Beobachter vom 28.09.2012
Balz Ruchti
Vertreter von Politik, Klubs, Fans und Liga treffen sich zum Gespräch über Fussball und Gewalt. Ergebnis: Es geht fast so heftig zu wie im Stadion.
Die Begegnung im Berner Neufeld-Stadion entwickelte sich schnell zur kampfbetonten Auseinandersetzung: Angesetzt war eine 90-minütige Diskussion zur Fankultur. Der offensive Jositsch stellte die Kette Heusler-Meier-Häfeli früh vor Probleme - vorwiegend mit schnellen Vorstössen über die rechte Seite. Ein Auszug aus der heissen Phase.
Beobachter: Herr Jositsch, ist Pyros abbrennen für Sie Gewalt?
Jositsch: Natürlich, das ist eine schwere Gefährdung. Man muss mal aufhören mit diesem "Wir müssen differenzieren". Die Klubs haben das Problem, dass sie glauben, diese Leute seien ihre Fans. Aber alle anderen, die Saisonabonnements kaufen, wollen das nicht.
Heusler: Ich glaube, damit bin ich angesprochen. Ich lasse mir nicht den Vorwurf machen, ich würde etwas verniedlichen. Wir sind klar da, um sichere, friedliche Fussballspiele zu organisieren.
Jositsch: Dann machen Sie das!
Heusler: Ich komme gerade von einer Konferenz mit 240 Grossklubs in Genf. Warum wird der FC Basel international zu Fragen der Fanarbeit konsultiert, wenn wir in Ihren Augen nichts richtig oder alles falsch machen? Von aussen wird das Bild vermittelt, es sei gefährlich, an ein Fussballspiel zu gehen. Unsere Zuschauer geben uns eine komplett andere Rückmeldung. Die Uni Bern hat unter den Anhängern des FC Basel eine Online-Befragung durchgeführt, dabei sagten über 95 Prozent, dass sie sich vor, während und nach dem Spiel sicher fühlen. Wir generieren 70 Prozent der Einnahmen über Eintritte, für uns wäre es verheerend, wenn sich Familien nicht mehr ins Stadion wagen würden - verheerend.
Jositsch: Ich spreche mit Ihnen nur über Studien, die ich gesehen habe. Wo ich Ihnen recht gebe: An 90 Prozent der Spiele passiert nichts. Aber bei der Stadtpolizei Zürich habe ich Videos gesehen, da muss ich Ihnen sagen, es ist ja ein Wunder, dass noch keiner umgebracht wurde. Da muss man präventiv eingreifen. Und die Unternehmungen mit ihren kommerziellen Interessen müssen Verantwortung übernehmen.
Die Fans in der Kurve würden gern selbst Verantwortung übernehmen.
Jositsch: Selbstregulierung? Die gibt es einfach nicht. Es kann keine rechtsfreien Räume geben, in denen Privatpersonen selbstregulierend tätig sind.
Meier: Wenn Sie behaupten, Selbstregulierung funktioniere nicht, dann sind Sie wirklich zu weit weg. Diese Beispiele von der Stadtpolizei, die Sie ansprechen, das sind Gewaltausbrüche, und solche Ereignisse will niemand sehen - aber sie bilden nicht den Alltag ab.
Jositsch: Hat die Selbstregulierung denn in diesen Situationen funktioniert?
Meier: Nein, natürlich nicht, aber...
Jositsch: Eben.
Meier: Sie haben vorhin von Prävention gesprochen, aber genau da fehlen die Mittel. Stattdessen hat man einen unglaublichen repressiven Apparat hochgefahren, und Sie sind einer der Letzten, die auch noch auf diesen Zug aufspringen.
Jositsch: Sehen Sie, ich bin eben nicht der Einzige. Ich sage Ihnen, was Prävention ist. Es gibt eine primäre Präventionsmassnahme: konsequent dagegen vorgehen, dass Leute sich im Stadion so verhalten können, wie sie es jetzt manchmal tun: herausholen und bestrafen.
Heusler: Herausholen und bestrafen ist Prävention?
Jositsch: Selbstverständlich.
Heusler: Ach so. Ich dachte, das sei Repression. Für mich ist Prävention, was Fanarbeit leistet und was wir auf allen Ebenen praktizieren, nämlich den Dialog führen...
Jositsch: Das nützt ja nicht viel. Einen Rest an Gewalt wird man nie loswerden, aber Sie müssen das immer mit dem Zustand vergleichen, den man hätte, wenn gar nichts unternommen würde. Im Strassenverkehr gibts auch jedes Jahr Todesopfer, aber ohne Gurttragepflicht hätten wir noch viel mehr Tote.
Häfeli: Sie reden, als würde gar nichts getan. Jeder Klub in der Schweiz investiert sehr stark; nicht nur in den Sicherheitsbereich, auch in die Prävention und in die aktive Fanpolitik. Die Klubs versuchen, ihre Hausaufgaben zu machen, aber es braucht auch Verhältnismässigkeit. Wenn Sie sagen, dass zum Beispiel ein 25-Jähriger lebenslanges Stadionverbot kriegen soll - das ist doch entgegen jedem rechtsstaatlichen Grundsatz. Im Strafgesetz gibt es ja auch die Möglichkeit der Resozialisierung.
Jositsch: Aber der Fahrausweis ist irgendwann auch einfach ganz weg!
Häfeli: Ich bin in der Ombudsstelle des Schweizerischen Fussballverbands und begegne dort Leuten, die nachweislich ungerechtfertigterweise mit einem Stadionverbot belegt wurden. Diese extrem repressiven Massnahmen führen zu Eskalationen.
Gibt es überhaupt ein Gewaltproblem im Schweizer Fussball, oder könnte man mit dem Erreichten nicht zufrieden sein?
Jositsch: Fragen Sie das einmal jene, die die Gewalt erleiden, ein Opfer. Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter würde vergewaltigt und ich sage Ihnen: "Ja, gut, aber haben wir wirklich ein Vergewaltigungsproblem?"
Heusler: Für das einzelne Gewaltereignis gibts nie eine Rechtfertigung. Aber ich sage immer: Wir verführen jährlich zwei Millionen Menschen, sich in ein hochemotionales Umfeld zu begeben, wir haben Freude an Fahnen und Emotionen und erwarten gleichzeitig, dass die Leute sich dann genau in jenen Grenzen bewegen, die wir als richtig empfinden - das kriegen wir nicht hin.
Jositsch: Emotionen sind nicht Gewalt. Das ist eben der Punkt. Als ich ein Kind war, ging ich mit dem Grossvater ins Stadion, er auf die Tribüne, ich in den Züri-Egge, das wäre heute die Südkurve. Gewalt gab es damals nicht. Wenn ich heute meinen Achtjährigen allein in die Kurve liesse, hätte ich die Vormundschaftsbehörde am Hals.
Meier: Ich bin von dieser Diskussion enttäuscht. Diese Thematik ist komplex, und ich habe nicht den Eindruck, dass wir mit diesem Gespräch der Sache gerecht werden. Mehr Repression, Verschärfungen - damit zerstört man die gute Ausgangslage, die wir in der Schweiz eigentlich haben. Wir haben eine Fankultur, die sehr viel Positives bietet. Wenn ich Geschichten höre wie: Früher gab es im Stadion keine Gewalt... Ich bin mittlerweile auch schon 37 Jahre alt und war als Kind allein im Stadion. Da sind Flaschen herumgeflogen.
Noch einmal: Gibt es heute wirklich mehr Gewalt, oder hat sich die Wahrnehmung durch die Gesellschaft verändert?
Häfeli: Gewalt im Fussball stand früher unter völlig anderer Beobachtung. In den neunziger Jahren, als es noch keine Extrazüge gab, wurde hier in der Schweiz jedes zweite Wochenende irgendeine Raststätte auseinandergenommen - das hat kein Schwein interessiert. Heute gibt es eine Sensibilisierung, und die ist das Produkt der medialen und politischen Kommunikation. Die tatsächlichen Zuschauer fühlen sich nicht unsicher. Die Zuschauerzahlen sind ja in den letzten Jahren gestiegen. Gesetzesverschärfungen, das kann ich jetzt schon sagen, werden einen Gegeneffekt auslösen, der viel grösser sein wird als der Nutzen. Was es wirklich braucht, ist ein Marschhalt, bei dem Politik und Vereine mit Augenmass feststellen, was es wirklich braucht, um weiterzukommen.
Jositsch: Sie haben jetzt ein paar Jahre herumgemacht, und das Resultat sehen wir ja. Jetzt schauen wir, was herauskommt, wenns in die andere Richtung geht. Ich glaube Ihnen gern, Herr Meier, dass Sie von diesem Gespräch enttäuscht sind. Aber was mich enttäuscht, ist, dass ich von Ihnen drei noch nichts Konkretes gehört habe, wie man das Problem lösen will. Sie sagen bloss, es gebe keines.
Häfeli: Ich könnte Ihnen schon was erzählen, wenn Sie zuhören würden.
Heusler: Das ist auch so ein Klassiker: "Sie haben keine Ideen, in zehn Jahren nichts hingekriegt, Klubfunktionäre sind inkompetent."
Jositsch: Nein. Ich habe nur gesagt, ich will keine Gewalt an Sportveranstaltungen.
Heusler: Da sind wir uns einig.
Jositsch: Und die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt: Für die Strafverfolgung ist die Polizei zuständig, die gehört für mich auch mehr ins Stadion - das können nicht irgendwelche privaten Sicherheitskräfte sein, die sich da herumschlagen. Das heisst: Das kostet, und das haben die Klubs zu bezahlen. Punkt, Schluss.
Heusler: Und das ist dann die Lösung?
Jositsch: Selbstverständlich.
Warum braucht es mehr Polizei, wenn die Gewalt eher rückläufig ist und die Zuschauerzahlen steigen?
Jositsch: Ich habe Ihnen vorhin schon einmal gesagt: Sie können im Zusammenhang mit Gewalt nicht mit Statistiken operieren.
Heusler: Und womit operieren Sie? Mit persönlichen Eindrücken?
Jositsch: Sage ich Ihnen gleich. Sehen Sie, in der Schweiz wurde eine Verwahrungsinitiative angenommen, obwohl es in der Praxis kaum solche Fälle gibt. Das gehört eben zur Politik: Sie können die Leute nicht mit Statistiken besänftigen - weil Sie nicht wissen, wer der Nächste ist, den es trifft.
Kann das im Rechtsstaat die Grundlage für Entscheidungen sein? Gefühle und Eindrücke?
Jositsch: Nein, das sind Fakten. Wie häufig es passiert, spielt keine Rolle. Jedes Opfer, jedes potentielle Opfer, hat das Recht, geschützt zu werden, und zwar auch vor Gewalttaten, die ganz selten vorkommen. Vergewaltigungen und Mord sind auch selten, und trotzdem versuchen wir, sie zu verhindern.
Heusler: Sie sagen: "Vielleicht müssen wir halt Gesetze machen, um die Menschen zu besänftigen - das ist Politik." Das ist mir klar. Aber ich frage mich: Ist die Sicherheit wirklich gefährdet? Wenn ja: Was können wir tun, um die Situation zu verbessern? Aber ich kann nicht Massnahmen gutheissen, wenn ich nicht überzeugt bin, dass sie etwas helfen.
Jositsch: Die Klubs sagen immer, was sie nicht wollen. Sie haben ja das Gefühl, Sie seien Fachleute in diesem Bereich. Aber von Ihnen ist keiner mal mit einem Massnahmenplan gekommen. Wir haben jetzt ein Problem, und die Leute wollen, dass man etwas dagegen macht. Das ist die Aufgabe der Politik.
Häfeli: Medien und Politik wären ebenfalls in der Verantwortung, einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten.
Jositsch: Was wollen Sie da versachlichen?
Häfeli: Es ist nachweislich so, dass gewisse Massnahmen vor allem im Zusammenhang mit anstehenden Wahlen thematisiert werden. Aber was die Klubs im Präventivbereich leisten, liefert halt keine sexy Schlagzeilen.
Jositsch: Ich weiss auch, dass Sie am Sonntagabend im Fernsehen nicht sagen können: "Es ist nichts passiert, wir zeigen Ihnen jetzt Fans, die friedlich ins Stadion ziehen." Aber das ist auch nicht das Problem, sondern: Wenn Sie einen Saubannerzug haben, der vom Bahnhof Altstetten ins Letzigrund-Stadion marschiert, dann müssen Sie dem Ladenbesitzer mit der kaputten Scheibe irgendetwas sagen. Und zwar nicht: "Das ist jetzt halt passiert, aber bausch es nicht auf."
Das ist ein sehr klares Bekenntnis zum Populismus.
Jositsch: Wenn Populismus heisst, dass die Politik das macht, was der Mehrheit der Leute unter den Nägeln brennt, dann bin ich gern Populist.
Heusler: Sie haben das Beispiel des Saubannerzugs gebracht. In den Medien wird immer wieder das Bild gezeichnet, dass der Fussball diese Täter kreiert. Ich habe einmal einer Politikerin gesagt: "Das sind auch Ihre Wähler, Menschen wie Sie und ich..."
Jositsch: Nein, Gott sei Dank nicht.
Heusler: "...die sich aber nicht an das Gesetz halten."
Jositsch: Menschen ja, aber nicht wie ich. Ich will noch etwas klarstellen: Die strafrechtliche Verantwortung liegt bei dem, der sich nicht korrekt verhält. Und nur bei dem. Aber die Klubs sind Veranstalter eines Events, aus dem solche Ereignisse entstehen können - ich gebe den Organisatoren des 1. Mai übrigens die gleiche Verantwortung -, und damit sind sie finanziell in der Pflicht.
Heusler: Das nimmt mich jetzt wunder: Personen, die sich am FCB-Fanmarsch von Altstetten ins Stadion beteiligen, begehen auf halbem Weg ein Delikt. Wer ist in der Verantwortung? Der FC Zürich als Veranstalter? Der FCB? Und wo liegt die Einflussmöglichkeit der Klubs? Unsere Fans sind ja nicht unsere Mitarbeiter. Der Letzte, der im Letzigrund ein Pyro geschmissen hat, war ein Fan von Rapperswil-Jona, der im Eishockeystadion Stadionverbot hatte und im FCB-Sektor stand.
Jositsch: Wenn Sie die Street Parade organisieren, ist das genau das Gleiche - Sie können dann auch nicht sagen: "Das ist ein deutscher Raver, der geht mich nichts an." Sie führen den Anlass durch, damit haben Sie die Verantwortung.
Heusler: Auch ausserhalb des Stadions?
Jositsch: Ja, das gehört dazu. Da gibt es rechtlich Normen. Wenn hingegen ein Fan, der mutterseelenallein ins Stadion marschiert, unterwegs eine Frau vergewaltigt, gehört das natürlich nicht dazu. Aber das ist logisch.
Daniel Jositsch ist SP-Nationalrat und Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht.
Bernhard Heusler ist Präsident des FC Basel.
Jörg Häfeli ist Präventionsbeauftragter der Swiss Football League.
Lukas Meier ist Vertreter der Fanarbeit Bern.
HINWEIS
Sonderheft und Ausstellung zur Fankultur
Die ausführliche Version des Gesprächs von Daniel Jositsch, Bernhard Heusler, Jörg Häfeli und Lukas Meier finden Sie im 120-seitigen Sonderheft "Fankultur" des Fussballmagazins "Zwölf", das auch die Begleitpublikation zur Sonderausstellung im FCZ-Museum ist.
Vernissage: Dienstag, 9. Oktober, 18 Uhr; FCZ-Museum, Letzigraben 89, 8003 Zürich
Weitere Informationen
www.zwoelf.ch/fankultur
www.fcz.ch/museum