SonntagsZeitung vom 25.05.2014
Vor Gericht mit dem Fussballer Bobadilla, der mit 111 km/h durch Seewen raste
Chris Winteler (Text) und Esther Michel (Foto)
Wie ein Bulldozer pflügte er sich am vergangenen Freitag vor dem Gerichtsgebäude in Dornach SO durch die Fotografen und Kameraleute. Die Freundin im Schlepptau, beide mit grimmigem Blick. Dabei zeigt Raúl Bobadilla sich und seinen Körper sonst sehr gerne, reisst sich bei jeder Gelegenheit das Trikot vom Leib – wie kürzlich bei seinem Siegestreffer im letzten Saisonspiel mit dem FC Augsburg. Muskeln, Tattoos und viel Testosteron – als heissblütiger Gaucho galt er schon während seiner Karriere bei GC, YB und dem FC Basel. Oft war er gesperrt, meist weil er Schiedsrichter aufs Gröbste beleidigt hatte.
Vor diesem Richter, Markus Christ, am Richteramt Dorneck- Thierstein jedoch hat der 26-jährige Argentinier Respekt. Er könnte ihn schliesslich ins Gefängnis bringen. Und somit seine Zukunft verbauen. «Bedenken Sie», wird sein Anwalt in seinem Plädoyer sagen, «kein Club will einen Spieler, der im Knast war.» Im Übrigen habe sich sein Mandant stets kooperativ gezeigt, habe extra die Ferien verschoben, um den Gerichtstermin wahrzunehmen.
Bobadilla sitzt geduckt, fast schon unterwürfig, auf dem Stuhl. Das Jackett spannt über dem muskulösen Rücken. Über dem weissen Hemdkragen blitzt ein Tattoo hervor. Auf dem Hinterkopf zeichnet sich, trotz Gel im Haar, der Abdruck des Kissens ab. Mit 18 kam Bobadilla als Fussballer aus Buenos Aires in die Schweiz, noch immer braucht er eine Dolmetscherin. Den Deutschkurs hat er damals schnell sausen lassen, überhaupt, er lese überhaupt nicht gerne, lässt er übersetzen.
Natürlich hat Bobadilla eine Model-Freundin. Auch sie spricht «poco» Deutsch – mit den Medien wollen beide sowieso nicht reden. Die Miss Argentinien 2009 und der Fussballer haben sich vor vier Jahren in einem Steakhouse in Gladbach kennen gelernt, seither gabs Trennungsgerüchte und Versöhnungen. Vor seiner kriminellen Autofahrt, wegen der er heute vor Gericht steht, hatten sie sich mal wieder gestritten. «Emotional am Boden» und erst noch zu spät dran fürs Trainingsspiel, raste er an jenem Tag im Juli 2013 in Seewen SO mit 111 km/h durch eine 50er-Zone – donnerte im schwarzen Maserati vorbei an einem Ponyhof für Kinder. Der Anhalteweg bei diesem Tempo beträgt rund 93 Meter. Raser und Auto wurden sofort aus dem Verkehr gezogen. Kurz darauf wurde Raúl Bobadilla vom FC Basel nach Augsburg in die 1. Deutsche Bundesliga verkauft.
Mutter und Vater hat er sich auf die Brust tätowieren lassen
Zehn Monate lang hat ihn die Freundin, heute Verlobte, täglich ins Training chauffiert. Die Auflösung des Leasingvertrags für den Maserati hat ihn 71 000 Franken gekostet, «auch für Bobadilla viel Geld», sagt sein Anwalt. Heute besitzt Bobadilla einen Audi Q7 und in Argentinien einen Dodge. Seit sechs Tagen darf er in Deutschland wieder am Steuer sitzen. «Wann sind Sie zuletzt gefahren?», fragt der Richter. «Gestern.» In der Schweiz aber ist er seinen Ausweis bis Juli 2015 los.
Mit 19, damals Stürmer bei GC, hat er sich seinen ersten Maserati gekauft. Immer wieder ist er durch rabiate Fahrweise aufgefallen, ausserdem hat er seinen Boliden im Joggeli-Parkhaus gerne mal auf einem Frauenparkplatz abgestellt. Wie jetzt ans Licht kommt, hat er schon einige Vorstrafen, weil er zu schnell oder angetrunken unterwegs war. Im Mai 2012 mit 166 km/h auf der Autobahn, ohne gültigen Fahrausweis. Seine Begründung: «Ich habe mit der Freundin telefoniert, es ging ihr schlecht.»
Die Bussen wie auch die übrige Post gingen jeweils direkt an den Arbeitgeber. Dieser hat sich um alles gekümmert. «Von der Mutter direkt zum Fussballclub», sagt der Richter, Bobadilla habe es verpasst, «vollständige Selbstständigkeit zu erlangen». Heute kümmert sich der FC Augsburg um ihn. Als Wohnadresse auf der Anklageschrift ist denn auch die Geschäftsstelle des Vereins angegeben. Hier spüre er Vertrauen, sagt Bobadilla, man habe ihn heute sogar begleitet. Die drei Herren sitzen nebeneinander in der hinteren Reihe, alle im blauen Jacket und weissem Hemd. Es sind der Manager, der Geschäftsleiter und der Chefscout, sie sind hier, weil sie «Raúl, den Menschen», unterstützen wollen. «Ein netter Kerl, eine ehrliche Haut, gut im Team integriert, die Fans lieben ihn», sagt Manager Stefan Reuter, ehemaliger deutscher Nationalspieler.
Bobadilla verdient rund 34 000 Franken im Monat. Seit er Fussball-Profi ist, muss sein Papa nicht mehr in der Fabrik arbeiten.
Die Eltern wohnen in seinem Haus in Argentinien, jeden Monat überweise er ihnen 4000 bis 6000 Euro. Und weil seine Landsleute Unterstützung brauchten, hat er während der ganzen Saison in der Mannschaft Trainingsklamotten und private Kleider gesammelt – darunter wohl auch das eine oder andere Louis-Vuitton-Täschchen –, nun werde er alles in seine Heimat schicken.
Seine Eltern trägt er immer bei sich: Mutter Elvira hat er sich auf die linke, Vater Victor auf die rechte Brust tätowieren lassen. Und Jungfrau Maria trägt er auf dem rechten Unterschenkel.
Das Schlusswort übrigens hält Bobadilla auf Deutsch, er hat es gut einstudiert: «Das tut mir so leid. Dass ich grossen Fehler gemacht habe.» Aber seit sieben Jahren sei er weg von der Familie, es sei schwer, eine Sprache zu lernen, die nicht einfach sei. Nie habe er jemanden geschlagen oder verletzt, er sei keine solche Person. Und nochmals: «Tut mir so leid.»
Der Richter glaubt ihm – Raúl Bobadilla muss nicht ins Gefängnis. Er könne ihm keine schlechte Prognose stellen. Das Urteil: 16 Monate bedingt, bei einer Probezeit von 4 Jahren, dazu eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 790 Franken. Gebühren und Verfahrenskosten von 10 000 Franken sowie zwei frühere bedingte Geldbussen von 18 000 Franken. Für den Fussballer etwa eineinhalb Monatslöhne. Mit diesem (Schieds)richter ist Raúl Bobadilla zufrieden. Er reicht ihm die Hand zum Dank und klopft ihm anerkennend auf die Schulter.