Presseschau

Basler Zeitung vom 10.09.2011

Einer, der auszog, das Glück zu finden

Patrik Baumann musste kämpfen, ehe er bei Servette dort landete, wo er immer hin wollte

Von Florian Raz

Genf. «Irgendeinisch fingt ds Glück eim», singt Kuno Lauener bei Züri West. Manchmal aber findet jemand auch das Glück, weil er auszog, es zu finden. So wie Patrik Baumann. Viel hätte nicht gefehlt, und der Innenverteidiger hätte einst den Bettel hingeschmissen. Er war soeben 23 Jahre alt geworden, vertragslos und ohne Perspektive, sich bei einem ambitionierten Verein als Profispieler anzubieten. Zwei Jahre erst ist das her. Heute empfängt Baumann mit Servette Genf den FC Basel in der Super League, er ist als inzwischen 25-Jähriger Stammspieler und darf sagen: «In Genf trage ich Verantwortung, hier habe ich schon Erfolge gefeiert. Wahrscheinlich ist es sogar schöner, auf diese Art zu spielen, als wenn ich einfach so beim FCB reingerutscht wäre.»

Aber natürlich hätte Baumann nichts dagegen gehabt, seine Profi-Karriere beim FCB zu lancieren. Und eigentlich hatte er auch fest damit gerechnet, dass das passieren würde, damals, im Sommer 2009. Der FC Concordia, bei dem er zwei Saisons lang in der Challenge League leihweise gespielt hatte, war von Präsident Stephan Glaser fallen gelassen worden. Und Baumann war überzeugt, demnächst einen neuen Profivertrag mit dem FCB zu unterzeichnen. Allein, es kam anders. «Zu Verzögerungen» sei es gekommen, sagt Baumann heute, ohne dass er dreckige Wäsche waschen mag: «Ich war auch schlecht beraten.»

Als die Verhandlungen abgebrochen wurden, stand Baumann nicht nur ohne Vertrag da, es war auch so viel Zeit verstrichen, dass er nicht einmal in der Challenge League Unterschlupf fand. Schlimmer noch, er stand mit einem laufenden Autoleasing da, das noch ein halbes Jahr lief – und mit einer Wohnung, die er in Erwartung des neuen Kontrakts gemietet hatte. «Ich habe mich verspekuliert», sagt Baumann offen, «ohne Verein und regelmässiges Einkommen dazustehen – das wünsche ich keinem anderen Fussballer.»

«Ich wusste doch, dass ich es kann»

Der talentierte Junge, der in seiner Anfangszeit bei den FCB-Profis wegen seiner wilden Haare von Benjamin Huggel auch mal neckend gefragt wurde, wo denn sein Surfbrett sei, lernte auf einen Schlag die Schattenseiten des Lebens kennen: «Wenn du mal finanziell in der Klemme steckst, ist es verdammt schwierig, da wieder rauszukommen.» Aber Baumann gelang es. Mit Hilfe seiner Familie, seiner Freundin und seiner Freunde: «Ohne sie hätte ich wahrscheinlich alles aufgegeben.»

Mit der Rückendeckung seines Umfelds aber entschloss sich Baumann zu kämpfen: «Ich wusste doch, dass ich Fussballspielen kann.» Rund ein halbes Jahr lang lebte er vom Arbeitslosengeld. Und er erhielt Hilfe von Patrick Rahmen, dem Coach der Basler U21, der ihn beim FCB Nachwuchs mittrainieren liess. «Dafür werde ich ihm immer dankbar sein», sagt Baumann.

Danach nahm er Stufe für Stufe, um sein Ziel Super League zu erreichen. Erst bot ihm der FC Solothurn die Chance, noch vor der Winterpause in der 1. Liga zu spielen. Dann wechselte er in der Winterpause zum SC Kriens in die Challenge League, mit dem er im Cup-Halbfinal dem FCB 0:1 unterlag. Und als die Saison beendet war, die in der Arbeitslosigkeit begonnen hatte, stand für ihn fest, dass es an der Zeit war, in die Super League zu wechseln oder zumindest zu einem ambitionierten Verein der Challenge League.

Also stellte er eine DVD samt Bewerbungsdossier zusammen und verschickte es an die zehn Clubs der Super League und vier Topvereine der Challenge League. Aus der obersten Liga bekam er keine Antwort: «Aber Servette hat mich sofort genommen.» Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass in Genf der nicht für konventionelle Methoden bekannte Präsident Majid Pishyar auch die Transfers tätigte. Bei einem traditionellen Sportchef wäre Baumanns Blindbewerbung möglicherweise im Rundordner, vulgo Papierkorb, gelandet.

So aber heuerte Baumann bei Servette an, verlor ein weiteres Mal im Cup gegen den FCB, diesmal im Penaltyschiessen im Achtelfinal, und errang schliesslich in der Barrage gegen die AC Bellinzona seinen Platz in der Super League. Und das nicht irgendwie: Baumann traf im entscheidenden Rückspiel zweimal mit dem Kopf – nur um das Feld vorzeitig verlassen zu müssen, weil er sich beim Torjubel verletzt hatte.

Vor zwei Jahren eigentlich schon durch die Maschen gefallen, ist Baumann heute also dort, wo er immer schon hin wollte: in der Super League. Und war Anfang der Saison noch erwartet worden, dass Servette mit dem stets etwas mysteriösen Pishyar für die eine oder andere Turbulenz gut sein müsste, füllen die anderen Westschweizer Clubs die Zeitungsspalten. Die Genfer dagegen stehen auf Rang drei, zwei Punkte vor dem FCB.

Kein Verein wie jeder andere

Nicht, dass bei Servette deswegen alles so liefe, wie bei jedem anderen normalen Profiverein. In der Sommerpause zum Beispiel kam es zu langen Verzögerungen, als es darum ging, die auslaufenden Verträge mit Cheftrainer Joao Alves und vielen Spielern zu verlängern. Auch Baumann war unter jenen, bei denen sich die Verhandlungen in die Länge zogen, weil er sich nach dem Aufstieg durchaus eine Lohnerhöhung vorstellen konnte, während Pishyar keiner ist, der gerne mit Geld um sich wirft.

Genau das aber, denkt Baumann, sei ein Vorteil für den Club aus der Westschweiz: «Alle Spieler sind hier, weil sie sich mit Servette verbunden fühlen – nicht wegen des Geldes allein. Das bringt einen unglaublichen Zusammenhalt.» Den soll heute auch der FCB zu spüren bekommen. «Es ist an der Zeit», sagt Patrik Baumann, «dass ich nach zwei verlorenen Cup-Partien mal gegen Basel gewinne.»

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