Basler Zeitung vom 07.12.2011
2002 war Liverpool, was heute Manchester United sein könnte: Der Gegner, durch den die Basler zu Helden werden
Von Oliver Gut
Basel. Die Bilder sind dem Fan des FC Basel präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Ein voller Barfüsserplatz zur Geisterstunde, oben auf dem Balkon die FCB-Spieler, die sich von der euphorischen Menge feiern lassen. Nicht geplant, sondern spontan. Mit einem 3:3 hat der FCB zuvor den grossen englischen Traditionsclub FC Liverpool im heimischen St.-Jakob-Park in Schach gehalten und damit als erste Schweizer Mannschaft überhaupt die Gruppenphase der Champions League überstanden. Was danach in der Basler Innenstadt folgte, ist einer der späten Höhepunkte einer magischen Nacht.
Eine «Night to Remember» hatte FCB-Trainer Christian Gross versprochen, die Spieler mit dem gleichnamigen Bryan-Adams-Song eingestimmt – und eine Nacht, an die man sich neun Jahre später noch erinnert, wird es an jenem 12. November 2002. Der FCB überrollt die Briten in der ersten halben Stunde und führt zur Pause 3:0. Das Staunen ist gross – bei Liverpool und beim rotblauen Anhang, der sich wie in einem Traum vorkommt.
Die Stärkeverhältnisse werden danach zurechtgerückt. Das nötige Remis jedoch, das erreicht die Mannschaft des Gastgebers, sodass die BaZ danach beim Titel auf ihrer Front die verbotene Taste mit dem Ausrufezeichen drückt: «FCB einfach nur noch sensationell!» Niemand in der Schweiz, der dem widerspricht: Selbst in den Bars von Zürich haben sie mitgefiebert und auf den Rivalen vom Rhein angestossen.
Die Yakins und die Argentinier
Und was für eine wunderbare Elf das war, in dieser ersten Basler Champions-League-Kampagne: Murat und Hakan Yakin, die überragenden Schweizer Spieler jener Zeit. Dazu ein Cantaluppi, den viele gerne anstelle von Johann Vogel im Nationalteam gesehen hätten. Mit Goalie Zuberbühler, Zwyssig, Esposito und Haas weitere aktuelle oder ehemalige Schweizer Internationale. Das argentinische Sturmduo Gimenez/Rossi, das in der NLA konkurrenzlos war. Dazu die Juwelen Ergic und Atouba.
Neun Jahre später empfängt der FC Basel wieder einen englischen Giganten zum letzten Spiel der Champions-League-Gruppenphase. Wieder bilden aktuelle und ehemalige Schweizer Nationalspieler das Gerüst, wieder stimmt die Mischung zwischen Jung und Alt. Gewechselt haben nur die Positionen: Fanden sich damals die Ausländer im Sturm, spielen sie heute in der Verteidigung, während vorne Alex Frei und Marco Streller das beste Duo der Liga bilden. Wieder können die Basler Geschichte schreiben, wieder können sie mit einer einzigen Partie weltbekannt werden. Ja, Manchester United 2011 könnte sein, was der FC Liverpool 2002 war: der Gegner, durch den die FCB-Spieler zu Helden werden.
Die Parallelen fallen auf, alles ist aber nicht gleich: Der St.-Jakob-Park ist grösser, 29 534 Besucher fanden damals Platz, heute werden es 36 000 sein. Anstelle einer Poule in der Zwischenrunde würden die Achtelfinals folgen. Anders auch die Ausgangslage: Der FCB braucht einen Sieg. Und das gegen einen Club, der sich nur bedingt mit Liverpool 2002 vergleichen lässt. Waren die «Reds» erst auf dem Weg, ein europäischer Topclub zu werden, so treten die «Red Devils» als Champions-League-Sieger 2008 und letztjähriger Finalist an.
Die Schere und die Euphorie
Weiter aufgegangen ist auch die Schere zwischen den Reichsten und dem Schweizer Meister: Liverpool stieg mit einem Budget von 240 Millionen Franken in die Saison, die United erzielt aktuell einen Umsatz von rund einer halben Milliarde Franken. Beim FCB betrug 2002 das Basisbudget 30 Millionen Franken – diese Zahl ist geblieben. Vergrössert haben sich nur die potenziellen Einnahmen im Europacup.
Etwas kleiner ist dafür die Euphorie. 2002 war alles neu, drei Champions-League-Teilnahmen später wirkt vieles nüchterner. Man hat sich so sehr an den FCB in Europa gewöhnt, dass vielen nicht mehr bewusst scheint, wie ungewöhnlich es wäre, die Basler gingen heute als Sieger vom Platz. Doch wer weiss? Es sind ja noch ein paar Stunden – und der Barfi wäre nicht weit.
BaZ-Originaltelegramm am Tag danach (13.11.2002)
Stadion: St.-Jakob-Park. – 29 534 Zuschauer (ausverkauft).
Schiedsrichter: Colombo (Fr).
Einwechslungen: Basel: 66. Barberis für Gimenez. 76. Tum für Rossi. 90. Koumantarakis für Hakan Yakin. – Nicht eingesetzt: Rapo (ET), Duruz, Varela, Quennoz. – Liverpool: 46. Diao für Gerrard. 61. Baros für Heskey (danach mit zwei klassischen Stürmern und dem Mittelfeld in Rhombus-Anordnung). 79. Diouf für Carragher. – Rhombus-Anordnung). 79. Diouf für Carragher. – Nicht eingesetzt: Kirkland (ET), Babbel, Biscan, Cheyrou.
Verwarnungen: 40. Esposito (Foul/im nächsten Spiel gesperrt). 64. Smicer (Unsportlichkeit), 70. Murphy (Unsportlichkeit).
Bemerkungen: Basel ohne Chipperfield, Huggel, Degen, Milicevic, Savic (alle überzählig); Liverpool ohne Henchoz, Abel Xavier (beide verletzt).
2. Minute: Rossi 1:0. 90 Sekunden sind gespielt, da führt der FCB: Esposito spielt Hakan Yakin steil an, dessen präzisen Querpass verwertet Rossi.
11. Minute: Heskey schiesst zur Überraschung Zuberbühlers, der spät, aber nicht zu spät reagiert und den Ball an die Querlatte lenkt.
22. Minute: Gimenez 2:0. Rossi passt zu Hakan Yakin, der direkt und gut getimt auf Gimenez spielt, der flach einschiesst.
29. Minute: Atouba 3:0. Einen Freistoss Hakan Yakins kann Dudek nur abklatschen, Atouba verwertet den Nachschuss im spitzen Winkel.
60. Minute: Gimenez vergibt nach einem Solo die Chance zur Entscheidung.
61. Minute: Murphy 3:1. Smicer passt quer, Murphy trifft trocken in die linke untere Torecke.
64. Minute: Smicer 3:2. Der FCB wird anfälliger auf die tiefen Anspiele in den Strafraum, Smicer nützts aus.
85. Minute: Owen 3:3. Owen schlägt einen Haken, Murat Yakin berührt den Ball am Boden liegend. Den Handspenalty Owens pariert Zuberbühler, doch der Stürmer trifft im Nachschuss.
Die Protagonisten blicken zurück
Murat Yakin. FCB-Abwehrchef von 2000 bis 2006, ab 2001 Captain: «Ein Wahnsinnstag. Einfach unvergesslich. Wir führen zur Halbzeit mit 3:0 und sind praktisch schon in der nächsten Runde. Und dann hatten wir diese unheimliche zweite Hälfte, als nichts mehr zusammengepasst hat, was vorher funktionierte. Der FC Basel, Ausgabe 2011, kann das gegen Manchester United auch schaffen. Ich werde sicher im St.-Jakob-Park mitfiebern. »
Mario Cantaluppi. FCB-Mittelfeldstratege von 1993 bis 1996 und 1998 bis 2004: «Ich hatte nur einmal Angst in meinem Leben: damals, in der Endphase gegen Liverpool, als es 3:3 stand. Zum Glück ging alles gut und heute muss ich sagen: Es war die Partie unseres Lebens. Dass wir in den ersten 30 Minuten so druckvoll spielten, war nur logisch: Das aggressive Pressing zu Beginn zeichnete uns damals unter Christian Gross aus. Warum hätten wir gegen Liverpool vorsichtiger beginnen sollen? Wir hätten uns ja einer unserer Stärken beraubt. Unser Team war wohl die beste Schweizer Equipe der Geschichte – bis jetzt: Denn auch die aktuelle Basler Mannschaft ist gross. Was für mich aber feststeht: So, wie es damals war, wird es nie mehr sein. 100 000 Menschen in der Innenstadt beim ersten Meistertitel 2002, dann die Feier nach Liverpool… Der Hunger war riesig – und wir haben ihn innerhalb von drei, vier Jahren gestillt.»
Werner Edelmann. FCB-Präsident von 2002 bis 2006: «Ich weiss noch, dass ich Beruhigungstabletten schluckte – nicht während dem Spiel, sondern danach. Unglaublich, was in der Stadt los war! Wir waren alle überwältigt und ich, der ich erst seit Kurzem Präsident war, fand mich unverhofft auf dem Barfi inmitten einer Riesenfeier wieder. Im Restaurant Bodega tanzte ich sogar – ob auf dem Stuhl oder, wie kolportiert, auf dem Tisch, weiss ich nicht mehr so genau. Jedenfalls würde ich es meinen Nachfolgern gönnen, sie könnten eine derart unvergessliche Nacht nun auch erleben.» olg/skr
Alle FCB-Pflichtspiele gegen englische Teams
Zwei Siege. Die ersten beiden Partien gegen ein englisches Team bestritt der FC Basel Ende der 1950er-Jahre im Messestädte-Cup gegen London XI. Sie werden nicht vermerkt, weil der FCB damals von Nordstern und Concordia verstärkt wurde, so wie der Gegner ebenfalls eine Londoner Auswahl aufs Feld schickte. Die Basler verloren 0:5 und 0:1; seither hat der FC Basel 15 weitere Partien gegen englische Mannschaften bestritten. Die Bilanz bis heute: Zwei Siege, fünf Remis und acht Niederlagen. olg/skr
UI-Cup, 24.6.1995
FC Basel–Sheffield Wednesday FC 1:0
St.-Jakob. – 5200 Zuschauer. – Tor: 68. Rey 1:0.
UI-Cup, 7.8 und 21.8.2001
FC Basel–Aston Villa 1:1
St.-Jakob-Park. – 25 879 Zuschauer. – Tore: 58. Merson 0:1. 74. Gimenez 1:1.
Aston Villa–FC Basel 4:1
Villa Park. – 39 539 Zuschauer. – Tore: 30. Chipperfield 0:1. 45. Vassell 1:1. 55. Angel 2:1. 78. Angel 3:1. 84. Ginola 4:1.
Champions League, 25.9 und 12.11.2002
Liverpool–FC Basel 1:1
Anfield Road. – 37 634 Zuschauer. – Tore: 34. Baros 1:0. 43. Rossi 1:1.
FC Basel–Liverpool 3:3
St.-Jakob-Park. – 29 534 Zuschauer. – Tore: 2. Rossi 1:0. 22. Gimenez 2:0. 29. Atouba 3:0. 61. Murphy 3:1. 64. Smicer 3:2. 85. Owen 3:3. – vgl. Telegramm links daneben.
Champions League, 26.11.02/ 12.03.2003
FC Basel–Manchester United 1:3
St.-Jakob-Park. – 30 000 Zuschauer. – Tore: 1. Giménez 1:0. 62. van Nistelrooy 1:1. 63. van Nistelrooy 1:2. 68. Solskjaer 1:3.
Manchester–United 1:1
Old Trafford. – 66 600 Zuschauer. – Tore: 14. Gimenez 0:1. 53. G. Neville 1:1.
Uefa-Cup, 6.11. und 27.11.2003
FC Basel–Newcastle United 2:3
St.-Jakob-Park. – 30 000 Zuschauer. – Tore: 11. Cantaluppi 1:0. 13. Robert 1:1. 15. Chipperfield 2:1. 37. Bramble 2:2. 75. Ameobi 2:3.
Newcastle United–FC Basel 1:0
St.-James-Park. – 40 395 Zuschauer. – Tor: 14. Smiljanic 1:0 (Eigentor).
Uefa-Cup, 30.03. und 06.04.2006
FC Basel–Middlesbrough FC 2:0.
St.-Jakob-Park. – 23 639 Zuschauer. – Tore: 43. Delgado 1:0. 45. David Degen 2:0.
Middlesbrough FC–FC Basel 4:1.
Riverside. – 24 521 Zuschauer. – Tore: 33. Viduka 1:0. 23. Eduardo 1:1. 57. Viduka 2:1. 79. Hasselbaink 3:1. 90. Maccarone 4:1.
Uefa-Cup, 02.11.2006
Blackburn Rovers–FC Basel 3:0
Ewood Park. – 13 789 Zuschauer. – Tore: 75. Kerimoglu 1:0. 89. Jeffers 2:0. 90. McCarthy 3:0.
Europa League, 01.10. und 16.12.2009
Fulham FC–FC Basel 1:0
Craven Cottage. – 16 100 Zuschauer. – Tor: 57. Murphy 1:0.
FC Basel–Fulham FC 2:3
St.-Jakob-Park. – 20 063 Zuschauer. – Tore: 42. Zamora 0:1. 45. Zamora 0:2. 64. Alex Frei 1:2. 77. Gera 1:3. 87. Streller 2:3.
Champions League, 24.09.2011
Manchester United–FC Basel 3:3
Old Trafford. – 73 115 Zuschauer. – Tore: 16. Welbeck 1:0. 17.Welbeck 2:0. 58. Fabian Frei 2:1. 60. Alex Frei 2:2. 76. Alex Frei 2:3. 90. Young 3:3.