Basler Zeitung vom 06.12.2012
FCB-Spieler David Degen erklärt, warum er unter Murat Yakin aus seinem Tief gefunden hat
Von Stefan Kreis und Oliver Gut
Basel/Genk.
«Wie bitte? Ist wirklich bereits eine Stunde vergangen?» David Degen schaut auf die Uhr und kann nicht fassen, wie spät es ist. Trotzdem macht der Mittelfeldspieler des FC Basel nicht den Anschein, als wolle er das Interview in den nächsten Sekunden beenden. Wenn er einmal in Fahrt gekommen sei, dann könne man ihn kaum bremsen, so der 29-Jährige.
Auch auf dem Rasen war David Degen im Duett mit seinem Zwillingsbruder, Rechtsverteidiger Philipp, zuletzt kaum aufzuhalten. Er hat sich auf dem rechten Flügel etabliert und mit seinen Leistungen grossen Anteil am Basler Höhenflug. Heute peilt der Lampenberger mit dem FCB im letzten Gruppenspiel der Europa League gegen den KRC Genk (21.05, SF 2 live) drei Punkte an und möchte sich zusammen mit seinen Mannschaftskollegen als Sieger der Gruppe G für die Sechzehntelfinals qualifizieren. Im Interview versucht der ältere der Degen-Zwillinge zu erklären, warum er polarisiert, und sagt, warum die Spielweise unter Murat Yakin besser auf ihn zugeschnitten ist als die von Ex-Coach Heiko Vogel.
BaZ:
David Degen, im Sommer kehrten Sie zum FCB zurück. Auf einen ordentlichen Start folgte unter Trainer Heiko Vogel ein Tief, wirkten Sie desorientiert. Seit Murat Yakin Coach ist, zeigt Ihre Formkurve steil nach oben.
David Degen:
Das stimmt. Jetzt fühle ich mich wohl, da ist das Umfeld, da ist der Club meines Herzens, da sind die Teamkollegen, da ist nicht zuletzt mein Zwillingsbruder – alles, was ich kenne und mag. Ausserdem passten zuletzt die Resultate. Aber es stimmt auch, dass ich eine schwierige Phase durchlebte. Das begann, als sich mein Bruder Philipp verletzte.
Hat Sie dies beeinträchtigt, da Sie eine so enge Beziehung zu ihm pflegen?
Das spielte wohl schon eine Rolle. Wir sind gemeinsam einfach stärker. Das sieht man jetzt, da wir endlich zusammen Gas geben können.
Aber nur daher rührte Ihr Tief nicht …
Meine Devise heisst nicht abwarten und Ball halten, sondern vorwärts.
Also fanden Sie sich mit Vogels Taktik des Ballbesitzfussballs nicht zurecht?
Sagen wir es so: Es gab unter Vogel viele Situationen, in denen ich erst überlegte, statt instinktiv zu handeln. Und prompt habe ich dann das Falsche gemacht. Oft dachte ich auf dem Rasen: Wieso mache ich das? Das bin doch gar nicht ich!
Kann man sagen, dass sich Vogels breitgefächerter Ballbesitz-Fussball nicht für David Degen eignet, der doch eher vertikal funktioniert?
Ich habe nichts gegen Ballbesitz. Aber mein Fussball bedeutet Linie rauf, Linie runter. Mit Tempo. Die meisten Fussballer funktionieren heute so, bei den meisten Teams ist die Spielweise auf schnelles Umschalten nach der Balleroberung ausgelegt. Barcelona als Vorbild ist ja aller Ehren wert. Aber Barcelona ist auch die einzige Equipe der Welt, die den Ball halten und dennoch den Tempowechsel so schnell forcieren kann, dass der Gegner in Grund und Boden gespielt wird. Das ist brutal schwierig, fast nicht kopierbar. Weder Real Madrid noch Bayern München oder Manchester United spielen so.
Was ebenfalls auffällt, ist, dass Sie mit dem neuen Trainer während des Spiels öfter kommunizieren. Was bespricht man, während Sie auf- und abrennen?
Grundsätzlich ist es so, dass Yakin mir Anweisungen gibt. Er verlangt eben viel von mir, nimmt mich in die Verantwortung. Manchmal reizt er mich aber auch einfach nur, treibt mich an, sagt, dass ich zu Hause schlafen könne, aber nicht auf dem Rasen. Ich schätze das, denn wenn ich gepusht werde, dann rufe ich mein bestes Leistungsniveau ab. Ich bin ein emotionaler Mensch.
Das wird Ihnen oft negativ ausgelegt. Wenn Sie zum Beispiel mal wieder die Hände verwerfen und sich eine Gelbe Karte wegen Reklamierens abholen.
Das lässt mich nicht kalt, ich beschäftige mich mit der Art, wie ich auf dem Platz wirke. Etwa nach dem 0:1 in Luzern. Ich erhielt Gelb, weil ich mich auf eine Diskussion mit dem Gegenspieler und dem Schiedsrichter eingelassen hatte. Nach dem Match haderte ich mit mir und fragte mich, wieso ich das getan und damit allen Kritikern unnötig Angriffsfläche geboten habe. Das hat mich fast eine Woche lang nicht losgelassen.
Das Ergebnis von David Degens Auseinandersetzung mit sich selbst?
Ich reagiere in diesen Situationen unbewusst. Es ist nicht mein Ziel, mich zu beschweren. Und es tut mir leid, wenn sich Leute aufregen, weil ich die Hände verwerfe. Aber das ist eine der Ausdrucksweisen meiner Leidenschaft. So wie ich 90 Minuten lang leidenschaftlich kämpfe und renne.
Ist es möglich, ein introvertierter Typ zu sein und trotzdem einen ähnlichen Fussball wie Sie zu spielen?
Ich glaube nicht. Aber es wäre sicher spannend, das zu untersuchen. Ist ein stiller Arbeiter im Hintergrund auch neben dem Rasen zurückhaltend?
Wie können Sie das kritische Bild, das viele von Ihnen haben, ändern?
Bei allen werde ich das wohl nicht schaffen. Aber mein Ziel ist, dass die Leute – egal, wie sie sonst von mir denken – sehen, dass ich alles gebe, um mit dem FCB sowohl national als auch international Erfolg zu haben. Dazu muss aber die Leistung stimmen, das ist klar.
Welche Rolle spielen die Medien darin, wie Sie in der Öffentlichkeit wirken?
Journalisten zeichnen ein gewisses Bild von einem Spieler und tragen dieses ein Stück weit mit.
Im August liessen Sie und Philipp die Veröffentlichung eines Interviews verbieten. Das erhöhte die Sympathiewerte in der Öffentlichkeit wohl kaum …
Dazu nur dies: Wir hätten uns gar nie auf dieses Interview einlassen dürfen.
Sie haben sich zuletzt in den Medien rar gemacht. Wegen dieser Erfahrung?
Nicht unbedingt deshalb. Ich will mich einfach auf den Fussball konzentrieren. In der Zeitung kann jeder etwas sagen. Was zählt, sind die Taten auf dem Rasen. Bedingung für dieses Interview war ja ein Sieg gegen St. Gallen. Ohne diesen wäre ich Ihnen nicht zur Verfügung gestanden.
Trotzdem profitiert die Marke Degen von den Medien. Es hiess schon, Sie seien bei Ringier Infront unter Vertrag.
Sind wir nicht. Wir haben zwar Diskussionen geführt, aber es hat sich keine Zusammenarbeit ergeben.
Ein schelmischer Gedanke: Hätten Sie unterschrieben, wären Sie Arbeitskollegen von Ottmar Hitzfeld, was eine Rückkehr ins Nationalteam erleichterte …
Wenn wir so weit sind, dass das eine Rolle spielt, dann läuft etwas falsch.
Ist ein Aufgebot für Sie ein Thema?
Ich spiele gerne für mein Land. Aber ein Aufgebot für das Nationalteam kann ich nur durch Leistung beim FC Basel beeinflussen.
Aber die WM 2014 ist ein Ziel?
Ziel? Was ist ein Ziel? Mein Ziel ist es, mit dem FCB das Double zu holen und in der Europa League für Furore zu sorgen. Der Rest kommt von selbst.
Mit Alex Frei geht im Sommer ein FCB-Leader von selbst. Es bleibt Marco Streller – und Philipp und Sie als Identifikationsfiguren. Eignen sich die Degen-Zwillinge, um in die Bresche zu springen?
Ich glaube schon. Wir werden im Februar 30, es ist normal, dass wir mehr Verantwortung übernehmen. Das geht auch, wenn man nicht gleich von jedem Fan ins Herz geschlossen wird.
Sie wirken zusammen oft wie Lausbuben. Das mit dem ernst sein, einem jungen Spieler die Leviten lesen, das geht?
Das muss gehen. Trotzdem gebe ich zu: Manchmal ist so ein Gespräch nicht einfach, denn wenn einer von uns eine Diskussion mit einem Spieler beginnt, steht der andere meist auch bald nebendran. Das kann dann etwas viel für das Gegenüber sein.
Es heisst, wenn die Degen-Zwillinge im Doppelpack kommen, werde es laut und unruhig. Wie oft hören Sie beide, dass Sie nun endlich den Mund halten sollen?
Ein paar Mal pro Woche. Trotzdem ist es für mich etwas vom Wichtigsten im Leben, dass man kommunikativ ist und sagt, was man denkt. Ich habe lieber, dass einer viel redet und ich weiss, woran ich bin, als umgekehrt.
Gibt es Menschen, die kommunikativer sind als Philipp und Sie?
Sie werden es nicht glauben, aber ein- oder zweimal in unseren Leben ist uns so ein Mensch doch tatsächlich schon begegnet.