Presseschau

TELE vom 18.01.2012

Im Banne der Gewalt

Alain Godet porträtiert vier ehemalige FCB-Ultras. TELE hat einen getroffen.

Text: Hanspeter Huber

Narben der Gewalt Dokumentation

DONNERSTAG 26. JANUAR 20.05 SF1

Treffpunkt sind die Telefonkabinen am "Barfi", dem Barfüsserplatz.

Frosch ist viel zu früh da-und ein wenig unruhig: Er wippt von einem Fuss auf den anderen, guckt sich ständig um. Abwechslungsweise zieht er an der Zigi oder nippt am Kaffeebecher.

Das ist er also, dieser Frosch. Er, der mit seinen Ultras einst die Stadt unsicher machte. Dessen Name in Basel noch immer bekannt ist und mit einer gewissen Ehrfurcht ausgesprochen wird. "Freut mich, ich bin der Marcel."

Marcel also. Frosch nennt er sich schon lange nicht mehr. Und er wirkt mittlerweile auch eher wie ein gutmütiger Bernhardiner als wie der aggressive Pitbull von damals. Marcel schlendert durch die Steinenvorstadt, eine Fussgängerzone mit Geschäften, Kinos und Bars. "D Staine"-das war Anfang der 90er das Revier der Ultras und Marcel deren "Denker und Lenker". Gab's grad Kein Spiel ihres FC Basel, an dem sie sich mit gegnerischen Fans prügeln Konnten, suchten die Ultras hier Zoff mit LinKen, Asozialen oder wer immer ihnen in die Quere kam.

20 Jahren später versucht Marcel zu erklären, wie er in die Gewaltszene abdriftete: Die Kameradschaft, die Loyalität und die Anerkennung bei den Ultras haben ihm gefallen. Dazu die Macht der Gruppe. "Und natürlich habe ich es genossen, beKannt und gefürchtet zu sein."

Am Ende der Steinenvorstadt bleibt er stehen. Das Wulki. Eine Beiz, die eigentlich "Wulggegratzer" heisst. Marcel tritt ein und setzt sich, schnauft durch, zün det die nächste Zigarette an. Er ist oft hier: Oben, im 3. Stock, muss er zwei Mal pro Woche zur Physio antraben. "Ich bin ein Körperliches Wrack-aber nicht vom Fighten, sondern vom Schaffen."

Anfang 2011, als Marcel bei einem Getränkehändler knüppelte, zog er sich Kreuzbandrisse in beiden Knien zu. kurz darauf bekam er unerträgliche Schmerzen in den Schultern, sogenannte "Frozen Shoulders". Und kaum aus dem Spital raus, musste er mit einer Lungenembolie wieder zurück. Er war am Boden.

Neben den Schmerzen kam das "Hin und Her" mit Suva und IV. "Finde mal einen Job als 43-jähriger Chrampfer, der Keine schweren Arbeiten mehr machen darf." Marcel Klaubt eine Marlboro Light aus dem Päckli. Chauffeur wäre was. Oder Trämmler. Er lächelt bitter, sagt dann aber, mehr zu sich selbst: "Ich war und bin ein Kämpfer, ich gebe nicht auf." Ein erster Schritt ist bereits getan: Marcel hat in wenigen Monaten 20 Kilogramm verloren, wiegt noch 108. Wie hat er das geschafft? "Mit Willensstärke." Vier Mal pro Woche geht's ins Fitness. Marcel achtet strikt auf seine Ernährung. Und Alkohol trinkt er schon lange keinen mehr-seit seine Mutter vor acht Jahren daran starb.

"Ah, d Faandig "Marcel erhebt sich, schaut aus dem Fenster, winkt, die beiden Polizisten in Zivil sehen ihn aber nicht. "Die kenne ich halt noch alle", meint er salopp. Und man Kennt ihn-aus der Zeit, da die Gewalt, der KicK eines Kampfes für ihn wie eine Sucht war. "Bi neme guete Fight gege ne guete Maa", erzählt er, lasse man alle Probleme hinter sich, wandle sich zu einer anderen Person. Da wurde Marcel jeweils zum Frosch.

Seit 1996 aber, als er wegen eines brutalen Raubüberfalls beinahe für Jahre hinter Gitter musste, kam Marcel nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt. Wieso hatte er plötzlich einen Ausstieg aus der Gewaltspirale gefunden? "Ich wollte einfach nit in d Kischte."

Er nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch aus der Nase. "Ganz weit hinten im Tresor aber, da hast du sie noch immer drin, diese Lust an der Gewalt. Ganz weg bekommst du sie nie."

Seine Schlägerzeiten sieht Marcel heute mit gemischten Gefühlen. Er sei ein "Vollpfoschte" gewesen, sagt er. Und dass er mehr hätte aus seinem Leben machen können. Doch er gibt auch zu, dass er sich geschmeichelt fühlt, wenn man ihn am FCB-Match erkennt. Wenn Leute auf der Strasse einen Bogen um ihn machen. Wenn er wieder diese Ehrfurcht von früher spürt.

"Jänu", sagt Marcel und sieht auf die Zigi zwischen den Fingern, "diese Zeit gehört einfach zu meinem Leben."

Der SF-"DOK"

Die Porträtierten-Frosch, Gök, Jimmy und Nevio-gehörten zum harten Kern der FCB-Ultras. In "Narben der Gewalt" schauen sie auf ihre SchlägerKarrieren zurücK und sagen, was aus ihnen geworden ist. Alle sind heute über 40. Es ist die vierte Doku, die Alain Godet mit ihnen realisierte-nach "Faustrecht" (1993), "Fussballfieber" (1994) und "Einmal Schläger, immer Schläger" (2000).

Frosch

Name: Marcel
Situation: Der gelernte Schlosser ist auf Jobsuche. Doch das gestaltet sich schwierig: Wegen diverser Arbeitsverletzungen darf er keine harte Arbeit mehr machen. Er lebt mit seinem betagten Vater zusammen.

Ultras Basel

"Den dicken Max machen", nennt das Filmer Godet.

Die Ultras Basel wurden 1990 gegründet, zählten 10 bis maximal 20 Mitglieder und waren am politisch rechten Rand. Innerlich verband sie die Liebe zum FC Basel, äusserlich das Orange ihrer BomberjacKen. Sie sahen sich in der Tradition der Ultrà-Bewegung aus Italien, der besonders fanatischen Anhänger eines Clubs. Damit sind sie von Klassischen Hooligans zu unterscheiden, für die gewalttätige Auseinandersetzungen im Vordergrund stehen und die kaum Sympathien für einen bestimmten Verein haben. Allerdings liessen auch die Ultras Basel Keine Gelegenheit aus, sich vor oder nach dem Spiel, in der "dritten Halbzeit", mit gegnerischen Fans zu prügeln. Zudem waren sie in Basel als Schläger gefürchtet. Ums Jahr 2000 löste sich die Gruppierung auf.


Nevio

Name: Nevio
Situation: Hat sich als Einziger der vier eine solide Existenz aufgebaut. Er arbeitet bei der Stadt Basel: im Sommer als Bademeister, im Winter auf einer Kunsteisbahn. Nevio macht Kampfsport und hat ein gutes Verhältnis zu Sohn Dwaine (17, Bild).

Gök

Name: Göktürk
Situation: Gök wuchs zwischen zwei Kulturen auf: Sein verstorbener Vater war Türke, seine Mutter ist Deutsche. Noch immer wohnt er mit seiner Mama zusammen. Gök ist derzeit auf Jobsuche - allerdings hat er nie eine Lehre abgeschlossen.

Jimmy

Name: Ernst
Situation: Der gelernte Metzger arbeitet temporär bei einem Abrissunternehmen und hat einen Sohn (10). Jimmy muss im Mai wohl ins Gefängnis-Körperverletzung. Falls er bis dahin einen festen Job hat, Könnte er aber eine Fussfessel-Strafe beantragen.

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