Presseschau

NZZ am Sonntag vom 18.12.2011

Im Schatten der Skandale

Fan-Gewalt, Bulat Tschagajew, der FC Sion: Schwierige Themen dominierten die Vorrunde der Super League. Was sonst noch war? Zum Beispiel ein Vogel, den alle lieben, und einer, der auf sein Comeback brennt

FC Basel: Willkommen im Kurzzeitgedächtnis

Thorsten Fink! Thorsten Fink! Thorsten Fink! Der deutsche Trainer brachte eine neue Fröhlichkeit und alte Erfolge mit, als er 2009 den FC Basel übernahm. Begeisterung allenthalben. Und so kam's, dass die Stadt heulte wie ein Wasserfall und der Rhein gefüllt war mit Tränen, als Fink im Oktober gen Hamburg zog. Als er sich vom Team verabschiedete, seien wenige Augen trocken geblieben, sagte der Captain Marco Streller – denn die Spieler hatten Fink ganz doll lieb gewonnen. Doch wie gut, hatte er nicht nur die Fröhlichkeit, sondern auch Heiko Vogel mitgebracht. Vogel sprang ein, und weil der Assistent ebenfalls fröhlich und erfolgreich ist, haben die Spieler auch ihn ganz doll lieb. Nun heisst es: Heiko Vogel! Heiko Vogel! Heiko Vogel!

Thorsten Fink? Wie bitte? War da was? Und was? Vor Fink soll's einen anderen gegeben haben? Zehn Jahre lang? Wie soll der geheissen haben? Christian Gross? Schon mal gehört?

Willkommen im Kurzzeitgedächtnis des Fussballs. (bsn.)

FC Luzern: Posse um den Präsidenten

Es war nicht die feine Art. «Stierli usschaffe!», schrieb ein Jugendlicher auf Facebook und gab damit seinem Zorn über den Umgang des FC-Luzern-Präsidenten mit den Fans Ausdruck. Bedauerlicherweise hatte der junge Mann nicht mit dem Eifer der Medienabteilung des FCL gerechnet. Ein Mitarbeiter derselben entdeckte nämlich den Eintrag und handelte mutig. Da der Jugendliche im SK Root Fussball spielt, informierte er den Präsidenten des Vereins über das Treiben und kündigte gleich noch die Zusammenarbeit mit dem Klub auf. Schluss mit Freundschaftsspielen, fertig mit Autogrammstunden. Als dann die Medien das Thema aufgriffen, begann dem FCL zu schwanen, dass er möglicherweise überreagiert hatte. Also grosse Versöhnung inklusive dem Überreichen diverser FCL-Fanartikel an den SK-Root-Präsidenten. Was man daraus lernt? Nie auf Facebook schimpfen! Und dass die Luzerner Medienabteilung viel Zeit hat zum Surfen im Internet. (cen.)

FC Sion: Langweile im Rechtsstreit

Der Sittener Captain Goran Obradovic stand ratlos in den Katakomben des Tourbillon-Stadions. Er hatte vor dem ersten Meisterschaftsspiel gegen den FCZ beim Schiedsrichter einen Protest hinterlegt; jetzt war er erneut auf dem Weg in die Kabine des Referees, um den Einspruch wieder zurückzuziehen. Er sagte: «Ich habe keine Ahnung, was ich da mache. Aber ich tue, was mir der Verein sagt.» Und der Verein sagte: Protestieren, was das Zeug hält, auf allen Ebenen, bei Kantons- und Bezirksgerichten, im Wallis, im Kanton Waadt, beim Sportschiedsgericht, bei der Liga, beim Schiedsrichter. Und das alles nur, weil der Präsident Christian Constantin nicht einsehen wollte, dass er im Unrecht war, als er im Sommer unerlaubterweise sechs Spieler verpflichtete. An diesem Sommertag im Wallis verstand Obradovic nicht, was eigentlich los war. Inzwischen weiss es niemand mehr. Und noch schlimmer: Es beginnt die Leute zu langweilen. (fcl.)

Young Boys: Niederlage im Duell der Gebeutelten

«Die Penaltys waren alle nicht gut geschossen» – so spricht ein Goalie im Triumph. Er heisst Christian Leite und spielt im FC Winterthur. Bei den Elfmeterschützen handelt es sich um Farnerud, Raimondi und Nuzzolo – diejenigen YB-Spieler, die ihren Penalty im Cup gegen den Challenge-League-Verein nicht im Tor unterbrachten. Man wagt es kaum zu sagen: Farnerud verschoss sogar zweimal, da der Schiedsrichter den Elfmeter wiederholen liess. Das Cup-Spiel Ende November war ein Treffen der Verzagten gewesen; die Berner in sicherer Entfernung zur Spitze, die Winterthurer ohne Anschluss an die neue Zehner-Challenge-League. Statt sich am Kleinen aufzurichten, landeten die Young Boys nur tiefer in die Krise. Manchmal läuft eben nicht alles nach Plan. Und in Bern kursieren T-Shirts mit dem Aufdruck: «Ilja un Gros(s) problème.» (cen.)

Xamax: Beklemmender Tonausfall

Vor dem Saisonstart legt ein Technik-Absturz in Neuenburg kurz die Maladière lahm – wie ein Vorbote. Vor einer Handvoll Anhänger wird im Stadion das neue Team vorgestellt. Zu Beginn der Präsentation stehen zwei Xamax-Torhüter auf dem Platz. Doch dann fällt der Ton aus. Pause. Etwas verloren stehen die zwei da, schauen um sich, wissen nicht, was zu tun ist. Lächeln? Winken? Schreien? Peinlich. Als nach langen Minuten der Ton wieder da ist, reihen sich die restlichen Spieler auf, dazu der Trainer (Wie hiess er?), die Trainerassistenten und sogar der Statthalter des Klubeigentümers Tschagajew. Einige Gesichter sind nur Wochen später wieder weg. Es geht drunter und drüber, Personal wird im Akkord ausgewechselt, man müsste fast wöchentlich eine Präsentation ins Auge fassen. Xamax rast auf die Wand zu. So scheint es zumindest. Doch am Anfang war der Tonausfall. Befreit davon bleiben letztlich nur die ansprechenden Leistungen auf dem Rasen. (bir.)

Servette: Schneller Abgang des «Anti-Mourinho»

Es passt, dass sich der 59-jährige Trainer João Alves ein paar Tage vor Weihnachten am Telefon «von einem Bauernhof» meldet. Alves wurde Ende November nach der 0:3-Cup-Niederlage in Biel als Servette-Trainer entlassen. Zurzeit macht er im Alentejo, im Süden Portugals, Ferien. Anfang Jahr kehrt er nach Genf zurück, wo er lebt. Die Servette-Spieler nannten Alves «notre Papi». Er führte die Genfer in die Super League und galt als «Anti-Mourinho», als Original. Alves spricht nicht geschliffen, wenn er die buschigen Augenbrauen hochzieht. Er hat etwas Bäurisches, Brummiges, wenn er am Spielfeldrand steht, die Arme verwirft, die Hosen ein Stück weiter hochzieht und später mit hinkendem Gang von dannen zieht. Majid Pishyar, der Servette-Chef, wollte Alves nicht mehr. Konfliktpotenzial deutete sich bereits an, als Pishyar nach der Promotion den Vertrag mit Alves erst unter Druck bis 2013 verlängerte. «Obrigado» («Danke») stand auf einem Transparent im Stade de Genève, als «Papi» plötzlich nicht mehr da war. Ohne João Alves ist die Liga etwas ärmer geworden. (bir.)

FC Thun: Ausflug in die Märchenwelt

Der FC Thun erlebte die Rückkehr des Jahres. Denn im Berner Oberland tauchte ein Spieler auf, von dem kaum jemand wusste, ob es ihn noch gibt.

Doch plötzlich war Saif Ghezal da, fast so verblüffend, wie er einst verschwunden war. 2009 hatte der Tunesier für YB verteidigt, ehe er sich kurz vor Weihnachten aus dem Staub machte in Richtung Wüstensand – wegen eines Unfalls und eines Todesfalls, was beides einer Fata Morgana in Ghezals Phantasie entsprach, wie sich später erwies. Aber Thun scheute sich nicht vor einem Märchen aus 1001 Nacht, gab Ghezal einen Zweijahresvertrag – und wartete, bis er auftauchte, um zu tun, was vereinbart war: Fussball spielen. Thun wartete. Und wartete. Und wartete. Bis Ghezal eines Augusttages dastand, in Fleisch und Blut.

Dumm für die Thuner, gibt es eine Winterpause. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass sie Anfang Januar, wenn Trainingsstart ist, warten müssen. Und warten. Und warten. Und warten. Und einfach aufatmen, wenn er schliesslich doch kommt. Weil es ihn noch gibt, Saif Ghezal. (bsn.)

FC Zürich: Aufräumen, marsch!

Allein die Niederlage ist eine Strafe. Wer aber zusätzlich die Bälle aufsammeln, die Trinkflaschen transportieren und die Tore schleppen muss, wird doppelt bestraft. Deshalb schreit Ludovic Magnin seinen Teamkollegen Yassine Chikhaoui an. Mehr Einsatz! Mehr Wille! Keine Niederlage! Kein Toreschleppen! Am Ende verliert das Team von Magnin das Trainingsspielchen trotzdem. Aufräumen, marsch! Die Laune ist miserabel.

Die kleine Begebenheit an einem kalten Novembertag auf der Allmend Brunau passte zu einem FCZ, der sich vergeblich gegen die miserablen Resultate in der Hinrunde zu stemmen versuchte – 21 Punkte, 8. Rang, meilenweit von den selbstgesteckten Zielen entfernt. Und es passte zum FCZ, wie er auf die Berichterstattung über diese kleine Begebenheit reagierte: empfindlich, dünnhäutig, im Tonfall nicht ganz angemessen. Niederlagen sind nicht nur im Training Strafen. (ram.)

Grasshoppers: Die getarnte Geheimwaffe

Es war in einer Trainingspartie mit Kindern, als Johann Vogel ein bisschen mitspielte und der GC-CEO Marcel Meier vom Spielfeldrand genau erkannte, was los war: «Er brennt.» Vogel, der GC-Juniorentrainer, wollte wieder Profi sein, so wie früher, aber sein Comeback wurde vorerst zur Geheimsache. Die Grasshoppers erfanden eine Berufsbezeichnung für Vogel, die es bisher nicht gab: «Player-Coach».

Das war nur eine Verkleidung. Der GC-Verwaltungsrat Heinz Spross nannte Vogel bald «unsere Geheimwaffe» und enttarnte ihn: Vogel sollte wieder spielen – auch weil die Grasshoppers auf dem Transfermarkt versagt und sportliche Probleme hatten. Der als Ersatz für Vero Salatic verpflichtete Davor Landeka entpuppte sich als Fehlgriff, und auf die Genesung von Ricardo Cabanas wagt GC nicht mehr zu hoffen. Also muss der 34-jährige Vogel noch einmal die Schuhe binden. Wenn es GC gelingt, einen korrekten Lizenzierungsantrag zu stellen, spielt er nach der Winterpause. (fcl.)

Lausanne: Abtransport ins Spital

Und dann war es schwarze Nacht. Fabio Coltorti war mit Vilmos Vanczak zusammengeprallt und verlor das Bewusstsein. Blut rann, schlimme Befürchtungen, Abtransport, Spital.

Der Lausanne-Goalie hatte Glück im Unglück, bereits nach vier Partien Pause kehrte er wieder ins Tor des Aufsteigers zurück. Trotzdem erfüllte Coltorti die Hoffnungen nicht, mit Routine und Übersicht als Rückhalt zwischen den Pfosten das Team vom Abstiegsplatz fernzuhalten. Immer wieder unterliefen ihm folgenreiche Fehler. 44 Gegentore kassierte Lausanne und belegt mit acht Punkten Rückstand den letzten Rang. Coltorti hatte sich für seine Rückkehr aus Santander mehr vorgenommen. Die zweite Saisonhälfte bietet Gelegenheit dazu. (ram.)

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