Basler Zeitung vom 03.11.2011
FCB-Legende Kurt Thalmann hat etwas zu erzählen – nicht nur, weil er heute seinen 80. Geburtstag feiert
Von Andreas W. Schmid
Basel. Unlängst war Kurt Thalmann auf Telebasel zu Gast. Die FCB-Legende wollte seine Anekdoten zum Besten geben, wurde vom Moderator jedoch immer wieder unterbrochen und zu guter Letzt ganz abgeklemmt. «Eine Frechheit», findet er. Mit seiner Meinung war er nicht allein, wie die Solidaritätsbekundungen zeigten, die er erhielt. «Dabei habe ich doch etwas zu erzählen.» Das finden wir auch – und lassen Thalmann zu seinem runden Geburtstag ungebremst zu Wort kommen:
«Und jetzt bin ich also 80. Meine Tochter hat mich gefragt: Paps, was wünschst du dir zum Geburtstag? Nichts, habe ich gesagt, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Das stimmt wirklich. Mir selber gehts gut. Ich habe eine schöne Rente, auch weil ich nie etwas aus der Pensionskasse nahm. Gesundheitlich ist ebenfalls alles tipptopp. Ich war gerade wieder beim Arzt und habe mich durchchecken lassen. Er war sehr zufrieden mit meinen Werten. Ich habe nie geraucht. Und ich esse jeden Tag Obst, Äpfel, Bananen, Trauben. Bier trinke ich auch nicht.
Ich bin ein aufgestellter, positiver Mensch. Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb es mir so gut geht. Sonst hätte ich die schlimmen Phasen, die es auch in meinem Leben gab, nicht einfach so weggesteckt. Einmal war ich wirklich am Boden: 18 Jahre habe ich für Fust gearbeitet, war dort Geschäftsführer, dann wurde ich vom einen auf den anderen Tag entlassen. Das war ein Schock für mich. Mit 57 auf der Strasse zu stehen, ist nicht einfach. Doch beim Sport habe ich gelernt, mich immer wieder aufzurappeln. Er ist eine Lebensschule, von ihm habe ich mir auch den Durchhaltewillen erworben.
Aber damals, bei meiner Entlassung, wusste ich wirklich nicht mehr weiter.Das haben zwei Sportskollegen, Ruedi Beyer und Bruno Schmid, mitbekommen. ‹Es kann doch nicht sein, dass du stempeln gehst›, sagten sie und haben dafür gesorgt, dass ich bei der Credit Suisse unterkam. Das war wie Weihnachten. Schon von klein auf habe ich im Leben nichts geschenkt bekommen. Mein Vater starb an Lungenkrebs, da war ich zehn Jahre alt. Auch im Berufsleben und auf dem Fussballplatz musste ich mir immer alles hart erarbeiten. Bei Peter Redolfi war es genauso. Wir beide haben nie gross kassiert, sondern es war uns eine Ehre, für Rotblau zu spielen. Ob Zufall oder nicht – wir sind die beiden Einzigen aus der Meistermannschaft von 1953, die heute noch leben.
Es waren wunderbare Jahre bis zu meiner Pensionierung bei der Credit Suisse. Ich arbeitete im Sicherheitsdienst und am Empfang – ein Traumjob für mich, weil ich es mit den Leuten so gut kann. Heute muss ich mir eingestehen: Im Nachhinein war es mein Glück, dass ich damals entlassen wurde. Hätte ich weitergemacht, wäre ich auf dem Friedhof Hörnli gelandet. Der Druck war sehr gross. Ich ging regelmässig am Wochenende arbeiten. Einmal holte ich am Sonntagmorgen im Laden die Post. Als ich diesen wieder verlassen wollte, stand die Polizei draussen. Sie war von Nachbarn gerufen worden, die aus dem Ladeninnern verdächtige Geräusche gehört hatten. Ich bin dann doch nicht in der Kiste gelandet, stattdessen durfte ich mit den besten Wünschen der Polizisten nach Hause gehen. Die wussten sofort, wer ich bin. ‹Sie sind doch der FCB-Thalmann! Nichts für ungut.›
Auch heute kennen mich noch viele. Jedes Mal werde ich in der Stadt von irgendjemandem angesprochen. Natürlich hat das auch mit dem Fussball zu tun. Ich gehe täglich Kommissionen machen, um meine Frau Suzanne zu entlasten. Mit ihr bin ich seit 1953 verheiratet. Als ich sie kennenlernte, sah ich aus wie James Dean. Seit 30 Jahren wohnen wir im Kleinbasel. Wenn möglich, gehe ich noch immer an alle FCB-Heimspiele im Joggeli.
Der FCB ist ein guter, gesunder Verein. Und sehr professionell. Früher hatten wir eine andere Spielvorbereitung. Einmal, da kickte ich für Congeli, war ich vor der Partie noch bei meiner Tante mittagessen. Dabei tischte sie mir Rollmops auf. Während des Spiels habe ich erst ein wunderschönes Tor erzielt und mich dann des Rollmopses entledigt.
Ich bin stolz, dass ich heute so ein gutes Verhältnis zum FCB habe. Das war nicht immer so. Nachdem ich hier vier Jahre gespielt hatte und Meister geworden war, erhielt ich von Cantonal Neuenburg ein Angebot. Ich wusste erst gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Doch meine Frau drängte darauf, dass ich das annehme. Sie hatte keine Freude am FCB. ‹Die schätzen viel zu wenig, was du für sie leistest.› Wie sehr sie recht damit hatte, zeigte sich, als ich wechseln wollte. Früher musstest du dafür den Segen deines Clubs haben. Der FCB legte sich quer und liess mich eiskalt ein Jahr lang sperren. Ich bin trotzdem zu Cantonal gegangen. Die haben zu ihren Spielern geschaut, ich erhielt dort einen Job beim Gaswerk.
Einer meiner Mannschaftskollegen war Gilbert Facchinetti, der spätere Grandseigneur bei Neuchâtel Xamax. Himmeltraurig, was dort mit dem Tschetschenen … diesem Tschagajew gerade passiert. Da können wir in Basel richtig froh darüber sein, wie gut zum FCB geschaut wird. Der Bernhard Heusler macht einen grossen Job. Er hat recht gehabt, dass er Fink vor die Wahl stellte: Entweder du bleibst bei uns, oder du gehst gleich. Dass Fink sich für die zweite Variante entschied, war klar. Der HSV ist im deutschen Fussball trotz allen Problemen eine gute Adresse. Der reisst dort sicher etwas. Das sage ich, obwohl ich kein Fink-Freund war. Jetzt haben wir Vogel, und das ist gut so.
Mein Trainer beim FCB war früher der Ernst ‹Ente› Hufschmid. Ich kann mich gut an ein Spiel erinnern, als meine Frau in den Wehen lag. Ich habe dem Coach gesagt: ‹Du, ich fühle mich hundemüde, ich musste heute Nacht meine Frau ins Spital bringen und konnte nicht mehr schlafen. Ich verzichte auf die Reise nach Zürich zum FCZ.› Hufschmid winkte sofort ab: ‹Nichts da, du kommst mit!› Ich habe dann in Zürich gegen einen Spieler gespielt, der hiess Bello. Der hat mir während der Partie einen Tritt in den Hintern verpasst. Das war sein letztes Spiel, nachher habe ich nie mehr was von ihm gehört. In der zweiten Halbzeit rannte der FCB-Sekretär während der Partie aufs Spielfeld und winkte mit dem Telegramm. ‹Kurt›, schrie er, ‹es ist ein Knabe, es ist eine Knabe!›
Nie vergessen werde ich die Spiele gegen Hannes Schmidhauser, den Schauspieler. Er hat fliessend fünf Sprachen gesprochen und spielte bei GC. Ich war ja ein sehr schneller Flügel, der die Gegenspieler reihenweise vernarrte. Aber Schmidhauser hatte mich immer Griff. Einmal war ich so entnervt, da habe ich ihm auf dem Spielfeld gesagt: ‹Als Ueli, der Knecht, bisch guet, aber schutte kasch nid.› Sogar da hat er die Contenance behalten und nur gelacht.
Mit Peter Redolfi telefoniere ich hin und wieder, zum Beispiel, wenn einer von uns Geburtstag hat. Er ist ein lieber Kerl. Gegen Jacky Fatton hatte er jedoch immer Probleme. Da gab es jedes Mal ein Gegentor. Gegen Servette stand es nach 90 Minuten 3:3, als Fatton in der Verlängerung noch für das 4:3 sorgte. ‹Weisch no, dr Fatton gegen Servette?›, foppe ich Redolfi manchmal. ‹Ja, ja›, sagt er dann.
Ich denke, wir werden an meinem Geburtstag wieder miteinander telefonieren. Ich habe zur Feier einen Tisch im ‹Kaffi zum König› im Clarashopping reserviert. Dort bin ich zweimal in der Woche morgens anzutreffen. Eingeladen habe ich meine Familie. Es gibt Filet. Das kostet etwas, ist es mir aber wert. Ich habe vier Kinder, drei Enkel und nun seit ein paar Tagen auch noch einen Urenkel. Amon heisst er. Amon Allemann. Es wäre ein schöner Zufall gewesen, wenn er genau am 3. November auf die Welt gekommen wäre. Doch er konnte ja nicht warten und streckte seinen Kopf schon früher raus. Er hat ja auch recht: Das Leben auf dieser Welt ist trotz allen Sorgen, die jeder zwischendurch mal hat, wunderschön.»