Basler Zeitung vom 28.06.2012
FCB-Assistenztrainer Marco Walker liebäugelt damit, am Samstag den Ball aus dem St.-Jakob-Park zu dreschen
Von Oliver Gut, Rottach-Egern
Filigran sind andere. Marco Walker ist der «Ranger». So nennen sie den Assistenztrainer des FC Basel, in Anlehnung an die US-Serie «Walker, Texas Ranger». Der Name passt zum robusten Erscheinungsbild, das der Solothurner auch mit seinen inzwischen 42 Jahren noch abgibt. Und er passt zu Walkers früherer Spielweise: Kompromisslos, mit Wucht, verteidigte er von 1992 bis 1996 für den FCB und auch für das Schweizer Nationalteam, bevor es ihn in die Bundesliga, zu 1860 München, zog.
2005 beendete Walker seine Aktivkarriere, 2009 kehrte er nach zwei Jahren bei Concordia als Assistenztrainer zum FC Basel zurück, wo er zum ersten Vertrauten des Cheftrainers aufstieg, als Heiko Vogel im vergangenen Oktober das Zepter übernahm. Was er als Fussballer noch draufhat, kann Walker am Samstag zeigen, wenn er sich im St.-Jakob-Park das rotblaue Trikot überstreift, um mit dem Grossteil jener Basler Mannschaft, die 1994 den Aufstieg in die NLA schaffte, gegen eine internationale Auswahl des neuen Ausrüsters Adidas zu spielen (vgl. Kasten).
BaZ: Marco Walker, Sie spielen mit der FCB-Aufstiegsmannschaft von 1994 am Samstag im St.-Jakob-Park. Da trifft es sich gut, dass Sie zuvor als Assistenztrainer gerade mit dem FC Basel im Trainingslager weilen – schliesslich kann etwas Übung nicht schaden, oder?
Marco Walker: Es wäre schön, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte. Aber obwohl ich ständig auf dem Platz stehe, fehlt die Zeit.
Fit dürften Sie ja sein – wie steht es um die fussballerischen Qualitäten?
Ganz verlernt habe ich das Kicken bestimmt nicht. Wir werden sehen.
Haben Sie wenigstens jene Spezialität eingeübt, die unter den FCB-Fans noch immer Kultstatus geniesst?
Sie meinen wohl den Befreiungsschlag über das Dach der Haupttribüne und aus dem Stadion …
Genau.
Ich habe es nach dem letzten Meisterschaftsspiel versucht.
Und geschafft?
Ja. Ich lief auf den Platz und schlug den Ball über die Muttenzerkurve. Nur hat das kaum jemand gesehen.
Am Samstag haben Sie Publikum – werden Sie es wagen?
Wenn der Ball im Spiel passend aufspringt, ist es gut möglich, dass ich draufhauen werde …
Wahrscheinlich wird das erwartet.
Wahrscheinlich. Jene Fans, die das erlebt haben, sprechen mich noch heute darauf an. Es ist wohl jene Szene von mir, die am stärksten in Erinnerung geblieben ist.
Wie kam der legendäre Befreiungsschlag zustande?
Nun, ja, dass ich ab und zu einen Ball quer durchs Stadion schlug, das ist eine bekannte Tatsache. In jener Szene gegen YB traf ich ihn dann halt ziemlich wuchtig und ziemlich anders als geplant. Er ging höher als gewollt und in die falsche Richtung – schon war er weg.
Was ist mit dem Ball passiert?
Niemand weiss das. Der Materialwart hat ja noch nach ihm gesucht. Auf dem Dach war er nicht liegengeblieben, ausserhalb des Stadions ward er nie mehr gesehen. Wahrscheinlich ist er jemandem vor die Füsse gefallen, der ihn mitgenommen hat.
Schade.
Ja, schade. Damals habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Inzwischen hätte ich ihn aber sehr gerne als Souvenir. Ich habe nicht viele Erinnerungsstücke, ein paar Trikots in einer Tasche. Aber dieser Ball bekäme bei mir zu Hause einen Ehrenplatz. Jedenfalls hat mich die Muttenzer Kurve nie so gefeiert wie in jenem Moment.
Ein versteckter Aufruf an den Finder?
Nein, denn ich denke nicht, dass der Ball noch existiert. Der Finder wusste wahrscheinlich gar nicht, was es mit diesem Ball auf sich hatte.
Was bedeutet Ihnen die Partie am Samstag, 18 Jahre nach dem Aufstieg?
Ich bin happy. Denn ich sprach oft davon, dass es schade sei, dass man mit dem Aufstiegsteam keinen Match macht. Ich hoffe, die meisten Spieler von damals werden dabei sein. Jedenfalls wird es toll, noch einmal etwas Revue passieren zu lassen, das mir die schönsten Momente meiner Aktivkarriere bescherte.
Die schönsten Momente? Obwohl Sie danach in der Bundesliga spielten?
Ja. Die vier Jahre beim FCB – zwei in der NLB, zwei in der NLA – waren für mich die prägendsten Jahre meiner Karriere.
Was ist das stärkste Bild, das bei Ihnen vom Aufstieg hängen geblieben ist?
Wie wir am Barfüsserplatz ankommen. Bumm! Brätschvoll! Ich war damals 24 und fragte mich: Was ist denn das? Das hatte ich mir so nicht vorstellen können. Ich war ja vorher in Grenchen und Lugano gewesen – nicht gerade Publikumsmagnete.
Inzwischen sind Sie Routinier, wenn es um Feiern auf dem Barfi geht.
Und vor allem durfte ich da auch auf dem Casino-Balkon stehen … Damals feierten wir ja noch auf dem Übertragungswagen von Radio Basilisk. Jedes Mal, wenn ich in den vergangenen Monaten auf dem Balkon stand, blickte ich rüber zu jener Stelle, wo der Wagen stand. Unvergesslich!
Was ist sonst von der Nacht geblieben?
Der Moment, als Johnny Freeman uns nach vier Uhr morgens in der «Bodega» bat, nicht so herumzuhüpfen. Wir waren im ersten Stock – und der Wirt fürchtete, die Decke stürze ein.
Wer waren damals Ihre engsten Kumpel beim FC Basel?
Massimo Ceccaroni und Cantaluppi. Mit Mario wollte ich sogar einmal eine Wohngemeinschaft bilden. Wir hätten Geld gespart.
Geld gespart? War das nötig?
Es hätte schon viel ausgemacht.
Was haben Sie denn in der Aufstiegssaison beim FCB verdient?
Ich weiss nicht mehr, wie das mit den Prämien war. Aber mein Fixlohn betrug 3500 Franken im Monat.
Das wäre jetzt anders. Überhaupt hat sich einiges verändert, bildete der Aufstieg die Basis jenes FC Basel, wie man ihn heute kennt.
Ja, wir haben einen kleinen Teil dazu beigetragen. Tatsächlich hat sich vieles verändert – nicht nur beim FCB, auch im Fussball. Wenn ich denke, wie wir unter Friedel Rausch trainierten … Da hiess es: Lasst uns spielen! Grosse Tore, kleine Tore, mittlere Tore, keine Tore, viele Tore, schiessen auf grosse Tore, auf kleine Tore, auf keine Tore. Schiessen, spielen, machen – fertig. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.
Was ist noch gleich wie damals?
Das Publikum, die Begeisterung. Sehr vieles lässt sich nicht vergleichen, aber die Emotionen sind in Basel dieselben, wenn es um Rotblau geht. Ich hoffe, das wird man auch am Samstag sehen, weil viele Zuschauer kommen.
Ich nehme an, Sie werden in kurzen Hosen antreten …
Das bestimmt.
Warum tragen Sie diese selbst dann noch, wenn draussen Minusgrade sind?
Ich bin nicht so empfindlich, wenn es um Kälte geht. Gefroren habe ich nur zweimal: Als wir in Moskau spielten und in diesem Winter, beim Testspiel gegen Lausanne.
Nur deswegen?
Nein, schon als Spieler trainierte ich stets kurz, weil mich langes Beinkleid störte. Inzwischen ist es aber auch ein bisschen ein Spleen von mir und es steckt eine Prise Aberglaube darin.