Basler Zeitung vom 11.01.2014
Familienvater Matias Delgado ist kein junger Wilder mehr – trotzdem will er beim FCB an frühere Tage anknüpfen
Von Tilman Pauls, Marbella
Die Trainingseinheit am Nachmittag ist längst beendet, aber Matias Delgado rammt auf Höhe des Strafraums noch vier Pappkameraden in den Boden und legt sich einige Bälle zurecht. Freistosstraining. Der Argentinier weiss, dass das erste Halbjahr seit seiner Rückkehr zum FC Basel im vergangenen Sommer nicht optimal gelaufen ist, dass er sich noch verbessern muss. Der Club hat seit seiner Ankunft verlauten lassen, der Spielmacher brauche eine geregelte Vorbereitung, um in der Rückrunde sein volles Potenzial auszuschöpfen, man müsse Geduld mit Delgado haben. Doch die Ansprüche an ihn sind hoch, die Erwartungen riesig und auch die Umstellungen nach drei Jahren in der Wüste von Abu Dhabi gewaltig – nicht nur auf dem Platz. Delgado ist nicht mehr der Spieler, der er war, als er den FC Basel 2006 in Richtung Istanbul verliess. Vieles hat sich geändert.
Nur eines offenbar nicht: Überall wo der Argentinier seine Zelte aufschlägt, schliessen ihn die Menschen umgehend in ihr Herz – und dafür braucht es nicht mal viel Zeit …
BaZ:
Matias Delgado, am zweiten Tag des Trainingslagers in Marbella haben Sie Besuch bekommen. Ihr ehemaliger Trainer Bernd Schuster stand plötzlich auf dem Platz.
Matias Delgado:
Ja, ich war total überrascht. Bernd war mein Trainer in Istanbul bei Besiktas, allerdings nur für eine kurze Zeit: drei Monate in der Vorbereitung und dann noch einige wenige Spiele, ehe ich zu Al-Jazira wechselte. Ich hatte gleich von Beginn an einen guten Draht zu ihm, er ist ein fantastischer Mensch – und das hat er jetzt wieder bewiesen.
Waren Sie denn nicht verabredet?
Nein. Ich habe einem Freund von mir, dem Physiotherapeuten in Malaga, wo Bernd jetzt Trainer ist, eine SMS geschrieben und gesagt, dass ich in der Nähe sei. Ich habe mich nicht getraut, Bernd direkt zu schreiben, er ist immerhin der Trainer. Aber dann war er da, nur um mich zu sehen.
Worüber haben Sie dann gesprochen?
Wir haben uns darüber unterhalten, was in der Zwischenzeit passiert ist: seine Stationen, meine Zeit in Abu Dhabi. Es war ein nettes Gespräch.
Ihre Zeit mit Schuster in Istanbul ist gleichzeitig Ihre letzte Erinnerung an den europäischen Fussball, ehe Sie nach Abu Dhabi wechselten.
Ja, es war eine schöne Zeit, an die ich noch gerne zurückdenke. Wenn ich heute reise, werde ich noch immer von vielen Türken angesprochen. Einige sagen sogar, sie vermissen mich. So was ehrt mich natürlich, weil ich einen guten Eindruck hinterlassen habe. Das Verrückteste ist mir aber letztes Jahr erst passiert.
Was denn?
Ein Freund von mir in Istanbul rief mich an, weil Besiktas das letzte Spiel im alten Stadion spielte, der Verein wird ein neues bauen. Die Fans sangen ein Lied über die Geschichte des Clubs und mein Name kam darin vor. Mein Freund erzählte mir: Mati, sie rufen deinen Namen. Ich konnte das gar nicht glauben. Ich bin nicht der Typ, der sich vor jede Kamera stellt – im Gegenteil. Und trotzdem haben mich die Fans nicht vergessen.
Nach den fanatischen Fans in Istanbul gingen Sie in die Wüste. Das muss ein ziemlicher Kulturschock gewesen sein.
Es ist das komplette Gegenteil. Erst die fussballverrückte Türkei, dann plötzlich ein Club, der praktisch keine Fans hat. Klar, ein paar sind immer im Stadion, 300 vielleicht, Touristen. Aber natürlich ist das nicht mit Basel vergleichbar.
Ist das schwierig für einen Spieler?
Natürlich. Stellen Sie sich doch vor: Mein letztes Spiel für Besiktas war vor 30 000 Zuschauern – und dann sass ich kurz darauf mit 199 Menschen in Abu Dhabi auf der Tribüne. Man konnte jedes Geräusch auf dem Platz hören, das war gespenstisch.
Haben Sie die Zeit bei Al-Jazira trotzdem geniessen können?
Es war eine wertvolle Erfahrung für mich. Dem Besitzer von Al-Jazira, Mansour bin Zayed Al Nahyan, gehört auch der Club Manchester City, ein reicher Mann, der den Fussball liebt. Ich habe mehrmals mit ihm gesprochen und gemerkt, dass er mit ganzem Herz dabei ist und es für ihn nicht nur ein sinnloses Hobby ist. Das war mir wichtig.
Wie darf man sich denn Ihr Leben dort vorstellen?
Ich habe Fussball gespielt und sonst gar nichts gemacht. Man muss sich um nichts kümmern, alles wird erledigt, die Sonne scheint das ganze Jahr über. Es ist ein schönes, sorgenfreies Leben.
Hört sich aber gleichzeitig nach einem goldenen Käfig an.
Am Anfang war ich glücklich: Nach vier Jahren Istanbul war ich müde, ausgebrannt. Ich konnte dort nicht auf die Strasse gehen, weil die Fans immer etwas von mir wollten. Ich bin nicht der Typ, der Nein sagt. Als ich damals mein Idol Pablo Aimar traf, hat er sich Zeit für mich genommen, und ich will auch immer für meine Fans da sein. Aber das führte in der Türkei dazu, dass mir Leute während dem Essen die Gabel aus dem Mund rissen, um ein Foto zu machen. Deswegen habe ich es in Abu Dhabi genossen, unbekannt über die Strassen laufen zu können.
Könnten Sie sich vorstellen, dauerhaft in Abu Dhabi zu leben?
Ich glaube nicht, die Mentalität in Europa sagt mir eher zu. Viele Menschen dort müssen sich um nichts Sorgen machen, weil alles im Überfluss zur Verfügung steht. Genau dieses Leben wollte ich meinen Kindern nicht zeigen. Ich habe für meine Karriere wieder zum FCB gewechselt, aber auch für meinen Sohn. Ich wollte ihm zeigen, dass das Leben in Abu Dhabi nicht der Realität entspricht. Es ist kein gutes Beispiel für ein Kind, das lernen soll, dass man sich aufopfern muss, wenn man sich seinen Traum unbedingt erfüllen will.
Sie wechselten also wieder nach Basel, wo man Sie trotz der langen Zeit bei anderen Clubs nicht vergessen hat.
Ja, das habe ich gespürt. Ich hatte die Möglichkeit, zu River Plate zu gehen, aber ich habe in Basel die beste Phase meiner Karriere gehabt und wollte noch einmal dorthin zurück. Ich hatte fast schon Angst vor den Erwartungen der Fans. Denn sind wir ehrlich: Es liegen sieben Jahre zwischen meinem letzten Spiel 2006 und dem ersten 2013. Ich bin inzwischen ein anderer Mensch, ich bin dreifacher Vater.
Wenn die FCB-Fans von Ihnen sprechen, reden sie in der dritten Person von Ihnen: ER spielt wieder. Sind Ihnen Übernamen wie Messias Delgado unangenehm?
Ja. Ich fühle mich dabei nicht wohl, so was ist mir zu viel. Wie gesagt: Ich habe nicht den Eindruck, dass ich den Fans viel gebe, ich spiele nur Fussball.
Wissen Sie, warum Sie bei vielen Menschen Sehnsüchte hervorrufen?
Nein, das ist mir ein Rätsel. Ich weiss nur, dass es sich seltsam anfühlt.
Trotz grossem Respekt erwarten die Zuschauer jenen Fussball, den Sie zwischen 2003 und 2006 zeigten. Wie schätzen Sie selber das erste halbe Jahr seit der Rückkehr ein?
Soll ich ehrlich sein?
Gerne.
Wenn ich meine beiden Starts beim FCB vergleiche, 2003 und 2013, dann muss ich sagen, dass mein zweiter Start besser war, es fühlt sich zumindest so an. Auch weil jetzt alles anders ist als damals.
Das müssen Sie genauer erklären.
Als ich das erste Mal nach Basel kam, musste ich mir um nichts Gedanken machen, konnte nur Fussball spielen, essen und auf dem Sofa liegen. Aber jetzt sind wir zu fünft, leben in einem grossen Haus. Es ist immer etwas los, es gibt keine Ruhe mehr. Meine Frau und ich müssen uns um die Schule kümmern, die Kinder zum Tennis bringen. Fussball ist nicht mehr nur noch die wichtigste Sache in meinem Leben, ich bin jetzt auch Hausmann.
Ein Hausmann, der plötzlich gegen Chelsea auf dem Platz steht.
Als wir uns für die Champions League qualifizierten, da habe ich mich zuerst gefragt, ob ich auf dem Niveau überhaupt mithalten kann.
Denken Sie noch oft an die Partie an der Stamford Bridge?
Es war ein Geschenk. Du kommst auf den Platz, da liegt deine Mannschaft noch zurück, und du willst es einfach nur geniessen. Und dann gibst du zwei Vorlagen und gewinnst mit dem Team gegen solch eine grosse Mannschaft. Dieses Spiel werde ich wahrscheinlich nie mehr vergessen.
Trotzdem können Sie nicht richtig zufrieden sein: Sie haben seit Ihrer Rückkehr nur wenig gespielt und dabei die – zugegeben – sehr hohen Erwartungen noch nicht erfüllt.
Das stimmt. Ich kann und muss in allen Bereichen noch zulegen, insbesondere physisch. Wenn Sie mich fragen würden, bei wie viel Prozent ich aktuell stehe, müsste ich sagen: 70. Allerdings muss man auch sehen: Seit meinem letzten Spiel in der Schweiz 2006 hat sich die Liga entwickelt. Als ich letztes Jahr zum ersten Mal wieder auf dem Platz stand, auswärts in St. Gallen, war ich überrascht über das Tempo. Ich war noch nicht bereit.
Was muss sich ändern, damit Sie wieder bereit sind?
Ich muss so fit sein, dass ich regelmässig spielen kann. Nur so kann ich das nötige Selbstvertrauen sammeln. Ich will zu jenen elf Spielern gehören, denen der Trainer vertraut und die so häufig wie möglich spielen.
Wie halten Sie von der Idee, im Zentrum neben Marcelo Diaz zu spielen?
Ich finde es grossartig, mit Marcelo zu spielen, und hoffe, wir können künftig öfter nebeneinander auf dem Platz stehen. Wir verstehen uns blind und harmonieren gut, wir denken gleich. Marcelo ist einer jener Spieler, die dir immer eine Möglichkeit geben, den Ball zu passen, und ich bin als Spielmacher darauf angewiesen, dass andere um mich herum laufen.
Würden Sie es bevorzugen, in einem System mit zwei Stürmern zu spielen?
Ich habe meine ganze Karriere über mit zwei Stürmern gespielt, auch in Istanbul. Für mich bedeutet es, dass ich zwei Anspielstationen habe, aber auch auf den beiden Flügeln meine Mitspieler finde, wenn die Verteidiger sich auf beide Spieler in der Mitte konzentrieren. Murat ist der Trainer und er entscheidet, wie die Mannschaft spielt.
Matias Delgado
Am 15. Dezember 1982 wird Matias Emilio Delgado als zweites von vier Kindern im argentinischen Rosario geboren. Sein Vater ist Fussballprofi, darum zieht die Familie schon bald nach Buenos Aires, wo auch Matias mit dem Fussball beginnt. 2000 wechselt er aus dem Juniorenbereich zu den Chacarita Juniors, von dort aus kommt er im Alter von 20 Jahren zum FC Basel – als Nachfolger von Hakan Yakin. Nach einer durchwachsenen Premieren-Saison erzielt Delgado in seinem zweiten Jahr elf Tore in 32 Spielen, im Jahr danach sind es 18 in der Liga und sieben im Uefa Cup. Er wird mit dem FCB zwei Mal Schweizer Meister (’04, ’05), gewinnt den Cup (’03) und wird zum besten Spieler der Schweiz gewählt (’06). Die Fans lieben den treffsicheren Spielmacher, der 2006 zu Besiktas Istanbul weiterzieht, wo er ein Mal Meisterschaft (’09) und zwei Mal Cup gewinnt (’07, ’09). 2010 folgt der Wechsel in die Fussballwüste von Abu Dhabi, ehe Delgado im Sommer 2013 einen Vier-Jahres-Vertrag mit dem FC Basel unterschreibt. tip