Presseschau

Basler Zeitung vom 28.11.2012

Alles begann mit einem Franken für jedes Goal

Alex Frei, König des Strafraums, Schrecken der Verteidigung, hat den Schweizer Fussball wie kein anderer geprägt. Marcel Rohr erzählt seine Geschichte

Von Marcel Rohr

Er war der Bub mit den Rollschuhen. Und dem Tennisschläger. Und den Fussballschuhen. Schon ganz früh fand es Alex Frei eine gute Idee, sich wettkampfmässig mit den Kollegen zu messen, sei es auf Rollen, mit einem Racket oder mit einem Ball. Beste Voraussetzungen dafür fand er am Mühleweg 13 in Biel-Benken vor. Das schmale Strässchen vor seiner Haustüre, das war sein Stadion. Es reichte schon, eine Schnur zu spannen für den ersten Vergleich. Das war dann der Tennisplatz.

Die drei befreundeten Nachbarskinder waren auch für fast jede Disziplin zu haben. Fanden sich mal keine Mitstreiter vor dem Haus, wetzte Alex auf den Fussballplatz Fraumatt und beobachtete seinen Vater, der bei den Senioren des FC Biel-Benken agierte. Paul hatte es einst in die 1. Liga beim Basler Quartierverein Black Stars geschafft, später kickte er beim FC Liestal eine Liga tiefer. Er konnte die Bälle verteilen und Zweikämpfe gewinnen, aber ein Torjäger, das war er nicht. «Einen solchen Torriecher wie Alex hatte ich nie.»

Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte Alex jedoch nicht in der heimeligen kleinen Gemeinde hinter Oberwil nahe der französischen Grenze. Als er am 15. Juli 1979, einem Sonntag, in der Stadtbasler Josefsklinik das Licht der Welt erblickte, bewohnte die kleine Familie eine Wohnung oberhalb des Denners an der Güterstrasse 180 im Gundeli-Quartier. Paul arbeitete in der Manor in Basel, Mutter Susanne, eine ausgebildete Verkäuferin beim Modehaus Schild, blieb zu Hause und kümmerte sich um den Haushalt. Die Eltern entschieden sich für den Namen Alexander, längst bevorzugt er die Kurzform Alex, «nur meine Mutter ruft mich immer noch Alexander». Kurz nach der Geburt von Klein Alex zügelten die drei nach Bottmingen, doch auch dort blieben die Kisten nicht lange ausgepackt: Paul hatte ein Stellenangebot von der Placette in Genf vorliegen, dem welschen Pendant von der Manor. Am Lac Léman winkte ihm die Möglichkeit, die Schuhabteilung zu übernehmen. Der junge Familienvater wollte sich diese Chance nicht entgehen lassen, und so liessen sie sich 1981 in der Westschweiz nieder. In der Waadtländer Gemeinde Coppet wurde ihnen von der Placette eine schöne Viereinhalb-Zimmer-Wohnung zur Verfügung gestellt, direkt am See.

S ein erster Club war der FC Begnins, dort besuchte er erstmals ein Training. Susanne fuhr ihren Sohn regelmässig mit dem Auto hin. Schon nach den ersten paar Einheiten wurde er einer höheren Juniorenstufe zugewiesen. «Alex spielte meistens mit Älteren zusammen», erinnert sich Susanne. Und als er gefragt wurde, was er später einmal werden wolle, kam die Antwort immer in Sekundenschnelle: «Profifussballer!»

Am Ende der zweiten Primarklasse stand wieder eine Entscheidung für die Familie an. Susanne war mit dem zweiten Kind schwanger, und Paul hatte eine Offerte aus der Manor-Zentrale in Basel erhalten; dort wurde ein Chefeinkäufer Schweiz für die gesamte Lederwarenabteilung gesucht. Das war wieder eine Möglichkeit für den nächsten Schritt. Alex’ Bruder Fabian kam noch in Genf zur Welt, doch wenig später, Mitte 1987, zügelten die Freis zurück ins Baselbiet, an die Therwilerstrasse nach Ettingen. Paul trat in Basel seine neue Aufgabe an.

E ines Abends fuhr Susanne mit ihrem Sohn zum FC Ettingen ins Training, wo er seiner Leidenschaft frönen sollte. An diesem Abend waren einige Spieler da. Weil aber kein Trainer kam, fiel das Training aus. Die Tränen flossen, und Susanne bestimmte: «Dorthin gehst du nicht, Alex.» Ein Schulkollege machte ihm den FC Aesch schmackhaft, und bei den F-Junioren auf dem Sportplatz Löhrenacker in Aesch schoss der kleine Frei seine ersten Tore.

Paul und Susanne Frei fuhren ihren Junior regelmässig ins Training, aber schon da hatte er seinen eigenen «Manager», wie ihn die Eltern noch heute scherzhaft rufen: Grossvater Leo Stebler, den Vater von Susanne. Leo sprang ein, wenn ein Fahrer gesucht wurde, selbst eine Fahrt nach St. Gallen war ihm nicht zu weit. «Ich denke, er kennt jeden Fussballplatz in der Schweiz, auch jene in den hintersten Ecken», sagt Alex mit Bewunderung. Opi Leo und Grossmutter Erika – bei ihnen fühlte sich der Filius pudelwohl. Als die Freis in Genf wohnten und Susanne zusammen mit Alex ihre Eltern Leo und Erika in Dornach besuchten: Da flossen vor der Retourfahrt regelmässig die Tränen. In Erinnerung geblieben ist Susanne Frei, wie Alex schon kurz nach der Abfahrt durch das Zugabteil marschierte und mit wildfremden Leuten plauderte. «Er war total offen, suchte mit allen Kontakt oder fragte ihnen Löcher in den Bauch. Oft boten ihm die Menschen etwas zu essen und Getränke an», sagt Susanne. Sie ist in einer Grossfamilie aufgewachsen, zusammen mit sieben Geschwistern. Sie lernte früh, sich unterzuordnen und auf materielle Dinge zu verzichten.

Susannes Vater Leo arbeitete auf dem Werkhof in Dornach. Speziell wurde es immer im Winter, wenn Alex bei Leo und Erika übernachtete und es geschneit hatte: Dann nahm der Opa seinen Enkel mit zur Arbeit. Wenn er dann mit seinem Grossvater in einem der Schneeräumfahrzeuge sass und durch die Solothurner Gemeinde kurvte, war die Welt in Ordnung.

1982 stand Alex das erste Mal auf den Skiern, und jedes Jahr fuhr die Familie zum Wintersport nach Grächen. Die Beziehung zu Leo und Erika ging so tief, dass Alex im Wallis lieber bei seinen Grosseltern übernachtete. Am späten Nachmittag wollte er oft mit Leo zur Talstation der Luftseilbahn gehen. Ganz genau beobachtete er dann, wie eine Gondel nach der anderen in die Ecke geschoben wurde. Leo war sein Manager, sein privater Schneeräum­service, seine Hilfe auf der Skipiste und ein zuverlässiger Chauffeur zu den Fussballspielen. Noch heute pflegt der Fussballer eine enge Beziehung zu seinem Grossvater, der seit über fünfzig Jahren an der Schmiedegasse in Dornach, unweit der Sportanlage Gigersloch, in einer schmucken Wohnung lebt.

E inen Alex Frei konnte man da schon an der Ehre packen. Dazu hatte Leo eine Idee: Für jedes geschossene Tor in einem Wettkampf würde er, der Grossvater, Alex einen Franken zahlen. Diese verlockende Prämie trieb ihn zu Höchstleistungen auf dem Platz. «Er hat unglaublich viele Tore geschossen, einmal 15 in einem D-Junioren- spiel», erinnert sich Paul. Leos monetäres Doping für den Enkel funktionierte grossartig. In seiner ersten Saison erzielte Alex 120 Tore für den FC Aesch. Der Opa zahlte wie abgemacht 120 Franken und seufzte: «Ich muss den Betrag reduzieren, sonst wird das zu teuer für mich.»

Als der Torjäger in die C-Junioren aufrückte, kreuzte sich sein Weg ein erstes Mal mit jenem von Marco Streller. Der hatte eine Altersklasse ausgelassen und war direkt zu den Junioren C aufgestiegen, wo er als Linksverteidiger vorge­sehen war. In der Saison zuvor hatte Streller 89 Tore erzielt, er fühlte sich gross und stark und erzählte es seinem neuen Kumpel. «Ich habe 120 geschossen», konterte Alex. Heute kann Streller herzhaft darüber lachen. «Schon auf dem Kleinfeld hatten wir alle gesehen, was der draufhat.» Schnell war Alex nicht, was auf einem Platz mit Mini­format nicht ins Gewicht fiel. Aber seine famose Schusstechnik, seine Begabung, immer konsequent den Torabschluss zu suchen und zu treffen – die beeindruckte auch Junior Streller. Im ersten gemeinsamen Spiel bei den C-Junioren 1990 trafen die Aescher zu Hause auf den FC Zürich, die Platzherren gewannen gleich mit 7:0. Streller war, kein Witz, als Linksverteidiger unterwegs, Alex Frei im zentralen Mittelfeld.

Es folgten weitere Spiele, weitere Tore, und am Spielfeldrand lernten sich auch die Eltern Frei und Streller kennen. Die Buben hatten ihren eigenen Kollegenkreis. Das war auch schulisch bedingt. Ab 1991 besuchte Frei die Sekundarschule in Oberwil. Streller dagegen wuchs in Aesch auf. Zusammen gabs mal vielleicht eine Runde Tennis, aber richtig nahekamen sich die beiden da noch nicht.

An der Oberstufe in Oberwil war Alex Frei ein Schüler unter vielen. Er fiel weder auf noch ab, «ich kam gut durch, mehr nicht». Geschichte und Geografie hatte er gerne. Wenn es darauf ankam, lernte er auf die Prüfung, manchmal mit Freude, manchmal zähne­knirschend, aber wohl wissend, welche Note gebraucht wurde, um den Durchschnitt zu halten. Die abendlichen Trainings waren Pflicht, «nie hätte er eine Einheit ausgelassen», erzählt Paul. Dieser Ehrgeiz, immer besser zu sein als die anderen, begleitete ihn schon in jungen Jahren.

Mirco Maissen, einer seiner besten Freunde und Sohn des einstigen FCB- Profis Erni Maissen, erinnert sich gut an die ersten gemeinsamen Trainings in der U21 der Rotblauen. «Nach einer Einheit gingen wir jeweils zeitig unter die Dusche und rauchten später eine Zigarette hinter dem Haus», sagt Maissen und schmunzelt, «während Alex noch gefühlte 100 000 Freistösse übte. Als er uns rauchen sah, faltete er uns zusammen.»

Ein anderer Freund, mit dem Frei durch dick und dünn ging, war Nico Jucker. Zusammen besuchten sie in Oberwil die Sekundarschule und kickten in Aesch. Er wohnte ganz in der Nähe von Alex. «Das Wichtigste für ihn war immer der sportliche Wettkampf, der Vergleich», erzählt Jucker. Sei es im Rollhockey, im Tennis oder auf dem Fussballplatz gewesen. Noch heute lacht Nico Jucker über das, was sich regelmässig auf dem Fraumatt-Rasen in Biel-Benken abspielte. Ganz in der Nähe war eine Bushaltestelle. Immer, wenn ein Bus losfuhr, sagte Alex in bestimmtem Ton: «Jucker, geh an die Seitenlinie!» Dann musste er von dort eine Flanke zur Mitte schlagen, wo Frei den Ball möglichst spektakulär ins Tor spedierte – natürlich just in dem Moment, als der Bus mit den Fahrgästen vorbeizog. «Alex muss man reizen», findet Yves Meier, ein anderer Kollege, «dann bringt er seine besten Leistungen. Er liebt die ständige Herausforderung.»

A b Januar 1995 begab sich der Sekundarschüler auf Lehrstellensuche. Eine erste Schnupperlehre in einem Treuhandbüro nahe der Schützenmatte in Basel konnte ihn überzeugen, das machte Spass: Zahlen einordnen, saubere Buchhaltungs­abschlüsse tätigen. Ein richtiger Bürogummi zu sein, diese Vorstellung gefiel ihm. Im Telefonbuch stiess er auf die Ageba Treuhand AG in Muttenz, und nach einem Vorstellungsgespräch an der Bahnhofstrasse hatte er seine KV-Lehrstelle im Sack.

Susanne Frei war stolz, als ihr Sohn in den Betrieb eintrat. Gleichzeitig absolvierte er ein paar Probetrainings bei Marcel «Cello» Hottiger in Muttenz. Der Trainer wollte den 16-Jährigen unbedingt für seine 2.-Liga-Equipe gewinnen. Aber auch Oldrich Svab meldete sich, der Tscheche, der beim FC Basel im sportlichen Bereich das Sagen hatte und nach der Entlassung von Claude Andrey für kurze Zeit sogar die erste Mannschaft trainierte. Svabs Angebot überzeugte die Familie Frei, und im alten Joggeli-Stadion unterschrieb er einen Nachwuchsvertrag beim FCB, gültig für die Inter-A-II-Mannschaft. Als Lohn offerierten die Rotblauen 320 Franken im Monat.

Es war der nächste Schritt in seiner Karriere, doch die Tage im neuen Leben des Alex F. waren lang und hart. Morgens musste er kurz nach sechs Uhr raus. Die Busfahrt von Biel-Benken nach Muttenz dauerte rund vierzig Minuten. Nach Feierabend bei der Ageba um 17 Uhr ging es fast jeden Abend zum Training auf der Brüglinger Ebene, meistens kam er erst gegen 22.30 Uhr nach Hause.

1997 kam er in das erweiterte Kader der ersten Mannschaft, was sich in seinem ersten Profivertrag niederschlug. Statt 320 Franken kassierte er neu monatlich 3600 Franken. Überdies stellte ihm der Verein einen Leasing­wagen zur Verfügung, einen VW Polo. Nur fünf Tage später hatte er mit seinem neuen Auto eine Schrecksekunde. An einer Kreuzung beim Badischen Bahnhof übersah ein anderer Verkehrsteilnehmer ein Rotlicht und krachte in Freis Schmuckstück. Totalschaden. Zerknirscht meldete er den Unfall beim FCB, der Verständnis zeigte und ihm einen eleganten Audi A3 offerierte.

Der neue Präsident des Clubs, René C. Jäggi, hatte grosse Pläne. Er setzte auf eine deutsche Welle. Er verpflichtete den leider viel zu früh verstorbenen Jörg Berger, einen Trainer von altem Schrot und Korn, fachlich jedoch auf bescheidenem Niveau und in der Botschaft an die Mannschaft einsilbig. Seine Standardaussage, die er bei der Teamsitzung gerne an die Tafel schrieb: «Über den Kampf zum Spiel finden». Für viel Geld lotste Jäggi überdies die Bundesligaprofis Oliver Kreuzer, Jürgen Hartmann und Maurizio Gaudino ans Rheinknie, von Galatasaray Istanbul war ein halbes Jahr zuvor schon Adrian Knup zurückgekehrt. Für den Torjäger aus der eigenen U21, Frei, hatte es da keinen Platz im teuren Ensemble. Am 19. September 1997 schoss er in einem Testspiel gegen Rothrist sechs Tore, doch zu mehr als ein paar Teileinsätzen reichte es nicht. Er klemmte im Schraubstock der Gefühle. Einerseits hatte er ein Etappenziel erreicht, er hatte einen Profivertrag in der Tasche. Doch unter Jörg Berger sah er keine Perspektive, obwohl ihm der Deutsche doch gesagt hatte: «Dich nehme ich mit in die Bundesliga.» Er war ein kleiner König ohne Land, ja nicht einmal einen Thron hatte er oder wenigstens Gefolgschaft, die ihm zuhörte.

B eim FC Basel lief sportlich überhaupt nichts zusammen. Im Oktober 1997 wurde Jörg Berger entlassen, es folgten interimistische Notlösungen mit Salve Andracchio und Heinz Hermann, die Mannschaft trudelte Richtung untere Tabellenhälfte. Anfang 1998 übernahm Guy Mathez das Team, ein kauziger Jurassier mit eigenen Ideen, die aber nicht jeder auf Anhieb verstand. Unter dem neuen Trainer hatte Alex Frei keine Chance mehr, im Sommer wechselte er zum FC Thun und ein Jahr später zum FC Luzern.

Sein Wegzug aus dem Elternhaus in Biel-Benken war für alle nicht einfach.Der Kontakt zu seinen Kollegen schrumpfte auf ein Minimum. Am Anfang fuhren Paul und Susanne zu jedem Spiel des FC Thun in der Nationalliga B. Gleichzeitig mussten sie sich um die anderen Kinder kümmern: Fabian, der acht Jahre nach Alex geboren worden war, und Nesthäkchen Andrea, die sogar sechzehn Jahre jünger ist als der Älteste. Je berühmter der Fussballer Frei in Thun, Luzern, Genf oder Rennes wurde, je schwieriger hatten es die Geschwister, vor allem Fabian. «Er litt schon etwas», sagt Paul Frei. Der Jüngere war nicht mit dem gleichen Ehrgeiz und dem ausgeprägten Selbstwertgefühl unterwegs wie Alex. Zwar war Fabian ein grosses Goalietalent, das war beim SV Muttenz sofort zu erkennen; aber eine Sinnkrise führte ihn zum Entschluss, künftig nicht mehr fünfmal die Woche auf dem Trainingsplatz zu stehen. Er nahm eine Lehrstelle in der Manor in Basel an. Seine Herausforderung fand er im Trainerbereich, das B-Diplom hat er bereits in der Tasche. «In diesem Bereich ist er super», sagt Alex, «er bringt alles mit, um ein wirklich guter Trainer zu werden.»

Heute arbeitet Fabian in einem Kinderschuhgeschäft mitten in Liestal, das Susanne aufgebaut hat. Mit seinem Leben ist er zufrieden. Früher jedoch, daraus machen alle keinen Hehl, waren die Umstände schwieriger. «Ich hörte stets die gleichen Fragen und Sprüche wegen Alex», sagt Fabian, «ich wurde gefragt, warum ich überhaupt arbeite, ob Alex mir denn kein Geld gebe.» Eifersucht auf den acht Jahre älteren Bruder verspürte er zwar nie, «aber vieles wurde immer auf das Materielle reduziert, das fand ich nicht in Ordnung».

Mit den Jahren lernte Fabian zunehmend besser, mit der Bruderrolle umzugehen, heute hat sich im Hause Frei alles längst normalisiert. «Ich sah ihn nie wie viele andere als eine Symbolfigur, er war einfach mein Bruder.» Fabian spielt in der 4. Liga beim FC Biel-Benken, er hat grosse Ziele im Trainerbereich und möchte am liebsten professionell arbeiten. Im fussballerischen Bereich holt er sich bei Alex schon ab und zu mal einen Rat. Es gibt Dinge, die auch Fabian tief beeindrucken: «Ich stelle mich ins Tor, Alex schiesst Freistösse. Fünf Stück. Er sagt, dass er fünfmal so schiessen werde, dass der Ball vor mir aufspringt und dann ins Goal geht. Fünfmal setzt er seine Ankündigung in die Tat um, fünfmal habe ich keine Chance als Goalie. Das ist schon extrem.»

N icht nur die Familie gibt ihm Halt im Alltag. Alex Frei kann sich auf einen harten Kern Freunde verlassen, die ihn seit über einem Jahrzehnt begleiten. Dazu zählen neben Nico Jucker und Mirco Maissen auch Tobias Sander, Yves Meier, Yvan Reimann und Nino Nigro. Alle Fussballer wie Frei, die jedoch keine grosse Karriere machten, sondern Amateure blieben.

Tobias Sander ist sechs Tage älter als Alex. 1997 spielten sie erstmals gegeneinander, Sander als beinharter Verteidiger des FC Concordia, Frei mit der U21 des FC Basel. Es ging mächtig zur Sache, doch nach dem Spiel trafen sich die beiden per Zufall in der Stadt. Daraus entstand eine enge Freundschaft. Zehnmal fuhren sie in der Altjahrs­woche nach Zermatt in die Skiferien. Im Sommer feierten sie am Strand von Aya Napa auf Zypern auch mal eine Party. «Für uns ist Alex nie der Star gewesen», erzählt Sander. Er staune manchmal, wenn er sehe, wie Frei auf dem Platz die Hände verwerfe und rumschreien könne, «unter Kollegen ist er ganz anders». Nämlich humorvoll und gut­mütig. «Er will seine Freunde an seinen Erfolgen teilhaben lassen», sagt Sander.

Frei lädt seine Kumpels wenn immer möglich an die Meisterfeier des FC Basel ein, organisiert Tickets für die Spiele und bietet seine Wohnung an, wenn jemand bei ihm übernachten will. Das Zusammensein mit ihnen ist für den Fussballer, der ständig in der Öffentlichkeit steht, wie eine Frisch­zellenkur. Unvergessen für Sander ist eine Anekdote aus dem Sommer 2003.

Frei war bereits in Rennes engagiert, als die beiden das traditionelle Grümpelturnier des FC Bubendorf besuchten. Im Festzelt ging es hoch zu und her, manche Flasche wurde geöffnet. Als die beiden dann tief in der Nacht und angeheitert nach Hause wollten, verpasste Frei aus Spass seinem Kumpel einen Tritt, fiel dabei jedoch über die Bordsteinkante und zog sich eine schmerzhafte Beckenprellung zu. Drei Wochen lang konnte Frei in Frankreich nicht richtig trainieren, doch er verschwieg den Clubbossen natürlich den wahren Grund seiner Verletzung. «Über den Abend in Bubendorf lachen wir heute noch», sagt Sander.

I nteressant ist eine andere Personalie bei den Freis. Als Alex 1999 von Thun nach Luzern wechselte, brauchte die Familie einen Fachmann, der sich im Sportrecht auskannte. Gleichzeitig hatte Paul Frei bei der Manor eine Klage am Hals. Es ging um gefälschte Lederwaren aus Asien. Odilo Bürgy war Anwalt der Manor-Kette, die sich aus den Familiennamen Maus und Nordmann zusammensetzt. Bürgy war bereit, Paul Frei zu helfen, den Kontakt stellte Claude Lewin her, ein – mittlerweile leider verstorbener – Freund von Paul Frei und Bruder des ehemaligen basel-städtischen Regierungsrates Ralph Lewin. Claude Lewin war Generaldirektor bei Jumbo, und es war dann Odilo Bürgy, der 1999 den Vertrag von Alex Frei beim FC Luzern juristisch absegnete. Bürgy, der Rechtsanwalt aus dem Kanton Fribourg, bekleidete diverse Ämter in den Gremien der Swiss Football League.

In die Schlagzeilen geriet er 2007 beim legendären Fall Muntwiler. Der junge Spieler Philipp Muntwiler erlangte Bekanntheit, weil ihn der FC St. Gallen am 1. April im Spiel gegen den FC Zürich einsetzte, obschon Muntwiler tags zuvor mit dem St. Galler U21-Team in der 1. Liga des Feldes verwiesen worden war. Der FCZ erhob Einspruch, die Disziplinarkommission der Swiss Football League verwandelte das 0:0-Remis in ein 3:0-Forfait. Der FCZ erhielt zwei geschenkte Punkte, der FC St. Gallen verlor einen, was am Saisonende für die Differenz sorgte: Die Zürcher wurden mit einem Zähler Vorsprung auf den FC Basel Schweizer Meister. Die rotblaue Anhängerschaft kochte vor Wut, denn das Urteil hatte Odilo Bürgy gefällt, damals Präsident der Disziplinarkommission der Liga. Für die rotblaue Fangemeinschaft war er der Sündenbock.

Die Familie Frei bekam den ganzen Wirbel nur am Rande mit. Für sie zählt die tiefe Freundschaft mit Bürgy, die Abmachungen beruhen auf Vertrauen wie bei Andy Gross: keine Verträge, ein Handschlag zählt. Und das Wort. «Er ist ein ganz feiner Mensch», sagt Alex Frei, «wir haben eine tolle Freundschaft.» Regelmässig ist Bürgy einge­laden, ein paar Tage in Grächen mit den Freis Ski zu fahren. Steht eine spannende Reise mit dem FC Basel in der Champions League an, ist Odilo Bürgy als Gast dabei.

Nur bei einem Ritual der Eltern Frei fehlt der Jurist. Paul und Susanne haben es sich zur schönen Angewohnheit gemacht, vor den Spielen ihres Sohnes ins Kloster Mariastein zu fahren. Die heiligen Gemäuer liegen nur unweit entfernt von Biel-Benken. Dort zünden die beiden jeweils eine Kerze an und wünschen Alex für die kommenden neunzig Minuten Glück. 2001, bevor er sein rauschendes Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert hatte, waren Paul und Susanne besonders oft in Mariastein. «Wenn Alex sein erstes Tor in der A-Auswahl schiesst, bezahle ich eine Gedenktafel aus Metall», kündigte Paul an.

Und er hielt Wort, nachdem der Filius dreimal gegen Luxemburg getroffen hatte. Und noch heute fragt Alex, halb scherzend, halb ernst, seine Eltern, wenn er wieder ein Tor geschossen hat: «Habt ihr gestern in Mariastein eine Kerze für mich angezündet?»

Neue Biografie

Basel.

Es gibt höchstens eine Handvoll Schweizer Fussballer, die genug Spannendes für eine Biografie erlebt haben. Alex Frei zählt mit Sicherheit dazu. Seit der Biel-Benkener vor 17 Jahren beim FC Basel seinen ersten Vertrag für einen Monatslohn von 320 Franken unterschrieb, durchlebte er im In- und Ausland alle erdenklichen Höhen und Tiefen auf und neben dem Fussballplatz. Davon erzählt das Buch «Alex Frei – ­König des Strafraums» (Stämpfli Verlag, Bern) von BaZ-Sportchef Marcel Rohr, der den Fussballer seit dessen Anfängen bei Rotblau eng begleitet hat.

Während Fussballerbiografien oftmals ohne Einwilligung des Protagonisten zustande kommen, wirkte Frei von Anfang mit – unter einer Bedingung: «Es sollte keine Abrechnung werden.» Was allerdings nicht bedeutet, dass das Buch die heiklen und viel diskutierten Momente in Freis Karriere wie etwa die Spuck­affäre oder den von lautem medialem Getöse begleiteten Rücktritt aus der ­Nationalmannschaft aussparen würde. Zugleich streut der Autor immer wieder Anek­doten und Fakten aus dem Leben des Baselbieters ein, wie wir sie so noch nicht gekannt haben. Dass Dortmund Frei nach dessen Meisterjahr 2011 wieder zurückholen wollte, erfährt man zum ersten Mal in diesem fast 200 Seiten umfassenden Buch. Oder dass Freis Grossvater ihm als D-Junior pro Goal einen Franken versprach – und Ende ­Saison 120 Franken zahlen musste. Davon erzählt das Kapitel über Freis ­Jugend­jahre, das wir hier in leicht gekürzter Fassung wiedergeben.

aws

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