Presseschau

Der Sonntag vom 09.10.2011

«Es braucht mehr Einigkeit»

Eine Woche nach dem schwarzen Sonntag spricht erstmals der oberste Szenekenner der Kantonspolizei Basel-Stadt

Urs Wicki kommentiert Massnahmen gegen Fangewalt, spricht über die Verhältnisse in England und über kantonale und nationale Strategien.

Urs Wicki ist Verantwortlicher für die Szenekenner, die so genannten Spotters, und Chef der Fahndung bei der Kantonspolizei Basel-Stadt. Wicki ist korrekt, klar und deutlich. Zu Details der Ausschreitungen von vergangenem Sonntag im Zürcher Letzigrund, deretwegen es zum Spielabbruch kam, möchte er sich nicht äussern. Er halte sich an die Abmachung, das Vorgehen der Sicherheitsverantwortlichen in anderen Kantonen nicht zu kommentieren. Es ist ihm auch ein Anliegen, nicht als selbst ernannter Hooligan-Experte dazustehen. Allein schon deshalb nicht, weil es gar keine Probleme mit Hooligans gebe. «Es sind die Ultras, die uns Probleme machen», sagt Wicki. Diese seien zwar auch gewaltbereit, aber im Unterschied zu den Hooligans unorganisiert und sehr unberechenbar.

Herr Wicki, waren Sie erleichtert, dass die Ausschreitungen in Zürich waren?

Nein. Es ist letztlich irrelevant, wo etwas passiert. Diese Ausschreitungen sind generell einfach schlecht für die Sache. Damit erweist man dem Fussball einen Bärendienst. Es gilt, überall in der Schweiz mit allen Mitteln zu verhindern, dass so etwas passiert.

In der vergangenen Woche wurden verschiedene Massnahmen gegen Fangewalt gefordert. Darf ich Sie bitten, diese kurz zu kommentieren? Eine Forderung war Polizeipräsenz im Stadion.

Dafür fehlen im Moment in der Schweiz sowieso die rechtlichen Grundlagen. Schliesslich wäre es dann eine Frage der Kosten. Wenn die Polizei im Stadion und um das Stadion für die Sicherheit garantieren muss, ist das sicher mit einem personellen Mehraufwand verbunden.

Bewilligungspflicht von Spielen.

In Basel stellt die Polizei bereits Bewilligungen aus. Wir geben die Rahmenbedingungen vor. Diese werden eingehalten. Das beginnt beim Light-Bier und geht bis zu Sicherheitsmassnahmen, die getroffen werden müssen: Dass sich beispielsweise eine bestimmte Anzahl an Sicherheitskräften im Stadion aufhalten muss.

Nur noch Sitzplätze im Stadion.

Auch damit kann man nicht gewährleisten, dass die Leute effektiv absitzen. Und es besteht die Gefahr von Zuschauern, die umfallen und so eine Massenpanik auslösen.

Sitzplätze würden aber ermöglichen, Tickets mit nummerierten Plätzen nur gegen Vorlage eines Ausweises an die Fans zu verkaufen.

Kombitickets, die es den Fans vorschreiben, in Extrazügen anzureisen, sind sicher sinnvoll. Allerdings ist es mit einem grossen Mehraufwand verbunden, im Stadion zu kontrollieren, ob wirklich Herr Müller auf Platz vier sitzt und nicht Herr Meier.

Eine Aufstockung des Sicherheitspersonals an den Eingängen.

Wenn es darum geht, die Fans auf gefährliche Gegenstände wie Pyros zu kontrollieren, dann wäre mehr Sicherheitspersonal an den Eingängen sicher hilfreich. Allerdings ist für gründliche Eingangskontrollen nicht nur die Menge an Personal entscheidend, sondern auch die Zeit. Viele Fangruppierungen kommen erst ganz kurz vor Spielbeginn zum Stadion. Wir haben an verschiedenen Orten in der ganzen Schweiz festgestellt, dass die Fans oft bewusst so viel Druck erzeugen, dass es beinahe unmöglich wird, die Leute entsprechend zu kontrollieren.

Wie kann man gegen diesen Druck vorgehen?

Mit Hindernissen ähnlich den Stangen vor einem Skilift. Vor dem Gästesektor haben wir bereits solche Installationen.

Juristische Schnellverfahren.

Ein gutes Beispiel dafür, dass Repression auch präventiv wirken kann. Aber eine Massnahme, die es auf Nachhaltigkeit zu überprüfen gilt.

Fans, die im Stadion Pyros zünden, aus der Masse herausholen.

Das passiert bereits. Als Zuschauerin im Stadion oder im Fernsehen sehen Sie das vielleicht nicht. Man dringt aber sicher nicht sofort, nachdem eine Fackel gezündet worden ist, in die Fangruppen ein, um einzelne Täter herauszuholen. Da wäre die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt. Es bestünde die Gefahr, das Tumulte ausgelöst werden.

Das heisst, die Nulltoleranz-Forderung ist Ihrer Ansicht nach unrealistisch.

Sie ist dann realistisch, wenn wir sicher sind, dass niemand etwas reinschmuggeln kann. Zudem müssten wir das Stadion bereits Tage vorher hermetisch abriegeln, dass niemand die Möglichkeit hat, hineinzugehen und etwas zu deponieren. Wir wissen, dass gewisse Fans bereits Tage vor dem Match Depots mit Petarden erstellen.

Sie waren vor knapp zwei Wochen mit dem FCB in Manchester. Was war Ihr Eindruck von den Verhältnissen dort?

Ich konnte das ganze Spiel im Führungsraum von Manchester United verbringen. Mich hat es erstaunt, wie diszipliniert die Fans sich dort verhalten. Mir ist aufgefallen, dass es hinter den Toren keine engmaschigen Netze und keine Abgrenzungen hat. Es wäre also relativ einfach für die Zuschauer, aufs Spielfeld zu gelangen. Und: Private Sicherheitskräfte, so genannte «Orders», schreiten relativ schnell ein, wenn ein Fan zwei-, dreimal aufsteht oder durch unschöne Gesten gegenüber anderen Fans auffällt.

Eine Massnahme, die Sie vorher als unverhältnismässig kritisierten.

Ja. Aber die englischen Fans haben ein anderes Selbstverständnis. Wenn ein «Order» zu ihnen geht, dann stehen sie auf, gehen hin, hören zu.

Mehr Disziplin also.

Ja. Fairerweise muss man aber sagen, dass die Engländer vor Jahren massive Probleme hatten. Es gab Tote in verschiedenen Stadien. Das hat wohl zu einem Umdenken unter den Besuchern und zu entsprechenden Massnahmen im Sicherheitsbereich geführt.

In England hat also eine Mischung aus Eigenverantwortung und Repression zum Ziel geführt.

Ja. Aber in England ist das Problem nur in der obersten Liga gelöst. Die Gewalt hat sich in die unteren Ligen verlagert. Zu Zweit- und Drittligaspielen werden teilweise dreitausend Polizisten aufgeboten.

Muss es denn bei uns auch Tote geben, bis es wirklich keine Ausschreitungen in der Super League mehr gibt?

Wenn ich die Situation anderer Länder betrachte, muss ich diese Frage mit Ja beantworten.

Wo sehen Sie im Moment in der Schweiz am dringendsten Handlungsbedarf?

Wenn ich das wüsste, würde ich wohl nicht mit Ihnen hier sitzen. Das Problem von Fangewalt hat viele Faktoren. Dass wir in Basel seit rund zwei Jahren im Stadion keine Probleme mehr haben, darf nicht davon ablenken, dass wir jedes Wochenende in oder um andere Stadien in der Schweiz Probleme haben. Das müssen wir gemeinsam, national angehen.

Nun traf aber das Gegenteil ein. Den runden Tisch gibt es nicht mehr, die Verantwortung wurde an die Kantone abdelegiert.

Das ist auch richtig so. Die ausführenden Organe sind in den Kantonen. Die meisten Anlässe müssen wir mit unseren Verantwortlichen vor Ort und mit kantonalen Mitteln bewältigen.

ie hat sich in Basel diese kantonale Zusammenarbeit zwischen Klubs, Fanarbeit und Polizei verändert?

Im positiven Sinne. Wir sind näher zusammengerückt und haben die Schnittstellen klar definiert. Wir treffen uns alle fünf bis sechs Wochen für Gespräche. Natürlich stellen wir dabei auch fest, dass es Partikularinteressen gibt, die auseinanderdriften. Wir haben aber Grundsatzpapiere erarbeitet, an die sich die Beteiligten halten. Es gibt Arbeitsgruppen auf strategischer, operativer und planerischer Ebene.

Was hat zu diesem Zusammenrücken beigetragen?

Negative Vorfälle in der Vergangenheit, zum Beispiel die Schande von Basel und natürlich die Medienberichterstattung. Das löst Druck aus, katalysiert. Ich finde das eigentlich auch gut. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die Euro 08. Dieses Grossereignis hat die Zusammenarbeit im Kanton und über die Kantonsgrenzen hinaus gefördert.

Trotzdem haben Sie vorher nationale Lösungen gefordert.

Es braucht mehr Einigkeit darin, wie man Fehlverhalten ahndet. Wenn im Stadion A etwas so durchgeführt wird und im Stadion B komplett anders, weil dort die Mittel fehlen oder die Ansichten unterschiedlich sind, ist das für die Gewalttäter im Sport zuträglich. Sie wissen, wo sie sich was leisten können. Das finde ich schlecht.

Was hoffen Sie persönlich, wie es weitergeht im Schweizer Fussball?

Ich hoffe, dass es gelingt, die Mehrheit der Gesellschaft in die Verantwortung zu ziehen. Dass allen bewusst wird: Wenn wir so weitermachen, ist kein Ende der Gewalt in Sicht. Noch gibt es nach jedem Vorfall eine Welle der öffentlichen Empörung. Das ist wichtig. Und richtig.

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