Presseschau

SonntagsZeitung vom 17.03.2013

Der Klardenker

Yann Sommer ist der grosse und gelassene Rückhalt des FC Basel – und gilt als Schweizer Goalie der Zukunft

VON PETER M. BIRRER UND THOMAS SCHIFFERLE

BASEL Die Geschichte hat ihren Ursprung in Herrliberg, und es ist die Geschichte eines Knirpses, der nicht zögerte, als der Juniorentrainer einen Goalie suchte. Ja, er wollte, unbedingt, er wollte sein wie sein Vater, dem er an den Wochenenden immer zuschaute und dessen Handschuhe er nach den Spielen anzog.

Also stand er auf, rannte ins Tor und blieb dort. Er verliess es höchstens, als er mit 12, 13 Jahren Stürmer sein wollte. Aber das passierte selten, weil der Bub seine Rolle kannte. Aus dem Bub ist ein Mann geworden, der die Lust nie verloren hat, Goalie zu sein.

Yann Sommer, 24, sitzt im Basler Restaurant Hattrick und sagt: «Ich wollte es immer so.» Und warum? «Weil mich die Verantwortung reizt, weil ich mir keinen groben Fehler leisten darf. Und weil es Mut erfordert.»

So einfach das klingt, so mühelos hat er seinen Weg zurückgelegt. Als er mit seiner Familie vom Zürichsee nach Basel zog, war Stefan Huber der erste Goalie, den er bewusst wahrnahm. Und als er ihn erstmals mit dem FCB im St. Jakob spielen sah, wusste er: «Das will ich auch einmal erreichen.»

Der ideale Wechsel mit Heinz Hermann nach Vaduz

Sommer intensivierte den Aufwand, kam von Concordia zum FCB, schaffte mit 17 den Sprung in die U-21 von Heinz Hermann und merkte: «Es funktioniert alles.» Und als Hermann ihm 2007 anbot, ihn mit zum Challenge-League-Verein Vaduz zu nehmen, wusste Sommer: «Jetzt kann aus der Profikarriere etwas werden.» Er brach die Sport- und Handelsmittelschule ab und wusste um den Rückhalt der Eltern. Hermann sagt: «Es war ein idealer Wechsel. Yann brachte einen Haufen Talent und Lernwillen mit. Es ist schön für die Schweiz, einen Goalie wie ihn zu haben. Er ist ein einfacher, guter Junge.»

In Gedanken hatte er damals seine Zukunft skizziert, er plante, auf Umwegen wieder in Basel zu landen, beim FCB, seinem FCB. Ein Jahr verbrachte er in Liechtenstein, kehrte nach Basel zurück, vertrat für sechs Spiele Franco Costanzo, den Unumstrittenen, liess sich für eine Saison an die Grasshoppers ausleihen und war sich danach nicht zu schade, sich für ein Jahr als Reservist hinter Costanzo auf die Bank zu setzen.

Es passt zu seinem Wesen, dass er weder den Ellbogen ausfuhr, noch öffentlich Anspruch auf Costanzos Position reklamierte, weil er wusste, dass die Zeit für ihn arbeitete und weil ihm eine gewisse Harmonie wichtig ist. «Natürlich herrscht unter Goalies Konkurrenzdenken», sagt er, «aber glücklicherweise habe ich noch nie ein vergiftetes Klima erlebt.»

Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, stellte er sich nach Costanzos Abschied ins Tor. Er hörte die Stimmen der Zweifler, die fragten, wie der FCB bloss auf ihn, den Unerfahrenen, setzen konnte. «Es war keine einfache Situation», sagt er. Er meisterte sie, indem er nichts anderes machte als immer: «Ich verstellte mich nicht. Sobald man Angst davor hat, etwas falsch zu machen, begeht man Fehler.» Es war das wirksamste Rezept, Ruhe zu bewahren, nicht gespielte, sondern echte. Oder um es in den Worten seines Vaters Daniel zu formulieren: «Das ist er, das ist sein Naturell.»

Längst ist Sommer in Basel die etablierte Nummer 1. Ihm ist es ein Bedürfnis, sich mit der Region zu identifizieren. Sein Dialekt erinnert zwar an seine ersten Jahre in Herrliberg, «aber zu behaupten, ich sei Zürcher, ist falsch». Geboren wurde er in Morges, Sumiswald im Emmental ist sein Heimatort, aber Basel, das ist der Ort, an dem er sich zu Hause fühlt.

«Ich hatte einen Traum. Jetzt lebe ich ihn»

Er wohnt mitten in der Stadt, in zwei Minuten erreicht er zu Fuss den Barfüsserplatz, den «Barfi» mit seinem Balkon für die Siegesfeiern. Er spürt, wie die Menschen den Club lieben, sieht die Wimpel und Fahnen, die von tiefer Verbundenheit mit dem FCB zeugen. Er sagt: «Ich hatte einen Traum: die Nummer 1 des FCB zu sein. Jetzt lebe ich ihn.»

Was nun aber nicht heisst, dass sein Alltag nur aus Fussball besteht. Viele seiner Kollegen sind Studenten, leben in Wohngemeinschaften, und wenn sie sich treffen, taucht er in eine andere Welt ein, in der andere Themen als Fussball behandelt werden. Um die Häuser ziehen, sagt Sommer, das komme auch vor, einmal ein Bier oder einen Gin Tonic zu trinken, «einfach kontrolliert». Alles andere würde nicht zu ihm passen, der seine Worte mit Bedacht wählt. Ihm reicht als Abwechslung nur schon, in einem anatolischen Restaurant eines Kollegen zu essen, zusammen mit seiner Freundin Sabrina, mit der er die meiste Freizeit teilt. Und wenn er allein ist, spielt er am liebsten Gitarre.

Sommer denkt strukturiert und hat sich organisiert wie ein Kleinunternehmen. Dazu gehören zwei Spieleragenten, ein Anwalt, ein Sponsoringspezialist, ein Mentaltrainer, die Mutter, die sich um die Finanzen kümmert – und der Vater. Daniel Sommer, ein früherer Küsnachter 1.-Liga-Goalie, schaut dem Sohn beim Aufwärmen zu, beobachtet mit der Optik des Experten seine Körpersprache und Ballsicherheit. Danach weiss er meist, ob ein gutes oder mässiges Spiel bevorsteht. Und hinterher erkundigt sich Yann bei ihm nach der Meinung. «Der schonungsloseste Kritiker ist aber Yann selber», sagt Daniel Sommer, «er sieht überall eine Möglichkeit, besser zu werden.»

Das entspricht ganz dem, was Yann Sommer selber zum Ausdruck bringt: «Es gibt den kompletten Goalie. Aber den perfekten? Nein.» Unter komplett versteht er etwa Gianluigi Buffon. «Er ist mit dem Ball am Fuss vielleicht einer der alten Schule», sagt Sommer, «aber er strahlt enorme Persönlichkeit aus und lässt sich nie nervös machen. Zu einem wie ihm schaut man hoch.» Das macht auch er. Von Stephan Lichtsteiner liess er sich Handschuhe des Goalies von Juventus besorgen, klemmte sie in einen Bilderrahmen und hängte den in seiner Wohnung auf.

Sommer ist mit seinen 1,83 Metern keine mächtige Erscheinung wie einst ein Peter Schmeichel. «Aber ich habe nach einem Spiel noch nie gedacht: Ich bin zu klein», sagt er. Die Diskussion hält er ohnehin für irrelevant: «Es gibt keine Idealgrösse für einen Goalie.» Fehlende Zentimeter macht er mit gewaltiger Sprungkraft wett, und mutig ist er sowieso. Wenn ihm ein Brocken wie Hulk von Zenit St. Petersburg gegenübersteht, ist er unerschrocken, er wirft sich ihm in die Füsse oder stürzt sich mit aller Kraft ins Luftduell. «Du musst dem Stürmer signalisieren, dass du keine Angst hast», sagt er.

Mit 24 Jahren ist er bereits Meister, Cupsieger, er hat Basel mit dem gehaltenen Penalty in St. Petersburg zum Einzug in die Viertelfinals der Europa League verholfen, Nationalspieler ist er auch. In der Hierarchie hat er Diego Benaglio vor sich, das akzeptiert er klaglos. Aber Sommer gilt als Mann der Zukunft.

Die Eltern sind «ein bisschen stolz – ein bisschen sehr stolz»

«Er hat ein starkes Stellungsspiel, strahlt Ruhe aus und behält unter Druck die Übersicht», lobt Nationalcoach Ottmar Hitzfeld. «Er interpretiert den modernen Torhüter», urteilt Patrick Foletti, der Goalietrainer des Nationalteams, «er verfügt über eine hervorragende Technik im Defensiv- und Offensivverhalten.» Foletti traut Sommer den Sprung in eine grosse europäische Liga zu, denkt dabei aber weniger an England: «Er ist weniger der Goalietyp, den sie dort suchen, weil für viele Vereine immer noch primär die Grösse massgebend ist. Yann würde gut nach Spanien passen.»

Sommer erweckt nicht den Eindruck, als würde das Lob ihm den Kopf verdrehen. Er stellt den Teamgedanken über alles, wenn er betont, er gewinne lieber 5:4, als dass er bei einem 0:0 sieben Superparaden zeige und Bestnoten erhalte. Und die Gefahr, Unbedachtes zu tun, scheint auch gering. «Yann ist keiner, der in irgendetwas reinrasselt», glaubt sein Vater, «er packt alles überlegt an.»

Die Eltern sind seine grössten Supporter, ihre Namen hat sich Yann Sommer auf den Unterarm stechen lassen. Am Freitag fliegen sie nach Zypern, um die Schweiz am Samstag in der WM-Qualifikation spielen zu sehen. Ganz unabhängig davon, ob Yann im Tor steht, sagt Daniel Sommer: «Ein bisschen stolz sind wir schon auf ihn.» Und präzisiert lächelnd: «Ein bisschen sehr stolz.»


Yann Sommer

Der FCB-Goalie, geboren am 17. Dezember 1988 in Morges, spielte als Junior bis 1997 bei Herrliberg, danach bis 2003 bei Concordia Basel. Er wechselte zum FC Basel, den er 2007 Richtung Vaduz verliess. Mit den Liechtensteinern stieg er in die Super League auf. Anfang 2009 kehrte er zum FCB zurück, wurde für die Saison 2009/10 an die Grasshoppers ausgeliehen, ehe er wieder nach Basel fand und eine Saison später die Nummer 1 wurde. Mit dem FCB gewann er 2011 die Meisterschaft und 2012 das Double. Bislang bestritt er drei Länderspiele: gegen Rumänien, in Tunesien und Griechenland.

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