Presseschau

SonntagsZeitung vom 19.05.2013

Der schonungslose Kämpfer aus dem Mittelfeld

Serey Die und sein Weg von der Elfenbeinküste über Sion ins Basler Glück

PETER M. BIRRER

BASEL Den Begriff verwendet er nicht einmal, er setzt ihn mehrmals ein, um zu beschreiben, in welcher Welt er gelandet ist. «Topklasse», sagt Serey Die, wenn er über den FC Basel redet, über Sportdirektor Georg Heitz, den er «Monsieur Georges» nennt, über Präsident Bernhard Heusler, über Trainer Murat Yakin und die Fans. Topklasse ist auch das eigene Wohlbefinden: «Ich habe alles, um glücklich zu sein.»

Geoffroy Gonzaroua Die Serey, so heisst der 28-Jährige mit vollständigem Namen und in korrekter Reihenfolge, schwärmt an diesem Freitagmorgen von seinem Arbeitgeber. Und ist gleichzeitig betrübt, weil er Bilder gesehen hat aus dem Sittener Tourbillon. Wie Xavier Margairaz am Vorabend wutentbrannt Richtung Präsident Christian Constantin gerannt war. «Ich bin schockiert», sagt Serey Die. Er schüttelt den Kopf.

Der FC Sion ist ihm nicht gleichgültig. Er spielte in der Karriere eine bedeutende Rolle. Und Constantin ebenso. Die Zeit unter ihm härtete ihn ab.

Als Bub interessierte sich Serey Die, aufgewachsen mit sechs Geschwistern in Facobly im Westen der Elfenbeinküste, nur für Fussball. Ein Tag ohne Ball, «das war ein verlorener Tag, das machte mich krank», sagt er. Im Fernsehen bewunderte er den Liberianer George Weah oder den Nigerianer Jay Jay Okocha, er wollte einmal werden wie sie, Tore erzielen, am Afrika-Cup teilnehmen, berühmt sein. Sein Vater hielt das für keine gute Idee: Ständig ermahnte er den Sohn, die Schule nicht zu vernachlässigen, er wünschte, Serey Die würde später seine Zeit in ein Studium investieren.

Serey Die aber plante anders. In der Juniorenakademie fiel er mit seiner Unerschrockenheit und dem unbändigen Willen auf. Mit 18 Jahren kam er beim Spitzenverein Stade d’Abidjan unter, bevor er ins Ausland aufbrach. Das erste Abenteuer in Tunesien brach er nach einem halben Jahr ab, jenes in Algerien drohte noch schneller zu scheitern. Der Präsident von ES Sétif glaubte, den falschen Spieler verpflichtet zu haben. «Wir brauchen keine Junioren», sagte er Serey Die, der ihm zu schmächtig daherkam, «morgen gehst du nach Hause.»

Constantins öffentliche Attacke gegen Serey Die

Der Coach bat, Serey wenigstens einmal im Training mitmachen zu lassen. Erstaunt rief er danach den Präsidenten: «Da liegt ein Irrtum vor. Er ist besser als die andern!» In einem flugs organisierten Testspiel liess sich der Clubchef überzeugen. Serey durfte auf Probe für sechs Monate bleiben. Mit Sétif gewann er gegen Casablanca den Final der arabischen Champions League und lehnte danach eine Offerte für drei Jahre ab.

Es gab einige Interessenten, die ihre Vertreter nach Sétif geschickt hatten, um Serey Die noch in der Nacht des Triumphs gegen Casablanca unter Vertrag zu nehmen. Unter ihnen befand ich auch Paulo Urfer, Sions Sportchef. Die Verhandlungen starteten nach Mitternacht und zogen sich bis um 5 Uhr hin, weil sich Constantin immer wieder telefonisch einschaltete. Und Serey Die holte Ratschläge bei der Mutter und Freunden ein: «Sie sagten mir: ‹Geh in die Schweiz, das ist am besten.›»

Sein Trainer in Rage: «Fussball ist keine Frage der Brutalität»

Als er im Wallis ankam, brauchte er längere Anlaufzeit, um sich an das neue Leben zu gewöhnen, aber auch an einen neuen Fussballstil. Serey Die war der wilde, übereifrige Kämpfer, gnadenlos, wirr, unbeherrscht, viermal flog er vom Platz und brachte Trainer Uli Stielike in Rage: «Fussball ist eine Frage der Intelligenz, nicht der Brutalität.» Serey Die entschuldigte sich, sagte, in Afrika werde eben härter gespielt. Und: «Wenn es auf dem Platz nicht läuft, werde ich nervös.»

Als er im März 2010 gegen GC schon nach 38 Minuten Rot sah, war das zu viel für Christian Constantin. Er witterte eine üble Geschichte dahinter: Verstrickungen in Spielmanipulationen, Nähe zur Wettmafia also.

Wie sonst, schimpfte der Präsident, könne sich Serey Die einen Porsche Cayenne leisten? Und wieso wechsle er dauernd seine Handynummer? Constantin genügte das als Indizien, um den Spieler öffentlich auf die Anklagebank zu setzen. Dass es den Anschuldigungen erwiesenermassen an Substanz fehlte, darüber sah Constantin hinweg. Heute sagt er nur: «Ich habe Serey Die aufgezeigt, was es heisst, Verantwortung zu tragen.»

Die TV-Botschaft – und die Reue nach der Ohrfeige

Serey Die arrangierte sich mit Constantin und wurde immer mehr zum Wortführer. Als die Mannschaft in die Kritik geriet und anonyme Schmähbriefe in Martigny eintrafen, weil die Moral nach dem Abzug von 36 Punkten gesunken war, reagierte der Mittelfeldspieler erbost. Er bestellte einen Journalisten des Lokalsenders Canal 9 zu sich und sprach eine Botschaft in die Kamera. Solche Briefe seien feige, schimpfte er, «wenn ihr Mann genug seid, dann versteckt euch nicht! Zeigt euch!» Serey Die wartete anderntags auf der Place de la Planta. Von den Kritikern liess sich keiner blicken, dafür schauten ein paar Fans vorbei und klatschten Beifall.

Nicht alles, was Serey Die machte, hat Applaus verdient. Mit dem guten Geld, das er in der Schweiz verdiente, ging er nachlässig um und kaufte sich bald einen protzigen Wagen. «Ein Fehler», sagt er und präzisiert, «es war eine Dummheit.» Und dann gibt es diese unrühmliche Geschichte, als er einen Balljungen in Lausanne ohrfeigte, weil dieser den Ball nicht sofort hergab. Dafür büsste er mit acht Spielsperren. «Ich schäme mich dafür», sagt er, «ich werde das nicht vergessen können.» Mit dem Buben und dessen Vater steht er heute noch in Kontakt.

«Ich mache das doch alles nur, um zu gewinnen»

Der FCB ist seit Januar sein Club, und Trainer Murat Yakin sagt. «Er zieht die Mannschaft mit, sucht die Diskussion mit den Kollegen und arbeitet mit Leidenschaft.» Der Afrikaner verausgabt sich, er ist mit sich so schonungslos wie mit dem Gegner und sagt, er könne gar nicht anders: «Ich mache das doch alles nur, um zu gewinnen.» Er ist stolz, seinen Weg gegangen zu sein, «mit Hilfe von Gott», wie er betont. Nur eines bedauert er zutiefst: dass sein Vater 2004 verstarb «und nicht sehen konnte, wie weit ich es im Fussball gebracht habe».

Serey Die hört oft, etwas verrückt zu sein, und sei es nur, weil er einen Streifen seiner Haare blond färben liess. «Ich bin ruhig geworden», versichert er dann, bevor er sich verabschiedet. Seine Frau fliegt an diesem Freitag in die Ferien nach Abidjan. «Sie benötigt Erholung», sagt Serey Die und lacht laut. «Sie braucht Nerven mit drei Kindern: mit unseren beiden Töchtern – und mit mir.»

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