Presseschau

Schweizer Illustrierte vom 03.10.2011

Die Wiege des Erfolgs

Text ILONA SCHERER Fotos CHRISTIAN GRUND

Auf diesem Rasen begann eine grosse Karriere: Nati-Star XHERDAN SHAQIRI, 19, besucht seine «alte Liebe», den Sportverein Augst. Und erzählt von der anderen Seite des Lebens.

Auf einmal ist es, als würde die Zeit stillstehen auf dem Sportplatz Hausmatt in Augst BL. Platzwart Werner Meier, seit 16 Jahren im Dienst, lässt den Markierungswagen stehen und schreitet über den Rasen in Richtung Klubhaus, um den berühmten Gast willkommen zu heissen. Seine Frau Claudia kommt die Treppe vom Beizli herunter, streckt die Hand aus zum Gruss – und wird von Xherdan Shaqiri herzlich umarmt. «Es ist schön, hierher zurückzukehren», sagt der Star der Fussball-Nationalmannschaft und des FC Basel. An der Wand im urchigen Restaurant hängt ein FCB-Trikot mit der Nummer 17 und einer Widmung: «Für SV Augst – Xherdan Shaqiri». Darüber ein Teambild. Der Junge vorne in der Mitte hält einen Pokal: Natürlich ist es Xherdan. Von 1995 bis 2001 war er hier Junior. Er ist der erfolgreichste Spieler der Vereinsgeschichte und wird auf der Hausmatt bis heute verehrt. «Der SV Augst ist meine alte Liebe, mein Stammverein», sagt der Mittelfeldspieler.

Draussen auf der Veranda sass sein Vater Isen jeweils und beobachtete die Spiele des jüngsten seiner drei Söhne. «Aber er war keiner, der ständig etwas aufs Feld schrie», erinnert sich Xherdan, «Bemerkungen zu meiner Leistung machte er, wenn überhaupt, nur daheim.» Wie oft beobachtet er heute Väter von Buben, die sich am Spielfeldrand wie Trainer aufführen, und ist froh, dass es bei ihm anders war: «So was kann einen jungen Spieler kaputtmachen.»

Die Familie Shaqiri zog 1991, wenige Monate nach Xherdans Geburt, aus Gjilan im südöstlichen Kosovo nach Augst. Drei Minuten vom Fussballplatz entfernt wohnte sie in einem alten Bauernhaus an der Hauptstrasse. Geheizt wurde mit Holz. Als der Vater seinen Job als Bauarbeiter verlor, verdiente Mutter Fatmire als Reinigungskraft etwas Geld zur Sozialhilfe. Nach einem Jahr hielten die Söhne die Familie mit ihrem Lehrlingslohn über Wasser.

Xherdan spielte schon früh leidenschaftlich Fussball. Ein Poster von Ronaldo – «der mit der Zahnlücke» – hing in seinem Kinderzimmer, das er mit den Brüdern teilte. Er war ein guter Schüler und in seiner Klasse der einzige Ausländer. «So lernte ich schnell Schweizerdeutsch und nahm auch die Schweizer Kultur auf», erinnert er sich. Vor rund acht Jahren bekam er den Schweizer Pass. In eine Auswahl schaffte er es aber erst mit 17. «Andere wurden sehr gepusht, kamen in allerlei Förder-Programme des Verbands. Ich nicht. Trotzdem habe ich es geschafft. Es gibt auch andere Wege zum Glück», sagt er. «Ich denke, gewisse Leute bereuen es heute, dass sie mich nicht früher berücksichtigt haben.»

Mittlerweile leben die Shaqiris im benachbarten Kaiseraugst AG in einer grossen Wohnung. Aber nur bis im nächsten Frühling: Dann ist der Neubau fertig, in dem Xherdan zwei Wohnungen gekauft hat. Auf der einen Seite des Gangs wohnen dann die Eltern mit Nachzüglerin Medina, 11. Auf der andern Seite der FCBStar mit seinen Brüdern Arianit, 22, und Erdin, 21, der auch sein Manager ist. «Unsere Eltern haben uns grossgezogen, nun bekommen sie etwas zurück», sagt der Fussballstar. Respekt vor den Eltern ist ihm heilig. Nur einmal hat er sich ihrem Willen widersetzt: Als er im Sommer 2010 seine Lehre zum Kleiderverkäufer bei Herren Globus nach anderthalb Jahren abbrach, um Profi zu werden. Bereut hat er es nie.

Seit zehn Jahren trägt Shaqiri nun Rot-Blau. Dabei wollte er seinerzeit eigentlich gar nicht zum FC Basel wechseln! In einem Hallenturnier im Aargau hatte Xherdan mit seinem SV Augst gegen den grossen FC Basel 3:4 verloren – aber alle drei Augster Tore erzielt. FCB-Trainer Roland Stirnimann sprach Xherdans Vater an. «Aber ich protestierte, weil ich nicht nach Basel wollte. Meine Eltern hatten keinen Fahrausweis. Ich wusste ja nicht, wie ich von Augst ins Training kommen sollte. Und ich wollte auch nicht weg von meinen Kollegen.» Vater Isen gelang es schliesslich, ihn zum Wechsel zu bewegen, und er begleitete ihn in den ersten Wochen jeweils im Bus nach Basel.

Und heute ist dieses 1,69 Meter kleine Riesentalent der Stolz, ja der Hoffnungsträger einer Nation im Kampf ums Ticket für die EM 2012 in Polen und der Ukraine. Shaqiri zeigt sich unbeeindruckt: «Ich weiss, wies auf der andern Seite des Lebens aussieht. Deshalb bleibe ich auf dem Boden.» Nach Exploits wie seinem Hattrick gegen Bulgarien erhält er unzählige Gratulations-SMS. «Aber ich weiss schon, wer eine Antwort verdient und wer nicht.» Sein Leben hat sich kaum verändert. Und in den Ausgang geht er sowieso selten, seitdem er eine Freundin hat.

Der Bulgarien-Match könnte jedoch ein Nachspiel haben. Nach dem zweiten Tor hatte er das Trikot ausgezogen: ein «Vergehen», das der Schiedsrichter mit einer Gelben Karte bestrafen muss. Shaqiri wusste das zwar, «aber es war mir in dem Moment egal. Emotionen kann man nicht steuern.» Wenn er nun im vorletzten EM-Qualispiel in Wales am 7. Oktober erneut verwarnt wird, ist er bei der Finalissima am 11. Oktober in Basel gegen Montenegro gesperrt, wo es um alles oder nichts gehen könnte! Sorgen macht er sich deswegen nicht: «Ich werde mir gegen Wales keine Gelbe Karte holen », sagt er bestimmt. Dass ihm dies gelingt, daran zweifelt auf der Augster Hausmatt niemand.

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