieler. Da interessiert am Schluss nur der Superstar. Niemand fragt nach einem Junioren-Weltmeister», sagt er. Zudem war der damalige Trainer Steve McLaren nicht bekannt als einer, der Spieler entwickelt. Und die 2. Mannschaft von Wolfsburg spielt bloss in Liga 4.
Warum kommt es dann trotzdem zum Wechsel? «Jeder Scout schmückt sich gerne mit einem Weltmeister. Da wird der Mensch zur heissen Ware», sagt Knäbel. Die Vereine locken mit dem grossen Geld, Prestige, steilen Karriere-Aussichten.
Dass sich ein Vater seinem Sohn in dieser Situation nicht in den Weg stellt, findet er nichts als menschlich. «Niemand will von seinem Kind hören: ‹Du hast mir meine Karriere versaut.›» Auch der finanziell angeschlagene GC hat sich nicht gegen den Verkauf gewehrt.
Ryser fasst zusammen: «Es gibt äussere Einflüsse, zum Beispiel Verletzungen oder eben die finanzielle Lage des Vereins, die schwer zu beeinflussen sind. Aber mit einer geschickten Karriereplanung kann man vieles in die richtige Bahn lenken.» Und: «Wir stellen fest: Je früher ein Spieler ins Ausland geht, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass er sich durchsetzt.» Vielleicht hätte Ben Khalifa besser noch ein, zwei Jahre gewartet.
Denn der Zeitpunkt des Wechsels ist zentral. Aber längst nicht alle Weltmeister gingen ins Ausland. Und trotzdem steht momentan nur Granit Xhaka (FC Basel) regelmässig in der Startelf eines Super-Ligisten. «Nach dem überraschenden Titel waren die Erwartungen an die Spieler enorm hoch. Man muss sich aber bewusst sein, dass wir nicht die besten Einzelspieler hatten, sondern das beste Team. Es ist ein grosser Erfolg, wenn drei oder vier von ihnen den Sprung in die A-Nati schaffen», erklärt Dany Ryser. Das ist die Realität!
Kofi Nimeley Mittelfeld, FC Basel
Werdegang:
An der WM wichtiger Ergänzungsspieler. Kniebeschwerden warfen ihn zurück. Beim FC Basel Stammspieler in der U21.
Roman Buess Sturm, FC Basel
Werdegang: War in Nigeria Ergänzungsspieler, kam im Final nicht zum Einsatz. Spielt regelmässig in der U21 des FC Basel und ist im Kader der U19-Nati.
Granit Xhaka Mittelfeld, FC Basel
Werdegang:
In Nigeria gesetzt. Im Kader der 1. Mannschaft des FC Basel. Spielte zuletzt regelmässig beim Schweizer Meister. Momentan ist er von allen Weltmeistern am weitesten. Profitierte von Huggels Verletzung. Heute sitzt er wohl auf der Bank.
Janick Kamber Mittelfeld, FC Basel
Werdegang:
Vize-Captain und Entertainer in Nigeria. Trainiert beim FCB in der 1. Mannschaft, sitzt ab und zu auf der Bank. Stammspieler im Basler U21-Team.
Robin Vecchi Verteidiger, FC Basel
Werdegang:
Stammspieler in Basels U21 bis zu seiner Verletzung. Im Kader der U19.
Matteo Tosetti Mittelfeld, YB
Werdegang:
Teileinsätze in Nigeria. Stammspieler in der U21 von YB, zwei Kurzeinsätze in der Super League und einer im Schweizer Cup. Steht im Kader der 1. Mannschaft.
André Gonçalves Verteidiger, FC Aarau
Werdegang:
Wurde im Final eingewechselt für Martignoni. Gonçalves wurde für diese Saison vom FC Zürich an Aarau ausgeliehen. In der Challenge League ist er Stammspieler.
Maik Nakic Mittelfeld, FC Sion
Werdegang:
War der einzige Spieler, der in Nigeria nicht zum Einsatz kam. Teileinsätze in der U21 von Sion.
1 Frédéric Veseli Verteidiger, Manchester City
Werdegang:
Captain des Weltmeister-Teams. Im Sommer 08 wechselte er zu Manchester City in die U18. Unterdessen spielt er bei den «Reserves», allerdings nicht regelmässig. Überzeugte beim letzten Spiel für die U19 gegen Frankreich.
2 Benjamin Sigrist Goalie, Aston Villa
Werdegang:
War an der U17-WM die Nummer 1 und jetzt wiederum in der U19. Im Sommer 09 wechselte er von Basel zu Aston Villa. Dort spielt er bei den «Reserves». Er trainiert regelmässig mit der 1. Mannschaft.
3 Sead Hajrovic Verteidiger, Arsenal
Werdegang:
War der jüngste Spieler der U17-WM. Kann mit Jahrgang 1993 noch in der U18 von Arsenal spielen, trainiert aber bei den «Reserves». Zwei Knie-Operationen im 2010 warfen ihn zurück.
4 Nassim Ben Khalifa Stürmer, 1. FC Nürnberg
Werdegang:
Der überragende Mann im Weltmeister-Team, wechselte im Sommer 2010 zu Wolfsburg, versauerte dort in der 2. Mannschaft. Dann der Wechsel im Winter zu Nürnberg, wo er den Sprung in die 1. Mannschaft noch nicht geschafft hat.
5 Haris Seferovic Stürmer, Fiorentina
Werdegang:
Torschütze des goldenen Tores in Abuja, spielt seit seinem Wechsel nach Italien in der Primavera. Dort ist er Stammspieler und schiesst regelmässig Tore, genauso wie bei seinen Einsätzen für die U19-Nati. Hat ein erstes Mal für die 1. Mannschaft in der Coppa d’Italia gespielt.
6 Bruno Martignoni Verteidiger, Cagliari
Werdegang:
War rechter Verteidiger im WM-Final, spielte bis 2010 in Locarno und wechselte dann zu Cagliari. Dort spielt er in der Primavera, in der Coppa d’Italia machte er ein ganzes Spiel mit der 1. Mannschaft.
7 Pajtim Kasami Mittelfeld, Palermo
Werdegang:
Aggressiv-Leader der Weltmeister-Mannschaft, wechselte nach kurzem Intermezzo in der Super League (Bellinzona) zu Palermo. Anfänglich viele Teil-Einsätze zuletzt schmorte er auf der Bank. U21-Nati.
Charyl Chappuis Verteidiger/Mittelfeld, GC
Werdegang:
Spielte an der WM in der Innenverteidigung, mag aber auch eine Rolle im Mittelfeld. Die Konkurrenz bei GC ist auf diesen Positionen aber zu stark. In der U21 von GC Stammspieler, brach sich jedoch vor wenigen Wochen in einem U19-Länderspiel das Bein.
Raphael Spiegel Goalie, GC
Werdegang:
Zweiter Goalie hinter Siegrist 2009, jetzt die Nummer 1 bei GCs U21 und die Nummer 3 im Verein.
Ricardo Rodriguez Verteidiger, FC Zürich
Werdegang:
Unangefochtener linker Verteidiger in Nigeria. Im Kader der 1. Mannschaft des FC Zürich. Zu Beginn der Saison diverse Einsätze von Beginn, verletzte sich dann und kommt im Moment nicht an Ex-Nati-Spieler Ludovic Magnin vorbei.
Oliver Buff Mittelfeld, FC Zürich
Werdegang:
Gesetzt unter Ryser, trainiert er bei Urs Fischer in der 1. Mannschaft. Ist bei allen Partien dabei, kommt aber selten zum Einsatz. Mit Xavier Margairaz steht ihm ein Mann mit Nati-Erfahrung vor der Sonne.
Joel Kiassumbua Goalie, FC Luzern
Werdegang:
Nummer 3 in Nigeria, jetzt bei Luzern in der U21 allerdings erst mit sechs Einsätzen in der laufenden Saison. Nicht mehr Nationalspieler.
Igor Mijatovic Stürmer, FC Locarno
Werdegang:
Ergänzungsspieler in Nigeria und jetzt in der Challenge League bei Locarno.